Spitzenköche in Oaxaca

Mexicos Herd-Hoffnung Alejandro Ruiz Olmedo. Foto: Miguel Angel Avendaño

Kein Oxtail in Oaxaca

Ausgerechnet in Mexiko haben sich sieben Köche dazu aufgeschwungen, Ferrán Adrias These in die Tat umzusetzen, in zehn Jahren sei die internationale Küche lateinamerikanisch. Das könnte ihnen glatt gelingen.

 

Neben Enrique Olvera oder Monica Patino ist Alejandro Ruiz Olmedo an vorderster Front dabei. „Food has to have a soul“, glaubt der fließend Englisch sprechende Starkoch. In Oaxaca, Hauptstadt des ärmsten und auch authentischsten Bundesstaat Mexikos, definiert der 39-jährige Alejandro Ruiz seit einem Jahrzehnt in mittlerweile drei Restaurants, was neue mexikanische Küche ist, kann und will: viel.

 

Oaxaca (ua-cha-ka ausgesprochen) liegt im Süden Mexikos. Fünf bis sechs Millionen Einwohner leben in der Hauptstadt, in einem fruchtbaren Tal, eingefasst von den Bergketten der Sierra Madre. Auch nachts sieht man die Sierra noch, denn das Lichtermeer dieser ausufernden Stadt verlöscht nie. Morgens erhebt sie sich in unmöglichen Farbschattierungen aus dem Frühnebel, später am Tag liegt sie da wie antikapitalistischer Schutzwall, der alles Neue fernhält.

 

Hier arbeitet Alejandro Ruiz, der mit 15 als Tellerwäscher aus dem Dorf in die Stadt kam, mit 16 Vater wurde und mit 19 wusste, er würde bald ein Restaurant haben. Bittere Armut prägt diese Region, kulturelle Rückständigkeit und Bigotterie, die mich als Katholikin nach dem dritten echtvergoldeten Hochaltar in Folge an den Rand des Kirchenaustritts brachte.

 

Aber hier lebt auch eine Küche, die in ihrer handfesten Köstlichkeit an die Aufbruchstimmung in der modernen toskanischen Küche erinnert. Alejandro Ruiz, der bei Kolja Kleeberg im „Vau“ kochte, San Sebastian für Europas kulinarischen Nabel hält und Heston Blumenthals Kochbücher als Bettlektüre verschlingt, entwickelte binnen zehn Jahren in seinen Restaurants „Casa Oaxaca“ eine regional geprägte mexikanische Küche mit modernem Einschlag. Das klingt schlüssig, wenn man’s probiert, nur muss man erstens drauf kommen und zweitens so ein Abschmeckgenie sein wie Alejandro Ruiz.

 

Er sagt es anders: „Balance, darauf kommt es in der Küche an. Und auf gute Grundzutaten“. Für das eine hat er ein angeborenes und durch Besessenheit perfektioniertes Händchen. Für das andere muss er nur auf einen der unzähligen Märkte marschieren, die schon früh morgens geöffnet haben und Städte für sich sind.

 

Foto: Miguel Angel Avendaño

 

Kann Martin Scorcese hier seinen nächsten Film drehen, bitte? Zwischen Indio-Frauen, die auf einen Käufer für ihren über Monate gehegten, auf dem Schoss schlummerndenTruthahn warten, damit sie sich Streichhölzer, Zucker, Öl und ein Mittagessen leisten können. Auf dem Brotmarkt, der panateria, wo an achtzig Ständen das gleiche Brot angeboten wird, das immer anders schmeckt. Bei den nuschelnden Kräuterfrauen, mit der Steadicam entlang der enormen Chilistände, unter Kokosnussbergen...

 

Es ist so toll hier! Nicht umsonst gehört Oaxaca-Stadt zum Weltkulturerbe der UNESCO. Ursprünglich-traditionell und lebendig-modern, so geht’s zu in der Stadt und in der Oaxaca-Küche. Trotz nur fünf Grundzutaten – Kräuter, Chilis, Mais, Bohnen, Kürbis – ist sie zum Reinsetzen lecker.

 

Texmex in Berlin ist schärfer

 

Während ich an seiner Ceviche mit Mahi-Mahi, Selleriebrunoise und Ananasstückchen knabbere, kocht Senor Ruiz sein Grundrezept für eine Chilisauce und kombiniert sie exklusiv für mich Kochmonster mit Rehmedaillons. Sagte ich schon, dass es zum Reinsetzen schmeckt? Und vor allen Dingen nicht scharf. „Würden wir Mexikaner so scharf essen wie Ihr in den Tex-Mex-Restaurants, hätten wir längst Magengeschwüre“, sagt Alejandro. „Chilis nehmen wir für die appetitliche Farbe eines Gerichts, für das Aroma, für die Gesundheit und für einen Hauch Schärfe.“

 

Als Doppelspitze mit Peru für die Raffinesse könnte diese neue Küche mit ihren sauberen Grundaromen, den feinen Spitzentönen, den ehrlich bemessenen Portionen und dem Mangel an Schnickschnack der internationalen Küche das zurückbringen, was ihr im Moment doch arg fehlt. Die Seele.

 

Gabriele Gugetzer

Mezcal aus Oaxaca

Traditionelle Mezcal-Herstellung in Oaxaca: ohne Pferd geht da nichts; Foto: Miguel Angel Avendaño

Da ist nicht der Wurm drin

 

Kochmonster-Autorin Gabriele Gugetzer trank und schlemmte sich durch die mexikanische Provinz Oaxaca. 1000 Promille später weiss sie nun: nicht der Wurm macht einen guten Mezcal. Sondern das Pferd.

 

Sehr gute Weine habe Mexiko mittlerweile, wurde mir versichert. Nach dem fünften Versuch mit Kunsthonig in der Nase und Retsina am Gaumen guckte ich mir an, was die anderen im Glas haben. Häufig Bier, manchmal den fein-herben Saft aus Hibiskusblüten, genannt Jamaica, selten chilenische Rote, meistens Mezcal. Der galt lange Zeit als der zerlumpte Onkel des Tequila. Tequila checkte im Hotel California ein, Mezcal war das Zeug mit dem Wurm drin.

 

Dabei ist die Agave, aus der Mezcal gebrannt wird, der natürliche Wirt des Wurms. Ein cleverer kleiner Mezcalero (die Brenner heißen tatsächlich so) machte in den 1950er-Jahren daraus ein Markenzeichen. Aber was einen guten Mezcal ausmacht, ist nicht der Wurm. Sondern ein Pferd.

 

Doch von Anfang an. Genauer gesagt, zurück ins Jahr 2005, als sich die staatliche Organisation Comercam der Qualitätskontrolle des Mezcal verschrieb. Das Ziel: mit der coolen Tante Tequila aufzuschließen. Reifung in kanadischer oder französischer Eiche, Zertifizierung, DOC-Status, Lage, Boden, Klima, Ertrag... diese zwischen Bordeaux und Islay gebräuchlichen Stichworte hielten nun Einzug in Matatlan, Mexico.

 

 

In diesem staubigen Städtchen unweit von Oaxaca-Stadt machen rund 9000 Einwohner nichts Anderes als Mezcal. Selbst die Hunde, die zu mexikanischen Kleinstädten gehören wie eine gewisse, manchmal lähmende Tristesse, sind blau. Schon am Morgen liegt so viel Gärstoff in der Luft, das geht gar nicht anders.

 

 

Vor dem Ort, im Ort, oberhalb des Orts und wo sonst noch Platz ist, wächst der Maguey genannte Grundstoff, der schon in prähispanischer Zeit von Mixteken, Tolteken und Zapoteken angebaut, zur Gottheit erklärt oder zumindest neben Mais und Bohnen als Grundnahrungsmittel eingesetzt wurde. Heute gibt es um die 700 Brennereien, die in Oaxaca, dem Hauptproduzenten des Landes, Mezcal brauen. Ist es eine Minikaschemme, wächst der Maguey vor der Tür. Ist es eine größere Operation, steht er feldweise in Reih und Glied, manchmal auch terrassiert, deutschen Weinbergen nicht unähnlich, halt in stachelig. Nach acht bis zehn Jahren Wachstum ist Erntezeit, das Maguey wandert zerhackt unter einen Berg heißer Erde und wird bis zu fünf Tagen geräuchert.

 

Foto: Miguel Angel Avendaño

 

Jetzt kommt das Pferd ins Spiel. Ein guter, moderner Mezcal wird unter Aufsicht der Comercam nämlich traditionell und nicht industriell hergestellt. Das heißt: Auf einem enormen Steinrund mit einem gigantischen Mörser wird das gekochte Material von einem Pferd, das im Uhrzeigersinn trabt, zermahlen. Bevor Tierschützer aufheulen: Der Arbeiter, der das Pferd antreibt, trabt im Uhrzeigersinn hinterher. Sechs Stunden täglich.

 

 

Danach wird das zerkleinerte Material gemaischt und liefert nach sechs Monaten Joven, den jungen Mezcal. Taugt der was, wird er ein Jahr im Holzfass zum Reposado ausgebaut, nimmt farblich erste Holztöne an, ist tiefer, runder, rauchiger. Die höchste Qualitätstufe ist der Añejo, der zwei Jahre im kleineren Holzfass lagert. Sein Qualitätsmerkmal: Er bleibt im Mund und brennt nicht an der Kehle.

 

 

In Oaxaca-Stadt hat eine junge Generation Mezcal entdeckt und verkostet ihn in Mezcalerias, die auch in New York oder Barcelona stehen könnten. Im Angebot sind Vertikalverkostungen und Mixgetränke, die das rauchige Mezcal-Aroma mit einem Schuss Süße ausbalancieren. 5 Teile Mezcal, 3 Teile Amaretto Disaronno, abgeschmeckt mit einem Schuss Limettensaft und etwas Zucker, auf Eis gerührt – von diesem köstlichen „Smoked“ kann man zwei trinken, wie die Autorin aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Danach sind die Feinheiten in der Säuregradierung oder der vorangegangenen Agavenkultivation, wie sie Alberto Sánchez López in seinem „Oaxaca: Tierra de maguey e mezcal“ (mit englischer Übersetzung) beschreibt, jedoch nicht mehr zu spüren.

 

Gabriele Gugetzer