Neil Perry

Rockpool

kochbuch

Rockpool
Neil Perry:
"Rockpool"
Erscheinungsjahr: 2002
264 Seiten
112 Rezepte
Antiquariat EURO
ISBN: 286436775-X

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Rockpool Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

"Rockpool". Das klingt cool. Die deutsche Übersetzung "Gezeitentümpel" fällt da doch etwas ab. Jeder Strand von Sydney hat einen rockpool. Das Schwimmen in ihnen, sagen die Sydneysider, ähnele mal einem Champagnerbad, mal dem Schleudergang in der Waschmaschine. Die aus Felsen herausgehauenen Riesenschwimmbäder liegen nämlich so nahe am Ozean, dass das Meerwasser je nach Wetterlage mit einem donnernden Schwall oder mit einem anregenden Schwapps hineinfließt. Die Haie bleiben draußen. Das ist cool. So wie Neil Perry.

Mit seinem Kochbucherstling „Rockpool“ (aktuelle englischsprachige Ausgabe von 2002 nur noch über Antiquariate und Online-Händler erhältlich), benannt nach seinem Restaurant Öffnet externen Link in neuem FensterRockpool, katapultierte sich Neil Perry Ende der 1990er-Jahre endgültig an die Spitze der australischen Köche. Dort hält er sich bis heute, und auch das „Rockpool“ wird mit fast schon eintöniger Regelmäßigkeit jedes Jahr unter die Top 50 der weltbesten Restaurants gewählt. Nicht schlecht für einen Typen mit Zopf, der sich als Sechsjähriger mit zwei Chinesenjungs anfreundete und sich furchtlos alles in den Mund schob, was die beiden aßen.

Im Australien der Nachkriegszeit, das mindestens so spießig war wie das Deutschland der Nachkriegszeit, hatte er Glück, in diesem Entdeckungsdrang von seinem Vater, einem Metzger, unterstützt zu werden. Bei den Perrys gab es immer ein gutes Stück vom Tier auf den Teller: „Es dauerte lange, bis mir klar wurde“, erinnert sich Neil Perry (52) heute, „dass nicht jeder zum Frühstück gegartes Kalbsbries auf gebuttertem Toast bekam“.

Aus einem australischen Huck Finn mit Hang zu kulinarischen Mutproben entwickelte sich Neil Perry zu einem der berühmtesten Vertreter der modernen australischen Küche, der mod oz . Die Fluglinie Qantas bestellte ihn als Aushängeschild für ihr Catering bis runter zur Holzklasse, und er bastelte zur mod oz  eine Philosophie, die auch diesem Kochbuch zugrunde liegt. „Eben weil wir keine eigene kulinarische Identität besitzen, können australische Köche lateral denken, ohne von einer übermächtigen Tradition ausgebremst zu werden.“

Damit beschreibt Neil Perry seine Neigung zum Kibitzen in den verschiedenen Einwandererküchen Australiens und sein echtes Talent, diese Mélange europäischer und asiatischer Produkte und Einflüsse zu einem unverwechselbaren Stil zusammen zu kochen.

Woraus mindere Köche seitenlange Rezepte machen würden, ist hier Stichwort in der Einleitung. Da macht er uns schon den Mund wässerig mit süß mariniertem Lachs mit Wasabi auf Brioche, rollt schnell Klebreisbällchen mit chinesischer Wurstfüllung, füllt Minitartes mit Schweinebauch und Erdnusscurry oder haut eine Polenta mit Erbsen, Artischocken und Prosciutto raus.

Wieso haben wir so jemanden nicht bei der Lufthansa?

Neil Perry ist sein ganzes Leben in der Gastronomie unterwegs. Gelernt hat er den Beruf in den 1980er-Jahren von der Pieke auf, erst im Service, dann in Frankreich, wo sein großes Vorbild Alain Senderens einer der Wortführer der nouvelle cuisine  war. Immer wieder tauchte Perry auch an der Seite bedeutender australischer Köche wie Damien Pignolet, Gay Bilson und Stephanie Alexander auf. Spezialwissen holte er sich bei David Thompson, dem international anerkannten Experten für thailändische Küche („Thai Food“, Collection Rolf Heyne, München, 2002).

Der tatsächliche Kochteil des Buchs umfasst über Hundert Rezepte und gibt überdies einen Einblick in die Kochtechniken der Länder, die es Neil Perry besonders angetan haben. Einsalzen, Dämpfen, Pfannenrühren, Braten, Dünsten und Weißgaren zwischen Vietnam, Thailand, China, Frankreich und Italien. Pizza, Pasta und Saucen nicht zu vergessen. Himmel!

Das ist der Vorwurf, der sich diesem Kochbuch machen ließe: Es ist unübersichtlich. „Rockpool“ liest sich, als hätte jemand Neil Perry ein Jahr lang ein Mikro und eine Kamera umgehängt. Yin und Yang erklärt er, ist dann schon beim Dämpfen von ganzen Fischen, schießt zwischendurch Schnappschüsse vom Restaurant, lässt den gedämpften Fisch in Postergröße ablichten, öffnet ein paar Austern und serviert sie mit lauwarmem Mirin.

Dann lupft er zwischen Salat mit gebratenener Entenbrust, Jakobsmuscheln und eingelegten Salatgurken nach Sichuan-Art und Selbstgemachter Hühnerbrühe hin und her, wedelt mit der Tüte, in die gleich sein getrüffeltes Huhn kommt und garniert eine Kaisergranatcreme mit Osietra-Kaviar.

Warte mal, hört man ihn förmlich sagen, hier, mein Rezept für Pasta. Und hast Du schon mal Pizza mit Salami, Kürbis und Petersilie probiert? Nein? Aber jetzt. Dann steckt er einem ein Stück in den Mund. Nein, das tut er natürlich nicht, aber so wirkt dieses Kochbuch. Man kann sich seinem Reiz nicht entziehen, blättert ständig drin herum. Beim sechsten Durchblättern entdecke ich, daß er seine Lasagne mit Räucherlachs und Auberginenpüree kalt und in einer simplen Lunchbox zubereitet, beim achten Mal, dass er sein Paprikaschotenöl mit einer ganzen Zitrone aromatisiert und beim nächsten Mal finde ich ein Thunfisch-Tartar nach koreanischer Art, das mir beim Lesen auf der Zunge zergeht, weil Neil Perry das Aromaspiel mit creamy  und silky  beschreibt.

Wo wir gerade bei der Sprache sind: Man muss kein ein promovierter Anglist sein, um mit diesem Buch zu arbeiten. Wer die Songtexte nordenglischer Bands versteht, kann sich mit „Rockpool“ ziemlich weit nach vorne kochen. Das liegt auch daran, dass von piefigen Gewichtseinheiten abgesehen wird und die manchmal durchaus aufwändigen Kochschritte optisch und gedanklich gut gegliedert sind.

Fazit: Nichts für Einsteiger oder Anfänger, außer für solche, die sich von Leidenschaft mitreißen lassen. Das „Rockpool“ hat mit den rockpools mehr als nur den Namen gemein. Es ist eine Tour-de-Force, informativ, mit leckeren Rezepten. Fotos gibt es wenige und das ist schade, denn die Fotografin Petrina Tinslay gehört zu den Besten ihres Fachs. Die Fotos dienen eher der Stimmung als der korrekten Wiedergabe des Rezepts; wer beim Kochen auf eine optische Vorlage gucken muss, bricht bereits bei Teegeräucherten Wachteln in Tränen aus. Die Fischrezepte konzentrieren sich etwas sehr auf australische Produkte, lassen sich aber gut durch europäische Fischarten ersetzen. Sonst gibt es fast alles im gut sortierten Delikatessgeschäft oder Asia-Laden.  

 

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Rezensent

Gabriele Gugetzer

Gabriele Gugetzer

Gabriele Gugetzer holte sich einen M.A. in Südkalifornien, lebte in London und schreibt seit vielen Jahren über Essen und Trinken. Sie hat über 20 Kochbücher herausgebracht, ist Feuerwehr- und Schottlandfan und die Reisereporterin der Zeitschrift "LandGenuss". "Nach einem Backbuch kommt sie mit ihrem aktuellen Projekt – zur Buchmesse auf dem Markt – ihrer Lieblingsstadt wieder näher. "Indische Küche in London" heißt es.

gugetzer@kochmonster.de
www.kochmonster.de