Niklas Thiemann

Zwölf

kochbuch

Zwölf
Niklas Thiemann:
"Zwölf"
Erscheinungsjahr: 2009
248 Seiten
48 Rezepte
48,00 EURO
ISBN: 978-3865286918

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Zwölf Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Was soll ich mit einem Buch von einem Sternekoch, wenn ich eins mit 12 Sterneköchen haben kann? Hier ist das Dutzend knallvoll: zwölf Einsterner liefern zu den zwölf Monaten des Jahres je vier Gänge. Alles auf höchsten Niveau und dennoch vom ambitionierten Hobbyisten nachkochbar. Ein klarer Fall für das MONSTERKOCHBUCH DES MONATS!

 

189 Restaurants in Deutschland sind im aktuellen "Guide Michelin 2009" mit einem Stern ausgezeichnet. Davon nur ein Dutzend, das erscheint nicht viel, doch selten ist eine derart große Portion Kochverstand, Gestaltungswillen, Herdhandwerk und Dekorationsfreude ausschließlich von aktuell in Deutschland arbeitenden Chefs zwischen zwei Buchdeckeln zusammengetragen worden.

 

Der Sundener Fotograf und Hobbykoch Niklas Thiemann wollte sein Studium Kommunikationsdesign (Schwerpunkt Fotodesign) mit einer würdigen Diplomarbeit abschließen und kam auf die Idee, 48 jahreszeitlich bestimmte Gänge von zwölf Sterneköchen des Landes zu fotografieren und dokumentieren. Monatelang fuhr er mit seinem mobilen Fotostudio von Küche zu Küche und hatte selten mehr Zeit als drei, vier Minuten für einen Teller – bis unter den starken Scheinwerfern die Millefeuilles zusammensacken, die Selleriemousseline ein Häutchen zu bilden beginnt oder aus der Lakritzluft eine blasse Lache geworden ist. 

 

Ein Kampf gegen die Zeit, den Thiemann fast immer gewann, ein Spitzen-Diplom einheimste und mit diesem Konzept nicht lange bei den Verlagen hausieren musste, um schließlich den Zuschlag für "Zwölf" vom Hause Umschau aus Neustadt an der Weinstrasse zu bekommen. Jedes Gericht wird mit je einem brillanten Farb-Großfoto dokumentiert, nur wenige Abbildungen haben leichte Schwächen im Kontrast, die aber eher von der Lithographie denn vom Fotografen verschuldet zu sein scheinen. Der Rest, je eine Seite Koch-Portrait plus einige kleinere Detailfotos, die nicht als Step-Abbildungen, sondern eher zur Illustration der Küchenatmosphäre dienen, sind in edel-schickem Schwarzweiss gedruckt, wozu das angenehm zurückhaltende, in Sachen Nachkochbarkeit meist zielführende Layout ein würdiges Ambiente schafft – allerdings hätte sich der Grafiker so manche hellgelbe Zutatenliste schenken können, die auch im besten Küchenlicht schwer lesbar ist. 

 

"Zwölf" bringt ein sauberes Dutzend Deutscher Spitzenköche unter die Haube: 

 

- Gunnar Hinz, Das Kleine Rote, Hamburg

- Wahabi Nouri, Piment, Hamburg

- Björn Freitag, Goldener Anker, Dorsten

- Christoph Rainer, Villa Rothschild, Königstein

- Bernd Siener, Bel Etage, Vila Vita Rosenpark, Marburg

- Michael Kempf, Facil, The Mandala Hotel, Berlin

- Mario Lohninger, Silk Bed Restaurant, Cocoon-Club, Frankfurt

- Alexandro Pape, Fährhaus Sylt, Munkmarsch

- Martin Steiner, Le Val d'Or, Stromburg, Stromberg

- Thomas Neeser, Lorenz Adlon, Adlon Kempinski, Berlin

- Stefan Neugebauer, Schwarzer Hahn, Deidesheimer Hof, Deidesheim

- Christoph Rüffer, Haerlin, Vier Jahreszeiten, Hamburg

 

Leider ist gleich der Januar das traurigste Kapitel, denn Gunnar Hinz verunglückte kurz nach der Fotoproduktion für "Zwölf" schwer mit dem Motorrad und kann bis heute noch nicht abschätzen, wann er wieder an den Herd zurückkehren wird. Einziger Trost: mit "Butterpochierter Hummer mit Rösti, Schwarzwurzeln und Tomaten-Vanille-Jus" stellt er zugleich das Titelfoto, aber auch sein "Mild gesalzener Winterkabeljau, Ragout und Mark vom Ochsen mit Blattspinat und Blauer Schwede" zeigt, wie genial Hinz auch ohne teuerste Edelzutaten kochte.

 

Der Marokkaner Wahabi Nouri, in seinem Hamburger Piment als mutiger Crossoverkoch und furchtloser Würzer bekannt, steuert mit TV-Mütze Björn Freitag aus Dorsten die beiden restlichen Anfangsmonate bei – forsch bei Nouri mit gefülltem Seeteufel auf geliertem Tomatenfond mit Couscous oder bei Freitag die Variation vom Langustino: als Tatar, gebraten und als Schaumsüppchen mit Eniokpilzen.

 

April, Mai und Juni bringt den Bio-Freund Christoph Rainer ("Milchkalb in Madeirareduktion mit Petersilienrisotto und Langpfefferschaum"), den Marburger Präzisionsfanatiker Bernd Siener ("Tarte Tatis vom Maibock mit Pfifferlingen und Selleriemousseline") und den Kosmopoliten Michael Kempf vom Berliner Facil ("In Sardellen-Nussbutter confierte Rotbarbe, Emulsion von der Ur-Tomate, Wassermelone und Sauerklee") an den Herd, während im Sommer der Frankfurter DJ-Koch Mario Lohninger rohen Doradentatar in Eiswaffeln serviert, der Sylter Alexandro Pape Jakobsmuscheln mit Kaninchen zur Roulade packt und Johann Lafers Mann für den Alltag, Martin Steiner, seinen Flusskrebsen mit einem Muskatkürbis-Spinat-Kracher-Fondue Österreichisch beibringt.

 

Rauswärts im Jahr geht es mit dem Berliner Adlon-Wahlfranzosen Thomas Neeser, dem Saumagen-Bewahrer Stefan Neugebauer aus Deidesheim und dem Hamburger Binnenalster-Feinmotoriker Christoph Rüffer – ein Trio, das Tradition und Moderne immer gleichzeitig denken kann.

 

 "Zwölf" ist durch seine mehr oder weniger willkürliche Auswahl von einem Dutzend Einsterner natürlich in erster Linie ein sehr interessantes Kochbuch, und eher nicht dazu gedacht, einen repräsentativen Querschnitt der Schaffenshöhe deutscher Thronanwärter auf die Dreisterner-Phalanx von Henkel, Elverfeld, Amador & Co abzubilden. Viele der "Zwölf"-Köche wollen oder dürfen ja gar nicht nach höheren Sternenweihen greifen – das ist für ihre Chefs (also meist die Hoteliers), nicht zuletzt auch immer eine betriebswirtschaftliche Entscheidung, wie hoch hinauf es sich überhaupt noch rechnet.

 

Dennoch zeigen die Rezepte und Fotos in "Zwölf" recht gut, wo die für einigermaßen gut verdienende Genießer noch halbwegs erschwinglichen Spitzenköche stehen – in dem Buch jedenfalls finden sich etliche Teller, die bei einem Zweisterner nicht zurück gehen würden.

 

Trotz einiger kleiner, wenngleich ärgerlich überflüssiger Fehler ("Rotschild" statt "Rothschild", Markus Nagy wird kurzerhand ins rätoromanisch verschoben und heisst hier "Nägy", außerdem immer wieder einzelne Komponenten auf den Fotos, die in den Rezepten noch nicht einmal erwähnt werden) gibt es auf dem Kochbuchmarkt derzeit kein vergleichbares Werk mit einer derartigen Spannweite an interessanten Sternenrezepten, die zum größten Teil auch in jeder halbwegs gut bestückten Hobbyküche realisierbar sind. Hier muss sich keiner einen Pacojet, einen Thermomix oder eine Zuckerwattemaschine kaufen, es genügt ein möglichst exakter Backofen, ordentliches Kochgeschirr, ein Vakuumierer, ein Schneidstab und ein Fleischthermometer.

 

Fazit: Anfänger und Gelegenheitskocher müssen an jedem der 48 Rezepte (12 davon werden in den nächsten Wochen nach und nach auf Kochmonster präsentiert) gnadenlos scheitern. Der fortgeschrittene Hobbykoch wird ebenfalls so manches Mal grandios daneben liegen, aber mindestens genau so oft seine geneigten Mitesser mit  dem einen oder anderen Sternenteller zutiefst beeindrucken können.

 

 

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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