Grand Marnier und 50 cents

Cognac mit Orangenhaut

Von Gabriele Gugetzer

1827 gründete ein Vorfahr unweit von Paris eine Fabrik für Obstliköre. 1880 entdeckte sein Enkel Louis-Alexandre Marnier Lapostolle seine Leidenschaft für Cognac. Der junge Marnier dachte sich eine Aromenkombination aus und mischte hochwertigem Cognac Bitterorangenstoffe bei. Der Rest, das darf man sagen, ist Geschichte. Obwohl... die ganz große Geschichte liegt schon einige Jahrzehnte zurück. An diesen Erfolg will das Unternehmen wieder anknüpfen.

 

Wir sind zu Besuch bei Grand Marnier, die in Amerika so viel verkaufen wie sonst nirgendwo. Auch nicht in Frankreich. Und schon mal gar nicht in Deutschland. Wenn bei uns das Thema auf Orangenlikör kommt, geht es um Triple Sec, der aus Alkohol – alles zwischen Korn bis weißer Rum – gemacht wird. Grand Marnier, ausgenommen der einfache Cordon Jaune, wird nur aus Cognac gemacht und je teurer, desto hochwertiger die dafür verwendeten Lagen. Der Preis hat mit einem aufwändigen Herstellungsprozess zu tun. Und kämpft gegen einen Makel.

 

 

Im Jahr 2012 gingen 48 Prozent des flüssigen Exportguts aus Frankreich nach China. Die sorgen (noch, wenn man Munkeleien trauen mag) dafür, dass Bordeauxs ihre hohen Preise halten können. Aber bei Cognac liegt der Hase im Pfeffer: Zwischen Singapur, Hongkong und Shanghai hat man ihn längst entdeckt, aber cool ist trotzdem was Anderes. Auch die Adoption von Cognac seitens millionenschwerer amerikanischer Rapper wie 50 cents und Snoop Dogg (sorry, ich meinte natürlich Snoop Lion) hat beim Absatz geholfen, nicht aber beim Image. Die street cred aus USA schwappte auf Europa kaum über.

 

Cognac gilt bei uns, Frankreich ebenfalls wieder eingeschlossen, als Altherrengetränk. Als Digestif, den man sich nach dem Essen wegen der Polizeikontrolle lieber verkneift. Das Rumgeschwenke und Angewärme im riesigen Glas (Sie erinnern sich an die verführerische Szene in „Fenster zum Hof“, in der Grace Kelly den Cognac wärmt) finden Weinkenner affig; die bevorzugen mittlerweile die kleinen Gläser, nosing glass genannt, wie sie auch zum Verkosten von Whiskey verwendet werden.

 

 

Außerdem ist Cognac teuer. Nicht nur die Herstellung ist aufwändig, auch die Auflagen, unter denen er entsteht, sind streng. Das kostet.

 

Für den deutschen Markt konzentriert sich Grand Marnier auf drei Liköre auf Cognacbasis, Cordon Rouge und die zwei Jubiläumsbrände Cuvée de Centenaire zum 100. und Cuvée Cent Cinquantenaire zum 150. Jubiläum. Sie spielen nicht nur aromatisch, sondern auch preislich in einer völlig anderen Liga als ein Triple Sec. Der 150er ist nicht unter 120 Euro zu bekommen. Auch der 100er, der 1927 vom oben schon erwähnten Louis-Alexandre Marnier Lapostolle entwickelt wurde, ist nicht nur eine Handvoll Silben im Mund, sondern kostet auch um 60-70 Euro. Der Cordon Rouge liegt bei etwa 22 Euro. Von ihm verkaufen sie um 1 Million Kisten pro Jahr.

Brioche-Töne

 

In der Region Cognac oberhalb von Bordeaux hat man sich ganz der Qualitätssicherung verschrieben: heimische Produkte, heimische Hersteller, angestammte Verfahren. Nur aus zwei Wäldern der Region, dem Eichenwald von Tronçais (zarte Holzmaserung) und dem Wald von Limousin (gröbere Holzmaserung), dürfen die Hölzer für Fässer stammen, in denen Cognac reift. Im Rest Frankreichs ist man da nicht so pingelig; im Bordeaux wird auch Amerikanische Eiche verwendet, sonst wären die französischen Wälder auch längst kahl geschlagen.

 

Die Fassmacherei ist immer noch reine Handarbeit und ohrenbetäubende dazu. Drei große und 20 kleinere Küfer arbeiten im Cognac, und auch nur Fässer aus deren Produktion dürfen für Cognac verwendet werden. Bevor das Holz – zwischen 150 und 200 Jahre alt - verarbeitet wird, lagert es 36 Monate unter freiem Himmel. Der Regen spült in dieser Zeit auf ganz natürliche Weise die „uninteressanten“ Tannine heraus, sagt Emmanuel Jean, Chef der Tonnellerie Doreao, die zu den drei Großen gehört. Das ist aber auch das Einzige, was sich an diesem Job selbst macht.

 

Die Dauben werden noch hydralisch geschnitten. Der ganze Rest geht von Hand und so laut, dass einem Beobachter nach wenigen Minuten die Ohren summen. Präzise wie Uhrwerke, allerdings unterschiedlich getaktete, schlagen knapp 30 kernige Männer im Sekundentakt auf Fässer ein. Ob es nun das Zusammenbinden der Dauben zu einer Art Blumenstrauß ist, das Setzen oder das Einpassen der Ringe – alles wird von Hand mit kiloschweren Plastikhämmern erledigt. Wer daneben haut, darf sich auf Spott der Kollegen freuen und ist den Finger los, mindestens. Frauen finden sich in diesem Umfeld nicht, denn selbst Spitzensportlerinnen aus dem ehemaligen Ostblock dürften weder konstant solche Gewichte stemmen können (ein leeres Faß wiegt um 75 Kilogramm) noch das präzise, kernige, unerbittliche Hauen, einen ganzen Arbeitstag lang und bei einem Geräuschpegel wie beim Schmied, durchstehen.

 

Zwischendurch wird’s mal etwas ruhiger, wenn die Fässer überprüft und Lecks abgedichtet werden. Danach geht’s ans Flämmen und steigt ein wunderbares Aroma in der Halle auf. Jeder Cognac-Produzent hat seine genauen Vorstellungen, wie lange das Holz im Inneren des Fasses Röstaromen freilegt. Bei Grand Marnier bestellt man ein mittleres Toasten, knapp 30 Minuten. Dann kann das Holz die gewünschte Note, nämlich einen Brioche-Ton, abgeben.

 

 

Abschließend werden die Fässer außen schön gemacht. Auch dieses Schleifen ist reine Handarbeit. Sind die Fässer fertig, gehen sie schnellstmöglich in den Versand; jedes Fass ist um 670 Euro wert, sollte also flink den Besitzer wechseln. Im Lager hat Emmanuel Jean 1 200 Quadratmeter Eichenholz, bedeutet einen Warenwert von 7 Millionen Euro. Bei Grand Marnier selbst lagern 2 000 Fässer – auch das schon ein Wert von 1,34 Millionen Euro.

Der Brand

 

Die ulkige Glasform des Grand Marnier-Likörs ist nicht etwa von Frauenkurven inspiriert, wie man in Frankreich vermuten könnte, sondern von der Zwiebelform des gigantischen kupfernen Brennkessels. Nur diese Kesselform darf in Cognac verwendet werden. Eric Pinards Familie ist schon seit vier Generationen im Brenngeschäft, was beeindruckt, bis man hört, dass die ersten großen Cognac-Häuser bereits 1715 gegründet wurden.

 

 

Um die 70 Weinbauern beliefern ihn mit ihrem Traubensaft, aus denen er den Brand für Grand Marnier macht. Die Frage nach der Bedeutung alter Reben oder gar nach Bio-Trauben verneint Christian Maille, Prescsechef, mit typisch französischem Humor. „Bloß nicht. Ugni Blanc schmeckt auch so schon schlecht genug.“ Womit er meint, dass die Trauben (neben Ugni Blanc auch noch Colombard und Folle Blanche, beides in homöopathischen Dosen) als Wein auf Grund ihres hohen Säuregehalts kaum trinkbar, zum Destillieren jedoch wunderbar geeignet sind.

 

Destilliert wird übrigens zweimal – auch das per Gesetz für die Region Cognac.

Nur schnuppern, nicht essen

 

Weiter geht es mit einem Sprung über den Teich, nach Haiti. Dort wird die Citrus bigaradia angebaut, die Bitterorange, die dem Grand Marnier sein saftig-sahniges Aroma gibt. Sie duftet wie ein verträumter Sommertag und schmeckt atemberaubend ungenießbar. Die Frucht wird noch grün auf der hauseigenen Plantage gepflückt, geviertelt, in der Sonne getrocknet und dann nach Frankreich verschifft. Im Lagerhaus von Grand Marnier, gleich neben dem standesgemäßen Chateau, lagern die eingeschrumpelten dann bis zu zwei Jahren. (Ich habe noch kein Lagerhaus gefunden, aus dem es ähnlich appetitlich duftet.)

 

Da nur die Schale und nicht das Weiße verwendet wird, werden die Schalen vor dem Beginn des Destillierungsprozesses 24 Stunden in Wasser eingeweicht, damit sie sich schneller lösen. Die grünen Schalen kommen für 10 Tage in Alkohol und erst dann beginnt die richtige Destillation. Die weißen Schalen wandern auf den Kompost. Etwa 300 Tonnen Orangenschale werden jährlich für die Produktion verbraucht, das ist sehr viel; die Schalen wiegen nicht viel mehr als Eierschalen.

Die Anbaugebiete

 

Das Cognac selbst ist in fünf Anbaugebiete unterteilt, die sich in der Bodenbeschaffenheit und der damit verbundenen Traubenqualität unterscheiden. Sie heißen Bons Bois, Fins Bois, Borderies, Petite Champagne und Grand Champagne. Letztere sind die zwei höchsten Qualitätsstufen; Trauben aus der Grand Champagne haben ein Alterungspotential von bis zu 50 Jahren. Im teuersten Grand Marnier, dem 150er, werden nur diese Trauben verarbeitet, in der zweitteuersten Cuvée, dem 100er, sind es neben Grand Champagne auch Trauben aus der Petite Champagne. Dass das Ausgangsprodukt und der fertige Likör geschmacklich tatsächlich zusammenhängen und ohne Weiteres zugeordnet werden können, war für mich, ein ziemliches Cognac-Döfchen, eine beeindruckende Erfahrung. Die zweite Entdeckung: Der Teuerste ist nicht immer der Beste. Der mittelpreisige 100er war für mich eine perfekt abgestimmte Aromamischung aus einem klassischen Cognac und dem Marnier-typischen Aroma.

 

Adeline Loizeau (34), eine von mehreren Weinlagermeistern bei Grand Marnier, verkostet und riecht in der Produktionszeit bis Ende März (auch das rechtlich vorgeschrieben) bis zu 20 Cognacs pro Tag und bekommt täglich neue Proben vom Brenner Pinard, bis die richtige Zusammenstellung gefunden ist.

„Die“ Susi

Das Haus würde sehr gerne vom klassischen Kücheneinsatz von Grand Marnier wegkommen, sagt Christian Maille. Das ist verständlich, wenn man ständig nur mit Crêpes oder Soufflé assoziiert wird, ein bißchen schade aber auch, vor allen Dingen weil die Longdrink-Kombinationen, in denen er besonders gut funktioniert (Limette, Ingwer, Ginger Ale, Cranbeerensaft, Minze) durchaus auf Küchentauglichkeit jenseits der Dessertkarte schließen lassen.

 

Zwar sind heute die Anbauflächen um zwei Drittel geschrumpft, das das hat nichts mit dem fehlenden Absatz zu tun, sondern mit der Reblaus, die hier 1885 zuschlug. Vorher waren 200 000 Hektar Rebfläche für Cognac ausgewiesen und erstreckten sich die Weinberge bis fast direkt ans Meer. Heute sind es nur noch 70 000 Hektar. Christian Maille, der selbst aus der Champagnerregion kommt, sagt bedauernd: „In Frankreich existiert keine Bar-Kultur und gibt es auch nicht die Mixologists, die wir aus England, Amerika oder Deutschland kennen.“ Eine neue Generation Barkeeper hat Grand Marnier allerdings entdeckt. Ausgerechnet aus Belgien (Christian Maille kann nur staunend den Kopf schütteln, wenn er daran denkt) kommt ein cooler, verschließbarer, knallroter Plastikballon, mit dem sich ein Grand Marnier Longdrink discotauglich präsentiert, ewige Kerze eingeschlossen.

 

Die Autorin bei ihrer harten Recherchearbeit