Lamm im Heu

Hauptgericht für 4 Personen von Peter Wagner

Lamm im Heu

Zu Ostern kommt der Hase. Nein, nicht als Eierbringer, sondern im Schmortopf auf den Tisch. Als Braten fast so beliebt wie das legendäre Osterlamm. Beides, also Babyschaf und Eiernest, kommt heute aus unserem Backofen: Lamm im Heu.

 

Lämmer, Schafe und Ziegen sind seit jeher als die friedfertigsten aller Nutztiere bekannt. Deshalb fanden sie nicht nur als Adjektive wie „lammfromm“ oder „schäfchenweich“ Einzug in unsere Alltagssprache – sie wurden in früheren Zeiten auch genau wegen dieser Charaktereigenschaft gern den Göttern geopfert. Ein naheliegender Gedanke, mit dem Tod des sanftmütigsten aller Geschöpfe – Jesus selbst gilt den Christen als „Lamm Gottes“ – bei den himmlischen Mächten um Vergebung für die Sünden zu bitten.

 

Es werden zwar bis heute überall auf der Welt zu religiösen Festen Lämmer geschlachtet, aber wenigstens essen wir sie heute auf, anstatt sie auf einem Scheiterhaufen gen Himmel rauchen zu lassen. Die abendländisch-christliche Tradition des Osterlammes macht kulinarisch gesehen aber nur bedingt Sinn. Einerseits darf am Ostersamstag nach Ende der Fastenzeit wieder Fleisch gegessen werden, und da kommt der im Frühwinter geborene Schafsnachwuchs mt seinen auf den ersten Biss ja wunderbar zarten Stücken gerade recht.

 

Andererseits gilt der recht verhaltene Grundgeschmack dieser „Milchlämmer“, die den Winter über fast ausschließlich von der Muttermilch ernährt wurden und bis Ostern noch keine grüne Weide gesehen, geschweige denn abgefressen haben können, bei Freunden von kräftigen Fleischaromen als eher langweilig. In der Tat schmeckt das Fleisch der im Spätherbst geschlachteten Lämmer aus Frühjahrswürfen weitaus interessanter, auch weil die Tiere sich ausschließlich draußen bewegt und ernährt haben.

 

Ein echter Oster-Geheimtipp ist deshalb das Fleisch von „Frühjahreslämmern“ aus dem Vorjahr, die nach sechs Monaten auf Weide und Kräuterwiese noch einen Winter lang im Stall ausreifen konnten. Diese Ware ist im regulären Handel zwar so gut wie nicht erhältlich, aber eine Nachfrage bei den diversen selbstvermarktenden Schäfern in Deutschland www.aid.de/inhalt/gesunde-schafe-auf-der-weide-889.html kann sich lohnen. Denn das Muskelfleisch dieser zwischen 14 und 16 Monaten alten Tiere ist noch immer schön zart, aber geschmackshaltiger als das von den Sechsmonatigen. Offiziell dürfen sie in Deutschland aber nicht als „Lamm“, sondern nur als „Jungschaf“ verkauft werden.

 

 

Dahinter steckt die immer wieder gleiche Grundfrage: Wie lang kann ein Lamm ein Lamm sein? Nun, hierzulande darf als „Lamm“ eigentlich kein Fleisch von Babyschafen angeboten werden, die vor der Schlachtung älter als zwölf Monate waren. „Milchlämmer“ kommen noch jünger zum Schlachter: sie sind höchstens sechs Monate alt und durften nur von Muttermilch ernährt worden sein, aber noch nicht auf der Weide gegrast haben. Beides wird von typischen ausländischen Lieferanten aus den wichtigsten Lammnationen Frankreich, Irland und Neuseeland in der Regel auch eingehalten.

 

In Down Under werden Lämmer sowieso nicht länger als sechs Monate alt, haben aber vor der Schlachtung bereits Gras und Kräuter gefressen. Problematisch wird es erst ab etwa acht Monaten Lebensalter, da entwickelt sich langsam der typische Geschmack. Zart ausgeprägt ein Gedicht für Genießer. Wenn er aber hammelig wird, steigen die meisten westeuropäischen Gaumen aus, obwohl auch bei uns Fleisch von Tieren bis zu zwei Jahren angeboten wird – als

weibliches „Schaf“ oder kastrierter „Hammel“. Noch ältere Exemplare oder unkastrierte Widder spielen im deutschen Handel dagegen keine Rolle.

 

Von den etwa 30 kulinarisch verwertbaren Einzelteilen des Lammes nach der deutschen Zerlegungsmethode sind natürlich die meisten für einen feisten Osterbraten nicht geeignet. Der Rücken mit seinem Karree, Lummer oder Koteletts ist zu mager für langes Schmoren, der Bauch zu fett, die Haxen zu klein, der Nacken zu flachsig. Bleiben die Klassiker Keule und Schulter.

 

Letztere nehmen wir für unseren Osterbraten von einem der besten Fleischlieferanten der Schafswelt: Milchlamm aus den französischen Pyrenäen, zertifiziert mit dem „Label Rouge“ und durch das Schlachtalter von maximal 45 Tagen eines der zartesten Stücke auf dem Markt. Um dieser Himmelstextur etwas kräftigeren Geschmack einzuhauchen, marinieren wir die Schulterchen über Nacht in Knobi&Kräuter und garen sie in einem großen, komplett mit Bio-Heu von Bergwiesen ausgestopften Bräter acht Stunden bei schonenden 85 °C Ofentemperatur zu einer kleinen kulinarischen Sensation.

 

© 2016 Peter Wagner/kochtext
Vorbereitungszeit: 30 Minuten
Wartezeit: 12 Stunden
Zubereitungszeit: 8 Stunden
Level: commis de cuisine

Zutaten

Wein-Tipp

Val di Suga Brunello di Montalcino 2011

 

Feiertag, eines der besten Lammgerichte der Welt auf dem Teller, wer mag da am Wein sparen? Wir zogen rechtzeitig (2 Stunden lüften) eine Flasche des fantastischen Val di Suga Brunello di Montalcino 2011 auf. Ein würdiger Sideman zum Babyschaf, mit tiefen Pflaumenröster- und Wildkräuteraromen in der Nase und unglaublicher Saftigkeit am Gaumen, die sich kurz darauf in eine prickelnde, edle Würze verwandelt. Neidvoll verbeugen wir uns vor dem, der es sich leisten kann, diesen Wein bis tief in die Osternacht einfach weiterzutrinken. 

Musik-Tipp

Weil unser Lamm sein kurzes Leben in den Pyrenäen verbracht hat, beschallen wir es auch beim Zartgaren am besten mit Musik in seiner Muttersprache: Die Gallions-Sängerin der Nouvelle Scène Française, Françoiz Breut, hat sich ihr aktuelles Album „Zoo“ (Le Pop Musik) in Bristol von dem Portishead-Mastermind Adrian Utley produzieren lassen – eine zwischen traumhaft und traumatisch oszillierende Chanson-Seelenreise.

Zubereitung

Lamm im Heu

Am Vortag Lammschultern abwaschen, trocken tupfen und nur die gröbsten Fettadern und Bindegewebsstellen abschneiden (für die Sauce verwenden). Bei anderen Zubereitungsarten wird normalerweise die zähe oberste Gewebeschicht entfernt, die bei Langsamschmor-Methoden aber am Fleisch bleibt und es saftig hält. Restliche Zutaten bis zum Olivenöl auf Brett fein hacken, Fleisch damit gleichmäßig einmassieren

 

 

und vakuumieren (oder in einen Gefrierbeutel geben, Luft heraus pressen und verknoten. Über Nacht im Kühlschrank marinieren.

 

 

 

12 Stunden vor dem Essen das Lamm aus der Verpackung nehmen und 3 Stunden bei Zimmertemperatur stehen lassen. Kräuter und Knoblauch komplett abschaben. Pflanzenöl in Pfanne sehr heiß werden lassen und jede Schulter pro Seite ca. 2 Min. scharf anbraten.

 

 

Heu im Bräter verteilen, Schultern einlegen, ungeschälte Knoblauchzehen verteilen,

 

 

alles mit Heu bedecken und Bräter mit gut schließendem Deckel (oder Alufolie) luftdicht verschließen. Bei 85°C (keine Umluft) im Backofen acht Stunden garen lassen, dabei den Deckel nicht öffnen.

 

TIPP: Das Rezept kann in abgewandelter Form auch mit Lammkeule oder Schulter von älteren Lämmern aus z.B. Neuseeland gekocht werden – in diesem Fall erübrigt sich das Marinieren über Nacht. Es reicht, die Teile nach dem Anbraten mit der Kräutermischung einzureiben und ins Heu zu legen. Falls kein Heu verfügbar ist, den Bräter mit 6-8 Bund grob zerteilten Mittelmeerkräutern wie Thymian, Rosmarin und Oregano auskleiden und die Fleischteile damit bedecken.

 

Sauce

Weil beim Langsamgaren im Heu keine eigene Schmorsauce anfällt, muss sie getrennt gekocht werden: Lammreste klein schneiden oder hacken, mit Öl, Zwiebeln und 4 EL Rosmarin vermengen und in einem Bräter verteilen. Bei 220 °C 20 Min. im Backofen mit Umluft rösten. Grill auf voller Kraft zuschalten und rösten, bis der Rosmarin leicht zu rauchen beginnt. Rotwein einfüllen, ohne Grill 10 Min. bei Umluft simmern lassen. Fond zugeben, Bräter mit Deckel oder Alufolie sorgfältig verschließen und bei 120 °C (keine Umluft) 2 Stunden leise köcheln lassen.

 

 

Durch Sieb passieren, Sauce auf die Hälfte einreduzieren. Vor dem Servieren Portwein und restlichen Rosmarin zugeben, kurz aufkochen, 3 Min. ziehen lassen und erneut abpassieren. Wenn nur ein Backofen zur Verfügung steht, kann die Sauce auch am Vortag vorbereitet und der zweite Port/Rosmarin-Ansatz dann kurz vor dem Servieren gemacht werden.

Anrichten

Lammschultern aus dem Heu nehmen, mit Pinsel säubern, servieren. Kleinere, feine Heureste können mitgegessen werden, wenn das Heu für Speisenzubereitung ausgewiesen ist. Knoblauchzehen zum Ausquetschen anbieten. Jus in Sauciere auf Warmhalteplatte servieren. Als weitere Beilagen passen dazu Rosmarinkartöffelchen, weiße Bohnen-Zwiebel-Creme, gedünstete Poweraden (Baby-Artischocken) oder gegrillte Paprikascheiben.

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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