Die Salinen von Añana

Für eine Hand voll Salz

Die Salinen von Añana im spanischen Baskenland

 

Von Foodhunter Micheal Vetter

 

 

Ich biege von der Calle Real ins Valle Salado ein. Die Sonne brennt, meine Kehle ist ausgetrocknet, flirrende Luft liegt schwer auf dem staubigen Weg. Eine weitere Biegung und vor mir eröffnet sich das Panorama auf ein Tal mit an die Hänge gehefteten Tableaus, die gestützt von unzähligen Holzpfählen geheimnisvolle Hohlräume verbergen. Dreht hier Werner Herzog "Fitzcarraldo II"?

 

 

Mein Blick huscht an der weitläufigen Anlage entlang als plötzlich Clint vor mir steht. Sein linker Arm hängt lässig herunter, die rechte Hand schwebt angespannt in Hüftnähe. Clints Augen haben sich zu schmalen Schlitzen verengt. Ich erstarre.

 

„Señor…. Señor ….“ reißt mich eine Stimme aus meiner Phantasie. Der braungebrannte Mann streckt mir ein Glas Wasser entgegen. Er ist ganz in weiß gekleidet und blinzelt freundlich lächelnd unter seinem Strohhut hervor. „Bienvenido al Valle Salado de Añana,” begrüßt er mich. “Mi nombre es Edorta”. Edorta ist Salinero, einer von mehreren Salzbauern der Saline im „salzigen Tal“ von Añana. Ich nehme einen kräftigen Schluck aus dem Wasserglas und ermesse jetzt nach und nach die Ausmaße der skurillen Holzkonstruktion, die an Goldminen aus einem Spaghetti-Western erinnert.

 

Zwei Wochen zuvor: Michael Kammermeier, Jeunes Restaurateur und Küchenchef im Wiesbadener Gourmetrestaurant Ente, rief mich an und fragte nach dem besten Fleur de Sel, der Blüte des Salzes. Camargue, Guérande, Kanaren oder etwas ganz ausgefallenes aus der Ägäis? „Nein nein,“ antwortete Michael Kammermeier, „ich möchte kein Fleur de Sel von der Küste. Es muss ein ganz reines, unbelastetes und mineralisches Salz sein“. Und: „Du machst das schon, Michael!“ Natürlich, dachte ich höhnisch bei mir, schließlich bin ich ja der Delikatessenjäger. Was würde ich jetzt bloß für eine Hand voll Salz geben!

 

So aussichtlos der Fall auch erschien, begann ich doch mit der Recherche – nach Fleur de Sel vom Lande. Von der Salzblumenalm. Ein kürzlich erschienenes Buch über „Fleur de Sel“ kam mir ernsthaft in den Sinn. Aber bereits der Untertitel verhieß nichts Gutes: „Weißes Gold aus dem Meer“. Ein Blick ins Buch untermauerte die Vermutung: Fleur de Sel, so stellen die Autoren fest, kommt aus den Meeressalinen des Atlantik, bevorzugt aus Frankreich.

 

 

Für die Salzgewinnung im Inland, so die einschlägigen Nachschlagewerke, gibt es Siedesalinen, die Salz aus der Verdampfung von Sole gewinnen, und Salzbergwerke, die unter Tage Steinsalz abbauen – beide waren als Lieferanten von Fleur de Sel natürlich von vorne herein ausgeschlossen.

 

Edorta zeigt auf die Salzbecken, die auf stabilen Holzkonstruktionen die Hänge des kleinen Tals säumen. Begeistert breitet er sein ganzes Wissen über die Salinen von Añana vor mir aus, und er wechselt dabei rasch zwischen spanisch und dem für mich unverständlichen Euskara, der Sprache der spanischen Basken. Als ich in dem Kauderwelsch die Wörter „Flor de Sal“ – spanisch für Fleur de Sel - heraushöre, bin ich erleichtert. Ich habe das Ziel erreicht. Meine Salzblumenalm.

 

 

Über Jahrhunderte bestimmten binnenländische Salinen die Salzgewinnung in Spanien, wohl weil die Transportwege im Landesinneren besser ausgebaut waren, als zu den entfernten Küstenregionen. Erst mit dem Ausbau der Verkehrswege begann die Blütezeit der Meeressalinen. In Añana dagegen waren bis zum Jahr 2000 fast 95% der einstigen Saline dem Verfall anheim gegeben. Das Ende einer Jahrtausende andauernden, bewegten Geschichte um das „weiße Gold“?

 

Añana gehört zu den ältesten Orten des Baskenlands. Zu seinen Füßen öffnet sich das Valle Salado, das sich am Scheitelpunkt von 200 Millionen Jahre alten Hartsalzlagern befindet. Sie erstrecken sich über eine Fläche von 18 Quadratkilometern und sind zwei Kilometer tief. Oberhalb der mächtigen, unberührten Salzreserven entspringen Solequellen, deren Wasser mit 240 Gramm Salz pro Liter nahezu gesättigt ist.

 

In der Umgebung dieser Quellen gab es bereits vor 5.000 Jahren menschliche Siedlungen. In römischer Zeit entstand unweit von Añana im Ebrotal ein urbanes Zentrum, das der Geograph Ptolemäus wohl aufgrund der bedeutenden Solequellen Salionca nannte. Die erste urkundliche Erwähnung der Salinen von Añana stammt aus dem Jahr 822, als Abt Avito, Gründer des Klosters San Román de Tobillas, seine weltlichen Besitztümer der Bruderschaft überschrieb: 23 Salzbecken und eine Zisterne im Valle Salado.

 

Ein Salzbecken („Era“) im Valle Salado misst etwa 20 Quadratmeter. Es wird bis heute in aufwändiger Handarbeit aus Holz gefertigt und mit Lehm ausgekleidet. Die Becken sind terrassenförmig auf Holzpfählen angeordnet. Im Frühling vor dem Beginn der Salzsaison werden die Becken einer eingehenden Erneuerung unterzogen, ausgebessert und geflickt. Die Instand gesetzten Eras werden dann mehrmals mit Sole gefüllt, die beim Verdunsten eine harte, unduchlässige Salzschicht bildet.

 

Noch Mitte des 20. Jahrhunderts betrieben Salzbauern in Añana fast 6.000 solcher Eras mit insgesamt 11 Hektar Fläche. Im Jahr 2010, als eine neu gegründete Stiftung sich des historischen Erbes im Valle Salado annahm, waren gerade einmal 30 Salzbecken nutzbar, bis zur letzten Saison hatte man 150 Eras wieder hergestellt. Innerhalb der nächsten 20 Jahre möchte die Stiftung 6.000 Salzbecken in Handarbeit neu errichten.

 

Versorgt werden die Eras über ein drei Kilometer langes Kanalsystem aus ausgehölten und halbierten Holzstämmen, das Arteriensystem der Saline. Die drei Hauptkanäle an den Flanken des Tals und in der Talsohle nennen Edorta und die anderen Salineros Quintana, Medio und Meadero. Sie werden gespeist aus den vier Hauptquellen Santa Engracia, La Hontana, El Pico und Fuentearriba – jede der Quellen sprudelt mit vier Litern pro Sekunde aus der Erde.

 

 

Wieviel der kostbaren Sole jeder Salzbauer zur Bewirtschaftung seiner Salzäcker zugeteilt bekommt, ist im Libro Maestro streng geregelt. In dem Buch sind Zeiten und Mengen festgelegt. Da muss ein Salinero auch einmal um 4 Uhr morgens aus den Federn um an sein Salzwasser zu kommen, denn El Pico, Fuentearriba und die anderen Quellen fließen ohne Rücksicht auf die Arbeitszeit der Salineros. Damit diese sich dennoch das salzhaltige Fluidum für eine optimale Ausbeute der Eras einteilen können, haben sie Zisternen angelegt, in denen sie die Sole speichern und bei Bedarf mit einer Trabuquete, einer galgenartigen Hebeeinrichtung, abschöpfen können.

 

Edorta öffnet das Ventil an dem hölzernen Versorgungskanal und läßt das kristallklare Salzwasser in ein weiß strahlendes Becken sprudeln. Nach wenigen Minuten ist das Becken drei bis vier Zentimeter hoch mit Wasser gefüllt und Edorta schließt den Zufluss wieder. „¡Ya está!” – Fertig! Bis zu vier Tage dauert der folgende aufwändige Prozess aus Verdunstung und behutsamer kontinuierlicher Wasserzufuhr, bis das Flor de Sal geerntet werden kann. „Wir erwärmen das Wasser, bevor es in die Becken geleitet wird,“ erklärt Edorta, „sonst dauert die Ernte noch viel länger.“

 

Jetzt hängt alles vom Geschick der Salineros ab und davon, wie gut sie die Elemente beherrschen: Temperatur, Sonnenstunden, Wind und Luftfeuchtigkeit müssen perfekt harmonieren. Sinkt die Temperatur zwischendurch auf 18 Grad, verlängert sich die Entstehung der begehrten Salzkristalle an der Wasseroberfläche um drei bis vier Tage. Damit steigt das Risiko schadhafter Wettereinflüße: „Kommt Wind auf, bricht die fragile Salzschicht und die Kristalle sinken. Sind die Temperaturen zu hoch, verdunstet das Wasser schneller als gewünscht und die Kristalle verklumpen. Regen zerstört die Arbeit von Tagen,“ berichtet Edorta hastig mit gedämpfter Stimme, so als wolle er den Zorn der Götter nicht heraufbeschwören.

 

 

„Schau, schau,“ ruft Edorta jetzt wieder freudig und deutet auf eine Era wenige Meter entfernt. Schnell schnappt er sich seinen Rodillo, eine große perforierte Schippe, steigt mit den weißen Gummistiefeln in das Salzbecken und beginnt vorsichtig, aber ohne Zeit zu verlieren, die zarten Salzkristalle auf der Oberfläche abzuschöpfen. Seine Ernte füllt Edorta behutsam in Körbe, damit überschüssige Flüssigkeit abtropfen kann.

 

 

Gut ein Kilogramm der begehrten Salzblüte erntet ein Salinero pro Durchgang auf einer Era. Das sind etwa 50 Kilogramm im Jahr. In der gleichen Zeit bringt der Salzbauer die zehnfache Menge am gewöhnlicheren Mineralsalz ein, dem Salz, das in der Era nicht an der Oberfläche abgeschöpft wird, sondern vorher zu Boden sinkt.

 

Das feinkörnige Mineralsalz wird von den Salineros mit breiten Holzschiebern in der Mitte der Salzbecken zusammengeschoben

 

 

und dann durch kleine Luken in die Salzlager unter den Eras geschüttet.

 

 

 

Von dort wird es nach dem Abtrocknen in eines der Hauptlager namens Grande del Campo, La Ermita oder Revilla gebracht.

 

 

Neben dem Flor de Sal und dem Mineralsalz entstehen in den Salinen von Añana zwei weitere, äußerst ungewöhnliche Kuriositäten: Das Salzwasser aus den Solequellen wird gefiltert, als naturbelassenes Salzspray abgefüllt und eröffnet so ganz neue kulinarische Anwendungen. Fein zerstäubt verteilt sich das gelöste Salz gleichmäßig auf Fleisch oder Fisch vor dem Garen, auch auf Salaten oder Gemüse kann das flüssige Mineralsalz wunderbar angewendet werden.

 

Einzigartig in jeder Hinsicht sind die Chuzos, kleine Salzzapfen, die durch heruntertropfendes Salzwasser in mehreren Monaten unterhalb der Eras entstehen. Diese skurrilen Stalaktiten sind äußerst rar und gesucht, und wer überhaupt eines der Unikate erhalten möchte, muss viel Geduld aufbringen.

 

 

Glücklich schätzen dürfen sich die Gäste eines Restaurants, denen der Küchenchef am Tisch mit einer feinen Reibe wenige Kristalle eines Chuzo über ihre Speise raspelt.

 

Wissenschaftliche Untersuchungen haben ans Tageslicht gebracht, dass das Salz aus den Quellen von Añana eines der weltweit besten ist. Es ist kristallklar, mineralisch ausgewogen und lagerte 200 Millionen Jahre unberührt von Umwelteinflüßen im Boden.

 

Natürlich hat es auch einen fabelhaften Geschmack. Das bescheinigen einige der bedeutendsten Sterneköche Spaniens dem außergewöhnlichen Salz: Andoni L. Aduriz (Mugaritz), Eneko Atxa (Azurmendi), Martín Berasategui und Pedro Subijara (Akellare) werfen zusammen 10 Michelin-Sterne in die Waagschale für das Flor de Sal aus dem Valle Salado. Jeder der vier hat an einem Salzbecken seinen guten Namen anbringen lassen.

 

„Dieses Salz ist perfekt,“ freut sich Michael Kammermeier in der Küche des Wiesbadener Gourmetrestaurants Ente. „Es ist von einem so reinen Weiß, ich habe noch nichts vergleichbares gesehen.“ Kammermeier nimmt eine der zerbrechlichen Salzblüten und läßt sie buchstäblich auf der Zunge zergehen. „Im Geschmack kristallklar, sehr mineralisch,“ analysiert der erfahrene Küchenchef. Das Flor de Sal kommt auf der Zunge mit einem richtigen Salzkick, klingt dann sauber aus und neutralisiert den Gaumen.

 

„Ich kann mir das gut vorstellen zu einem Tartar vom kanadischen Bison,“ assoziiert Michael Kammermeier und richtet gleich einen Teller an: in einem galanten Schwung platziert er das Tartar und garniert es mit Kressevariationen und Bohnensalat. Zum Abschluss streut er spielerisch einige der ansprechenden Flocken vom Flor de Sal aus Añana über das Tartar. „Die knusprige Textur und der kräftige Salzgeschmack sorgen für sensorische Kontraste,“ erklärt Michael Kammermeier und reicht mir den Teller über den Pass.

 

In Gedanken lasse ich meine Reise zu den Salinen von Añana Revue passieren. Ich sehe Edorta wie er die Salzblüten behutsam von der Wasseroberfläche schöpft, erklimme die weißen Berge aus Salzkristallen in den Lagerstellen unterhalb der Eras und gleite entlang der hölzernen Kanäle, in denen die Sole von den salzigen Quellen herabströmt.

 

 

Das Wasser sprudelt und springt in den Kurven, ergießt sich gurgelnd über Stromschnellen, bis es im Tal ruhig in einem gleichmäßigen Strom ausläuft. Ich gleite auf ein hölzernes Rad zu, das seine Speichen ächzend und schwerfällig in das Wasser taucht… Aber das ist eine ganz andere Geschichte über die ich beim nächsten Mal berichten werde.

 

Das Sal de Añana ist z.B. als Flakes in der 125g-Packung exclusiv erhältlich bei Gourmantis.

 

 

 

Dieser Text erschien zuerst in dem Profiköche-Magazin Oscar's