Genuss & Gesundheit in Binz

Dorsch unter Kartoffel-Rosmarin-Kruste in der Strandhalle

Fucking guter Bürgerschmaus

 

Am Ende der Strandpromenade, wenige Schritte neben dem DRLG-"UFO" (heute vom Binzer Standesamt als Trauraum genutzt)...

 

 

 

... liegt das Reich von Toni Münsterteicher

 

 

Der waschechte Ostwestfale mit Zwirbelbart war vor knapp 20 Jahren der Liebe wegen an die Ostseeküste gekommen. Die beiden (Toni & seine Liebe) bauten das ehemalige Lagergebäude für Strandkörbe in eines der witzigsten, skurrilsten und gemütlichsten Gasthäuser Rügens um. Die Strandhalle ist in den Hauptsaisons mehrschichtig ausgebucht, aber mit Reservierung geht eigentlich immer was draußen auf den schönen Terrassen oder drinnen in der kirchenhohen Halle zwischen Trödelmöbeln,

 

 

mobilen Livecooking-Stationen, Suppenkanone,

 

 

Schnaps-Paradies

 

 

oder Flambier-Wagen.

 

 

 

Münsterteichers Speisekarte folgt seinem Credo "Fein-bürgerliche Küche, groß-bürgerliche Portionen zu klein-bürgerlichen Preisen". Wir ließen uns von Tonis Köchen ein paar Miniaturen seiner beliebtesten Gerichte bringen und fanden alles durchweg makellos bis superlecker:

 

Die Birnen-Selleriecremesuppe

 

 

schmeckt zum Glück mehr nach Knolle denn nach Frucht und kommt mit Croutons und Selleriestroh.

 

Vom "Selbstgemachten Sauerfleisch vom Gademower-Eisbein mit Remouladensauce und Bratkartoffeln"


hätten wir sofort fünf Einmachgläser mitgenommen, aber Toni verkauft das leider nicht außer Haus. Nicht minder fucking guter Bürgerschmaus ist der in der Strandhallenküche als "Bratwurst" geadelte (wegen der Beliebtheit - es ist das meistbestellte Gericht hier) "Ostseedorsch unter der Kartoffel-Rosmarinkruste auf Wittower-Sahne-Wirsing mit Senf-Basilikumsauce"


Fast noch besser in seiner edlen Schlichtheit fanden wir den zweiten Dorsch –"Lothars Leibgericht".

 

 

Münsterteicher klärt auf: "Onkel Lothar war Fischer, und er mochte seinen Dorsch am Liebsten so, wie ihn Tante Lydia zubereitet hat: Nach dem Sortieren des Tagesfanges rief er zuhause an und machte sich mit einem Dorsch auf den Weg, während Lydia schon mal die Kartoffeln aufsetzte.“

 

Dieses „Leibgericht“ ist denn auch ein Musterbeispiel für energie-effizientes sequentielles Kochen, denn in der Kartoffelbrühe garen gleichzeitig die Begleit-Gemüse (Lothar liebte frisch gepalte Erbsen heiß und innig), und wenn die Beilagen fertig zum Stampfen sind, kommen die Dorschfilets für fünf Minuten rein. Das langt, um die Fischsegmente glasig zu garen und auseinander zupfen zu können.

 

Bei Lydia und Lothar, der selbst nicht mehr zur See fährt, seinen Dorsch aber immer noch genau so wie früher auf dem Teller haben will, gibt es manchmal eine Senfsauce dazu. Wenn es schnell gehen soll, langt aber auch ein guter Stich Butter. Nie fehlen dürfen aber die selbst frittierten Zwiebelringe oben drauf.

 

Die Kochmonster haben, frech wie sie halt sind, den Lother-Dorsch einfach mal nachgekocht – hier geht's zu unserem Kochrezept...

 

 

Den eingelegten "Rügener Badejunge" (ein Käse in Marinade) und die "Poseritzer Bauernpfanne" – Zwei Gademower Würstchen mit Senf und Speck umwickelt, im Bierteig gebacken auf Bratkartoffeln und Spreewälder Gürkchen – sahen wir bei anderen Gästen, die essen wir beim nächsten Besuch.

 

Gesund Genießen

 

Das Restaurant „meerSalz“

 

 

im Viersterne-Superior-Upstalsboom-Hotel "meerSinn" (mit angeschlossenem Highend-Gesundheitszentrum, in dem sich sogar Spitzenleute aus DAX-Konzernen für gut und gern auch mal über 20.000 Euro den Burnout aus dem Hirn blasen lassen) ist das erste und einzige Bio-Restaurant auf der Insel Rügen. Die Verbindung von Genuss mit gesunder Ernährung bis hin zu den teilweise recht unübersichtlichen Vorschriften der "F. X. Mayr-Medizin" in der frischen Küche von Mathias Gadow

 

 

und seinem Team überzeugt auch den verwöhnten Gourmet. Gleichzeitig geht die Küchencrew mit ihrem Programm "Bio-Gustogenese" individuell auf die Bedürfnisse des einzelnen Gastes ein. Lebensmittel in zertifizierter Bio-Qualität aus der Region machen die meerSalz-Küche unverwechselbar. Allerdings ist Kochen mit diesen Zutaten auf Rügen schwerer als anderswo, denn im einzigen Bioladen auf der ganzen Insel, einem Mini-Geschäft praktischerweise schräg gegenüber des "meerSalz" gibt es kaum Frischeprodukte, der nächste gut sortierte Bio-Markt ist auf dem Festland in Stralsund. Zusätzlich nimmt Gadow noch Rücksicht auf sämtliche momentan angesagte Allergien von Laktose bis Gluten. Und auf Veganer. Gadow: " Wir achten streng darauf, ausschließlich Lebensmittel zu verwenden, die keine Geschmacksverstärker sowie Farb- und Konservierungsstoffe enthalten. Bei Allergien und Lebensmittelunverträglichkeiten kocht unser spezialisiertes Team auf Wunsch auch histaminreduziert sowie fruktose-, laktose- und glutenfrei für Sie. Wir sind Mitglied des Netzwerkes „wir sprechen allergisch“, das sich der Entwicklung touristischer Angebote für Menschen mit Lebensmittelallergien in Mecklenburg-Vorpommern verschrieben hat."

 

Vor diesem Hintergrund der Selbstbeschränkung staunten wir nicht schlecht, wie schmackhaft Gadows Gerichte sind, die wir zum Lunch in den wunderbar lichten, an modene Schiffsarchitektur erinnernden Gesträumen des meerSinn/meerSalz verkosten aus der übersichtlichen aber klug aufgestellten Speisekarte durften. Das begann schon mit dem (klug zugekauften) Brot samt Curry-Aufstrich

 

 

gefolgt vom Küchengruß, eine tomatige, angenehm angeschärfte kalte Gazpacho.

 

 

Auch die beiden Suppen ohne Fehl und Tadel: Die mit der frischen Schärfe von Ingwer pikant gekochte Möhrensuppe mit mariniertem Karotten-Spieß auf dem Glas

 

 

ebenso wie die intensiv nach Butternut und Muskat schmeckende Kürbissuppe.

 

 

Bei den Vorspeisen und Hauptgerichten schaltet Gadow noch einen Gang rauf, schon die Dekoration der Teller entspricht aktuellen Gourmet-Standards. Die (auch als kleines Hauptgericht ausreichende) Vorspeise "Mit Honig-Cashew-Creme gefüllte Tarte"

 

 

ist zwar vegan, entzückt aber selbst den kritischen Omnivorengaumen, was auch auf das vegetarische Hauptgericht "Mit Tomaten-Feta gefüllte Maisgrießschnitte mit Auberginen-Salbei-Ragout". Die Polenta umhüllt herrlich kross den tomatisierten Schafskäse, und die Auberginen haben sich naturgemäß mit ausreichend Fett vollgesaugt, um ihre Funktion als "Sättigungsbeilage" zu erfüllen. Hinterher geht noch ein erwähnenswert guter Espresso und – auch das gibt es hier – ein Schnaps von "1ste Edeldistillerie Rügen" in den Sorten Zwetsche, Birne, Pflaume, Kirsche und der unvermeidliche Sanddorn (natürlich nicht als Brand, sondern nur als aromatisierter Geist).

 

Damit bietet sich das "meerSalz" auch kerngesunden Binzbesuchern als leichte und überaus schmackhafte Abwechslung zu der oft doch recht schweren Inselkost an – und wer will, kann Gadows Rezepte auch zu Hause aus seinem Buch "Das Artepuri-Kochbuch: Genussrezepte für ein gesundes Leben" nachkochen:

 

 

 

Von Ayurveda zum Hornhecht

 

Im Restaurant Ruiani (slawisch für Rügen) im Private Palace Grand Hotel Binz am ruhigeren Ende der Strandpromenade kann sich der Gast auf die leichte Küche von Chefkoch Heiko Philipp

 

 

freuen. Der verwendet gerne regionale Produkte, die er im jahreszeitlichen Rhythmus verarbeitet wie das gebratene Filet vom Boddenzander mit Spargel und aromatischem Zitronenrisotto. Eine Extra-Karte für Wellness- und ayurvedische Gerichte ergänzt das Angebot.

 

 

Mehrfach vom Gault Millau ausgezeichnet (13 Punkte)und ganz frisch umgebaut ist das Kurhaus-Restaurant im Travel Charme Kurhaus Binz. Immer freitags gibt es das traditionelle Binzer Fischfestival mit Buffet. Aus der hauseigenen Konditorei kommt die Kurhaus-Torte, für die Kaffeegäste von weit her anreisen. Sie besteht aus Schokolade und einer raffinierten Sanddorn-Füllung – und schmeckt in dem herrschaftlichen Kurcafe mit seiner erhabenen Empore

 

 

auch den Nicht-Hotelgästen.

 

 

Sanddorn

 

 

wächst auf Rügen besonders gut. Klar, dass die „Zitrone des Nordens“ auch in Binzer Restaurants eine Rolle spielt. In der Brasserie des Loev Hotels

 

 

ist es sogar eine Hauptrolle. Auf der Sanddornkarte stehen beispielsweise eine Karotten-Sanddorn-Suppe,

 

 

mit Sanddorn und Senf mariniertes Rindersteak, Dorschfilet unter der Apfel-Sanddornkruste auf Rahmwirsing oder zum Dessert Sanddornsüppchen mit Erdbeersorbet.

 

Hornhecht im Netz von Fischer Kuse

Wenn im Mai die Buchen über dem Fischerstrand ihr grünes Kleid anlegen, weiß Jürgen Kuse: Es ist Hornfisch-Zeit! Gegen vier Uhr morgens fährt der Fischer raus auf die Ostsee und holt die ersten Exemplare aus dem Stellnetz. „Wenn ich dann wieder Richtung Strand fahre, scheint die Sonne auf die weißen Villen und bringt sie zum Strahlen“, schwärmt Jürgen Kuse. Der gebürtige Binzer staunt immer wieder über die rasante Entwicklung, die das Ostseebad Binz in den vergangenen 25 Jahren genommen hat. Ihm selbst ist es ebenfalls gut ergangen - dank der rettenden Idee, den Fisch selber an die Gäste zu verkaufen. Seine Fischräucherei am Strand ist längst Kult, sogar Bundeskanzlerin Merkel war schon da. „Die Wiedervereinigung hat alle meine Erwartungen übertroffen“, sagt Jürgen Kuse.

 

Jedes Jahr im Mai kommt der Hornhecht zum Laichen nach Rügen. Gegen vier Uhr morgens fährt der letzte Fischer in Binz dann raus auf die Ostsee und holt die ersten Exemplare ins Boot.

 

 

Das Stellnetz hat er bereits am Vortag in den Meeresboden der Prorer Wiek gesetzt. Ähnlich wie es schon sein Urgroßvater vor 120 Jahren machte. Für den 51jährigen stand früh fest, dass er nichts anderes machen will. An einem klaren Frühlingsmorgen leicht nachvollziehbar. „Der Blick vom südlichen Ende des Fischerstrandes über die Binzer Bucht bis nach Sassnitz ist atemberaubend“, erzählt Kuse.

 

Den gebürtigen Binzer erstaunt es immer noch, wie schnell die prächtigen Bäderarchitektur-Villen in Binz nach der Wende saniert wurden. Er selbst sieht sich auch ganz klar als Gewinner der deutschen Vereinigung. Von den acht verbliebenen Küstenfischern in Binz zum Ende der DDR hatte nur er den Mut, auf eigene Faust weiter zu machen. Er nahm die Veränderungen positiv als „Herausforderung und Chance“ an und wurde Unternehmer. Grundlage war die Überzeugung, „dass auch im vereinten Deutschland die Gäste weiter nach Binz kommen“. Doch wie gut es sich für das Ostseebad und ihn entwickeln würde „das hat alle meine Erwartungen übertroffen.“ Dank der rettenden Idee, den Fisch selber an die Verbraucher zu verkaufen. Direkt vom Boot und anschließend in seiner „Fischräucherei Kuse“, einem Imbisslokal mit Verkaufstresen am idyllischen Fischerstrand.

 

 

 

600 bis 900 Gäste kommen in der Saison täglich zu ihm, inzwischen beschäftigt Kuse zehn Mitarbeiter, hinter dem Fischlokal parkt ein SUV. Als die Subventionierung der Küstenfischerei mit dem Ende der DDR wegfiel, war klar, dass er nicht länger alleine vom Fang leben könnte. Umgekehrt könnte er wirtschaftlich ohne die Fischerei auskommen, aber die Frage stellte sich nicht. Jürgen Kuse ist Küstenfischer aus Leidenschaft und für ihn ist es der Kern des Geschäfts.

 

Abseits vom Trubel und ohne Durchgangsverkehr ist der Fischerstrand heute ein Ruhepol in Binz. Als Jürgen Kuse klein war, war am traditionellen Standort der Küstenfischer morgens Hochbetrieb. „Es war klasse für mich als Kind, wenn die alten Fischer ihre Geschichten erzählten, das hatte schon Nostalgie und Romantik“, erinnert er sich. Die Fischräucherei ist heute der beste Ausgangspunkt für Wanderungen in die Natur und Kuse fühlt sich oft als Außenstelle der Touristeninfo. „Bestimmt 20, 30 Mal am Tag gebe ich Wandertipps“ lacht er.

 

Inzwischen könnte Jürgen Kuse die gemütliche Bretterbude am Strand durch ein schickeres Lokal ersetzen, doch das urige Ambiente ist längst Kult. „Bei uns kann man sich gehen lassen, auch einfach in der Badehose kommen“, meint Kuse. Beeindruckt hat ihn der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wir hatten ein nettes Gespräch, sie war sehr interessiert und überhaupt nicht oberflächlich.“ Gäste, die gleich nach der Wiedervereinigung als Kind mit ihren Eltern hier waren, bringen inzwischen ihre eigenen Kinder mit. Und für viele ist es zum Ritual geworden, als letztes vor der Abreise noch mal zu Fischer Kuse auf ein Fischbrötchen zu gehen. Das Rezept für die Hausspezialität Pfeffer-Hering hat Kuse von einer alten Fischersfrau und das Einlegen hat 25 Jahre lang seine Mutter Rike gemacht, sie ist gerade 80 geworden. Nun ist es die Aufgabe von Ehefrau Petra.

 

Jürgen Kuse fischt ganz traditionell und liegt damit genau im Trend, denn die Stellnetz-Fischerei ist die nachhaltigste Art des Fischfangs. Mit Stellnetzen fängt Kuse besonders zur Heringszeit. Wenn die zugewiesene Fangquote für Heringe erreicht ist, geht Kuse zu Aalreusen über. Manchmal ist die Heringsmenge bereits ausgeschöpft, wenn der Hornfisch kommt. Dann ist der Fang deutlich aufwändiger. Erst müssen rund 3000 Tobias-Fische als Köder gefischt werden, dann jeweils auf einen der Haken gespießt werden. Die Reuse wird nachmittags ausgelegt. Schon um zwei oder drei Uhr morgens wird sie wieder aufgenommen. Das dauert etwa vier Stunden, drei Stunden das Reinigen der Reusen. Ein Fulltime-Job.

 

 

Gleichzeitig mit dem Hornfisch kommt der Dorsch, danach folgen Flunder und Scholle. Und der Aal. Wenn es wieder kälter wird, kommt der Seelachs. Alle kommen immer früher im Jahr. „Die Ostsee wird wärmer“ beobachtet Kuse. „Die Erderwärmung“ fügt er trocken hinzu. Weder Ozonloch noch EU-Fangquoten schrecken die Kuses vom Fischfang ab. Die Zukunft des Familienbetriebes ist gesichert. Sohn Manuel macht gerade das Kapitänspatent, nachdem er eine Fischerlehre absolvierte. Und auch als erfolgreicher Radsportler tritt er in die Fußstapfen des Vaters. Der geht es inzwischen ruhiger an. „Zusammen mit meiner Frau radle ich kreuz und quer über die Insel, Binz ist der perfekte Ausgangspunkt dafür“, sagt er.

 

Kuse mag die Zeit im April und Mai besonders gerne, „wenn man sich schon auf den Sommer freut, es aber noch ruhiger ist“. Die Ostsee ist nur dann so richtig türkisfarben, sie verändert ihre Farbe über das Jahr. Am klarsten ist das Meer im Winter, „dann kann man bis sieben Meter tief unter Wasser sehen“, erzählt Kuse.

 

Zurück an der „Fischräucherei Kuse“. Gegen sechs Uhr knistert verheißungsvoll das Feuer über dem Buchenholz im Räucherofen, der Hornfisch hängt darin und ist gleich fertig. Jürgen Kuse selber mag die Hechtart wegen ihres mageren Fleisches, am liebsten gekocht mit Petersiliensoße und Kartoffeln.

 

 

Viele Gäste bestaunen die Rügener Spezialität mit dem langen Schnabel lieber als ihn zu probieren. Sie entscheiden sich dann doch für den vertrauteren Hering. Auch die blaugrünen Gräten schrecken eher ab. Dabei seien die doch ein klarer Vorteil, meint Fischer Kuse, „die sieht man wenigstens gut“.