Montréal

Eingangsschild der Auberge La Seigneurie du Lac

Speisen wie Gott in Kanada

 

Was den amerikanischen Party-Prinzen Florida ist, bietet US-Foodies Québec, wo der Verzehr von Foie Gras nicht als gesetzeswidriger Akt gebrandmarkt wird. Während sich Québec-Stadt auf solche klassische französische Küche spezialisiert hat, gibt’s in der Provinz dieser Provinz handfeste regionale Küche, und schließt Montréal mit der internationalen modernen Cuisine auf. Und das zu Preisen, von denen wir nur träumen können.

 

Die Expo 1967 war die Initialzündung: Québec wollte auf die internationale Speisekarte. Man holte sich Sterneköche aus der ganzen Welt. Einige blieben und setzten neue Akzente in einer Küchenkultur, die bis dahin vorrangig eine Familienangelegenheit am heimischen Herd gewesen war. Weil sich Québec im Gegensatz zum französischen Mutterland neuen Einflüssen gegenüber viel offener zeigt und keinen Food-Dünkel an den Tag legt, fielen die Einflüsse auf fruchtbaren Boden. Am eindeutigsten erschloss sich mir das beim selbstverständlichen Miteinander von Foie Gras und smoked meat, dem Klassiker der jüdischen Deli-Küche. Foie Gras hat auch jüdische Wurzeln, aber das führt jetzt zu weit. Beides steht hier hoch im Kurs und wird in Topqualität angeboten.

 

Qualität ist das nächste Stichwort. Für Montréalers, denen noch Ende April Eisstürme mit -40 Grad Celsius ums Näschen tosen, sind gutes Obst, Gemüse und Fleisch eine Frage des Überlebens. Chefkoch Normand Laprise, einer der Ausgezeichnetsten im Land ( Inhaber des einzigen Relais&Châteaux in Montréal, dem Toque!), weiß „als Farmerjunge aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, Produkte wie Spargel oder Lauch zu ziehen. Ich hatte einfach vor dreißig Jahre die Idee, mit den Bauern zu reden und ihnen zu sagen, was ich will und wie das geht. Ich dachte regional, lange bevor das Mode wurde.“ Die warenkundliche Pingeligkeit und der kulinarische Wagemut, den Laprise bei der Produktauswahl an den Tag legt, hat sich selbst bei kleinen Produzenten herumgesprochen. „Neulich kam einer mit drei Bund Dill zu mir.“ Ist das nicht finanzieller Selbstmord? „Wieso? Es war hervorragender Dill. Ich habe sofort meine Speisekarte umgestellt.“

 

 

Normand Laprise, der in einem Zwei-Sterne-Restaurant in Dijon lernte, Michel Bras, Eckart Witzigmann und Fredy Girardet als Vorbilder nennt, hat den Begriff cuisine terroire in Kanada eingeführt, möchte aber viel lieber dafür bekannt sein, dass er „kompliziert und nicht kompliziert“ kocht. So sieht das dann aus: Gewärmte Foie Gras von der Ente mit Wassermelonenwürfeln im Zucchini-Mantel. Ein dekonstruierter gegrillter Maiskolben, auferstanden als Schaum. Seeigel aus seinem Heimatsee, mit Ingwer. Perlhuhnbrust mit Auberginenpüree, Pfifferlingen und Ochsenschwanz. Die Weine kommen aus Frankreich, aber es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, dass sich das ändert. Die einheimischen Winzer werden auch dank der Klimaveränderung zunehmend selbstbewusster.

 

Die junge Generation steht in den Startlöchern. Stellvertretend für den modernen Stil, allerdings außergewöhnlich gut in der Ausführung ist das „La Montée“. Chefkoch Martin Chinon (32) eröffnete mit 27 Jahren sein erstes Restaurant, in dem er für 24 Gäste nur Vorspeisen zubereitete. Heute hat er mehr Platz, auch auf der Speisekarte. Heringsfilet in Curryvinaigrette, Confit vom Jungschweinebauch auf einem Spiegel aus Ofenpaprika, Ziegenkäse mit karamellisierten Zwiebeln und vin cotto auf einem Auberginenküchlein sind schöne Beispiele für eine meist täglich wechselnde Speisekarte mit europäischen Zügen. Er liebt Londons „St. John“ und die berühmte Tapas-Bar „Cal Pep“ in Barcelona und spart gerade für den nächsten Foodtrip, natürlich in Rene Redzepis Kopenhagener „Noma“ – aktuell drittbestes Lokal der Welt laut dem Ranking des "Restaurant Magazine".

 

 

Saftschnitte mit Jungschweinebauch: Chefkoch Martin Chinon

 

Die Alltagskultur des Essens in Montréal haben zwei ganz unterschiedliche Institutionen geprägt, das Deli „Schwartz“ mit hervorragendem smoked meat und der „Atwater Market“, ein Bauernmarkt, der bereits 1933 eine wunderschöne Art Déco-Halle auf zwei Stockwerken bezog. Die Atmosphäre ist traumhaft, die Produktqualität beeindruckend, das Essen köstlich. Kein Wunder, dass die Montréalers ihre traumhaft am Hang gelegene, wunderschöne Stadt mit Mountainbikes durchpflügen... der Speck muss weg.

 

In der Provinz isst man anders. Hier müssen die Portionen stimmen und gehört Fleisch und nicht zu viel Unbekanntes auf den Teller. Gut, das ist überall so auf der Welt. Aber eine Sauce aus weißer Schokolade mit wilden Blaubeeren zur Suprême vom Huhn findet man normalerweise nicht in der Provinz. Exclusiv für Kochmonster verriet Chef Alain Carbonneau das Rezept...

 

 

 

Die „Auberge La Seigneurie du Lac“ sieht von außen rustikal-kanadisch und von innen wie ein original erhaltenes Bordell aus der Goldgräberzeit aus. Hier kocht ein Autodidakt, erfolgreich, seit zwanzig Jahren schnurrt der Laden, im Winter kommen sie mit dem Snowmobil zum Abendessen. Ab und zu schaut bei Alain Carbonneau eine Foodzeitschrift vorbei, klaut ihm ein Rezept, dann fährt sie wieder. Scheinbar läuft das hier so, auf dem Land, wo Regionalstolz regiert und man kein Interesse daran hat, in Toronto oder Vancouver wahrgenommen zu werden. Immerhin liegt man an der Käsestraße und träumt man davon, den übrigens hervorragenden Käse nach Frankreich zu exportieren. Dahinter steht kein Größenwahn. „We just like to piss the French off“.

 

 

Das versuchen sie auch als fünftgrößter Produzent weltweit von Foie Gras. Foie Gras ist eine Frage des Nationalstolzes, das wird nirgendwo so sichtbar wie in Québec-Stadt und Restaurants wie „Le Saint Amour“, die sich auf Foie Gras spezialisiert haben. Sting war neulich hier, wird beiläufig erwähnt, dann geht’s schon an die aktuellen Spezialitäten. Foie Gras mit Armagnac und Feigenpüree, mit Fleur de sel, Aprikosen, Rucola und Brioche und als „Dekadenz auf sieben verschiedene typische Arten“. Letzteres kostet 35 kanadische Dollar. Das sind 22 Euro. Also: Hinfahren!

 

GABRIELE GUGETZER