Bobby Chinn

Der Geschmack Vietnams – Eine kulinarische Entdeckungsreise mit 110 Originalrezepten

kochbuch

Der Geschmack Vietnams – Eine kulinarische Entdeckungsreise mit 110 Originalrezepten
Bobby Chinn:
"Der Geschmack Vietnams – Eine kulinarische Entdeckungsreise mit 110 Originalrezepten"
Erscheinungsjahr: 2008
224 Seiten
110 Rezepte
29,95 EURO
ISBN: 13 978-3-88472-800-0

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Der Geschmack Vietnams – Eine kulinarische Entdeckungsreise mit 110 Originalrezepten Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Bobby Chinn sieht aus wie ein schwules Bikermodel. Aber Männer sollten bekanntlich nicht immer ihrem ersten Eindruck trauen. Tatsächlich spielte Bobby Chinn als Teenager so gefürchtet gut Rugby, dass er sich damit ein Schulstipendium für eine der Kaderschmieden Großbritanniens erkickte. Auch sonst kann gebürtige Neuseeländer von der Liste „Das muss jeder Mann im Leben gemacht haben“ reichlich abhaken. Er spielt Gitarre, handelte Wertpapiere an der Wall Street, überlebte als Stand-Up Comedian, lebte in San Francisco und verbrachte mal ein Jahr in der Horizontalen, als ihn ein Unfall zu strenger Bettruhe zwang.

 

Zu diesem Lebenstil aus Flapsigkeit und Besessenheit passt Kochen auf ziemlich hohem Niveau. Bobby Chinn nutzte seine Bettstatt zum Studium von Kochbüchern und Kochsendungen und ersann den Plan, in Vietnam ein Restaurant aufzumachen. Das Erstaunlichste: Es klappte.

 

Vorher musste er mit Anfang Dreißig San Franciscos Chefköchen wie Hubert Keller (Fleur de Lys) und Gary Danko (Gary Danko) so lange auf die Nerven gehen, bis sie ihm einen Ausbildungsplatz gaben. Doch dann ging es schon nach Ho-Chi-Minh-Stadt. Dort arbeitete er erst im „Camargue“, machte sich dann mit seiner Freundin und dem „Saigon Joe’s“ selbständig, musste nach drei Monaten aufgeben, ging nach Hanoi, eröffnete das „Miró“, wurde nach drei Monaten rausgeschmissen und eröffnete in den Hanoi Towers, dem einstigen berüchtigten Vietcong-Gefängnis Hanoi Hilton, das „Red Onion“. Viele Journalisten kamen, waren begeistert, Bobby Chinn schnupperte Morgenluft und saß schon wieder auf der Straße. 2001 ließ er einfach ein Restaurant unter seinem Namen bauen und prompt klappte es.

 

Kein Wunder, dass er erst jetzt, mit 43,  dazu kommt, ein Kochbuch zu schreiben.

 

Bobby Chinn kocht vietnamesisch – und das, so sollte vorausgeschickt werden, ist weniger einfach als es aussieht.  Zwar stehen viele Grundaromen und Zutaten wie Fischsauce, Austernsauce, Zitronengras, Glasnudeln, Pomelo, Ingwer oder Rettich mittlerweile in jedem gut sortierten deutschen Supermarkt. Aber „vietnamesische Küche ist femininer als Thai-Küche“, sagt auch Australiens Spitzenkoch Neil Perry, der in seinem Restaurant „Rockpool“ mit asiatischen und australischen Aromen auf höchstem Niveau experimentiert.

 

 

 

Vietnamesische Küche, das will Neil Perry damit ausdrücken, weist eine außergewöhnliche Reinheit der Aromen auf. Die hinzukriegen ist das Schwierige daran. In Vietnam schmeckt es deutlich weniger handfest als in den angrenzenden Ländern oder in den regionalen Küchen Chinas und Indiens. Letztere haben neben der französischen Küche der Besatzungszeit Vietnams unverkennbare Duftmarken durch Nord- und Südvietnam gelegt. Vietnamesische Küche hat sich das Beste von den einstigen Besatzern abgeguckt. Das Resultat schmeckt delikat und geschmacksintensiv, kraftvoll und gleichzeitig fein. Bobby Chinn hat begriffen, wie dieser Spagat im Alltag geht.

 

In sieben Kapitel ist sein erstes Kochbuch unterteilt. „Grundbausteine“ sind genau das – von knusprig gebratenen Schalotten bis zum Dipklassiker Nuoc Cham, der aus Fischsauce (Nuoc Mam) und Aromaten von scharf bis erfrischend gemixt wird. Im Kapitel „Snacks, Vorspeisen und Streetfood“ tauchen Standardgerichte auf, und das ist gut so. Wer nicht schon weiß, wie es geht, erfährt hier, wie frische Frühlingsrollen, Congee (eine Art Reissuppe) und Vietnams Suppenklassiker Pho Bo zubereitet werden. Dazu gibt’s eine Dosis Bobby Chinn in Form von Foie gras in Reispapier auf Apfelkompott und Spinat oder Frühlingsrollen mit Enten-Confit.

Bittergurkensuppenkasper

 

Weniger französischen Crossover bietet das Kapitel „Frisch und knackig“. Vietnamesen lieben Salate: pikant, erfrischend, sättigend, und Bobby Chinn macht sie aus landestypischen Zutaten wie grüner Papaya, Tamarinde, Bananenblüte und Süßwassergarnelen. Auch das Gemüsekapitel „Aus dem Garten der irdischen Genüsse“ ist vorrangig landestypisch. Vietnamesen bekommen Gemüse unkompliziert und mit erstaunlicher Geschmacksintensität hin; da könnten selbst die Franzosen noch etwas lernen. Zucchini mit Frühlingszwiebeln werden durch Reiswein, Austernsauce und Sojasauce hochfrisiert. Daikon-Rettich wird mit Karamellsauce kombiniert. Selbst unser Kohlrabi, im Ausland sonst weitgehend unbekannt, kommt bei Bobby Chinn zu Ehren und wird mit Nuoc cham und Eiern kombiniert. Klassiker wie Bittergurkensuppe oder Pfannengerührter Chinakohl fehlen natürlich nicht.

 

 Im Kapitel „Was da kreucht und fleucht“ finden sich Gerichte mit Schweinefleisch, das im Gegensatz zum Luxusartikel Rindfleisch relativ häufig auf den Tisch kommt.  Geflügel gilt dagegen heute nicht mehr unbedingt als Luxus. Bobby Chinns  gegrillte Hühnerflügel, für die er das Rezept am Straßenrand kibitzte, sind einfach und überaus lecker, die mit Grüntee geräucherte Entenbrust aus seinem Restaurant klingt aufwändiger als sie ist (sie hat einen japanisch-französischen Schlag) und auch die in Rotwein geschmorten Lammkeulen erinnern an das französische Erbe. Schön: Das Rezept für "Gegrilltes Rindfleisch mit Zitronengras" hat er auch für den Elektrogrill in unserer 2-Zimmer-Wohnung geschrieben.

 

 

Bei einer 1600 km langen Küstenlinie ist es nicht verwunderlich, dass Vietnamesen, die in nennenswerter Nähe zum Meer leben, Fisch und Meeresfrüchte lieben. Im Kapitel „Aus der Wasserwelt“ tischt er uns Süßsaure Fischsuppe und Fisch in Karamellsauce auf. Nein, nicht erschrecken. Erstere schmeckt trotz Ananas nicht nach Toast Hawaii und letzterer ist typisch für das Aromawissen der Vietnamesen. Natürlich fehlen auch Chinn-Klassiker wie Krabbenküchlein mit Tamarindenglasur oder seine in Sake gedämpften Venusmuscheln nicht.

 

Alles geht fix und ist einsteigertauglich beschrieben. A propos Einsteiger: Die Rezepte sind rundum benutzerfreundlich. Es gibt handfeste Einheiten wie 100 g, 1 EL oder 2 kg. Auch die deutsche Bearbeitung ist gelungen, selbst wenn ich mir wünschen würde, dass das Inch-Maß bei Zutaten wie Tofu dem gesunden Menschenverstand, also "fingerdicke Würfel" statt "2,5 cm", weichen würde. Schade bei so einem schönen Buch, dass die Übersetzung so lasch hinterherlektoriert wurde und Hämmer stehen geblieben sind wie die Benutzung einer "Springform" im Garnelensalatrezept (siehe "Weiterkochen"). Gemeint ist hier natürlich ein Servier-Ring, was die Kochmonster-Redaktion in diesem Rezept auch entsprechend korrigiert hat.

 

Doch sonst besteht das Buch den Praxistext, was bei einem Kochbuch über eine Küche, die Deutschen noch etwas fremd ist, schon mal ein guter Start ist. Denn abgehoben hohe Koch-Kunst ist „Der Geschmack Vietnams“ nicht. Erst recht nicht im Süßspeisen-Kapitel. Kein Wunder, dass Vietnamesen so spargelig aussehen. Statt Tod durch Schokolade gibt es Taro in Kokossauce und Klebreis mit Mungobohnenpaste.

 

Aber so sind sie eben, die Vietnamesen, und wie sie sind und leben, ist ebenfalls Thema dieses Kochbuchs, das seinem Untertitel „Kulinarische Entdeckungsreise“ mit vielen atmosphärischen Fotos und Bobby Chinns teils derben, teils urkomischen Anekdoten absolut gerecht wird.

 

Fazit: Ein Hands-On-Kochbuch. Auf visuelle Opulenz wurde verzichtet, das Papier ist dick, mit einem leichten Sepia-Touch, die Fotos sollen den Eindruck erwecken, es wurde auf den Foodstylisten verzichtet, die Straßenszenen wirken wie Polaroids. Natürlich ist das so gewollt und auch gekonnt umgesetzt. Also: Nichts zum Angeben oder Abarbeiten, sondern etwas für Freunde, Kumpels oder die Liebste.

 

Die Zielgruppe für dieses Buch? Männer. Und Französinnen. 

 

Originalausgabe: „Wild, Wild East. Recipes & Stories from Vietnam“, 2007 Conran Octopus, ISBN-13 978-076-4101490, $29.99

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Rezensent

Gabriele Gugetzer

Gabriele Gugetzer

Gabriele Gugetzer holte sich einen M.A. in Südkalifornien, lebte in London und schreibt seit vielen Jahren über Essen und Trinken. Sie hat über 20 Kochbücher herausgebracht, ist Feuerwehr- und Schottlandfan und die Reisereporterin der Zeitschrift "LandGenuss". "Nach einem Backbuch kommt sie mit ihrem aktuellen Projekt – zur Buchmesse auf dem Markt – ihrer Lieblingsstadt wieder näher. "Indische Küche in London" heißt es.

gugetzer@kochmonster.de
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