Christian Jürgens
Es gibt viele Vokabeln, die auf Christian Jürgens passen: unbequem, ehrgeizig, forsch, mutig, innovativ, eloquent, fordernd, kantig, selbstbewusst. Was immer über den hochprämierten Koch erzählt und gemunkelt wird, eines ist sicher: Christian Jürgens gehört zu den Besten der Besten der deutschen Spitzengastronomie. Im November 2013 endlich verliehen die Tester des Guide Michelin ihm den dritten Stern. Auch Jürgens Kochbuch verdient höchstes Lob und reiht sich nahtlos ein in die gut gemachten und innovativ gestalteten Signature-Bücher der Collection Rolf Heyne.
Kein grinsendes Gesicht auf dem schlichten Cover, kein durchgestylter Teller mit erkennbaren Fragmenten von Edelprodukten. Dagegen spielt die Titelgestaltung mit geografischen Anmutungen, zeigt Ecken und Kanten und gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was der geneigte Leser zuerst erfahren sollte. Der lesenswerte Einstieg in das Buch ist eine gelungene sprachliche Gratwanderung zwischen Portrait, Autobiografie, Selbsterkenntnis und Einsichten eines Kochs mit Ecken und Kanten, ein kurzweiliges Lesevergnügen, das sich nie in Plattitüden oder abgedroschene kulinarische Phrasen verliert, dagegen einen informativen Einblick in die vielschichtige Persönlichkeit von Christian Jürgens gibt.
Schnörkellos ist auch die Einteilung der Kapitel in Grundprodukte. Beginnend mit Amuse-Bouche, Vorspeisen und Zwischengang folgen Rezepte zu Fisch, Fleisch, Käse und Dessert. Den allgemeinen Basics, die sich vorwiegend um Fonds, Jus, Farce und Dressings drehen, und den Grundkomponenten der Pâtisserie widmet Christian Jürgens jeweils ein eigenes Kapitel. Was Jürgens an Rezepten anbietet, teils umschrieben mit „Fluss & Ufer,“ „Innere Werte“, „Bauernstolz“, „Waidmannsheil“ oder „Rübenacker“ ist anspruchsvoll, aber am eigenen Herd nicht unlösbar.
Fundierte Koch-Kenntnisse sollten allerdings vorhanden sein, auch wenn Jürgens in der Beschreibung der Gerichte sachlich klar verständlich durch das Rezept und seine einzelnen Arbeitsschritte führt. Exakte Mengenangaben und Garzeiten, etwa die weichgegarte Kartoffelkiste genau 36 Sekunden in heißes Pflanzenfett tauchen, erfordern ebenso genaues Arbeiten am Herd.
Zugegeben, nicht alle Zutaten sind leicht einzukaufen. Lebende Schwertmuscheln aus Norwegen, eine ganze Kalbskopfmaske, Lammlungen und Herz oder frische Chiemsee-Renkenfilets sind nur nach Vorbestellung zu bekommen. Doch von Kosten und Mühen sollte man sich keineswegs abschrecken lassen, denn Christian Jürgens bietet auch innovative Rezepte aus einfachen Produkten und Zutaten an, die sich problemlos besorgen lassen. Auffällig ist die häufige Verwendung von Gemüsen, eines seiner bemerkenswerten Gerichte ist eben diese „Kartoffelkiste“.
Freilich ist nichts alles, was Jürgens auf die Teller bringt, die Neuentdeckung der Gourmet-Küche, auch Altbekanntes und bewährte Klassiker aus seiner Karriere hat der Sterne-Koch im Gourmetrestaurant Überfahrt (2 Michelin-Sternen, 19 von 20 Punkte Gault Millau, 5 Feinschmecker-»F« , 5 Aral-Schlemmeratlas Kochlöffel) in seinem Buch untergebracht. Warum auch nicht, schließlich ist sein heutiger Kochstil ein Resümee aus Erfahrungen, Mainstream und Innovation.
Stilsicher ist auch Luzia Ellert, mit ihrer Interpretation von moderner Foodfotografie verlässt die Wienerin gewohnte Einsichten und setzt Akzente. Die teils sachliche und puristische Anmutung der Fotos, gekonnt mit Licht- und Schattenspiel und einem genialen Gespür für Raumaufteilung stilistisch in Szene gesetzt, gibt den Blick frei auf das Wesentliche. Eine Bildsprache, die das 400 Seiten umfassende Werk auch zu einem sehenswerten Kochbuch macht.
Fazit: Christian Jürgens ist nicht nur eine bemerkenswerte Persönlichkeit, sondern auch ein innovativer Koch, der immer auf der Suche ist, hier und da gefunden hat, aber von einer kulinarischen Unruhe getrieben wird, die mit diesem empfehlenswerten Buch keineswegs befriedigt ist. Was Christian Jürgens darüber hinaus auszeichnet ist die Tatsache, das er eine gesunde Beratungsresistenz an den Tag legt, sich nicht zum Hofkoch einzelner Kritiker erziehen lässt, sondern seinen eigenen Weg geht.

Thierry Becker
Thierry Becker
Thierry Becker stammt aus dem Mutterland der Gourmets, dem Elsass, lebt aber seit vielen Jahren in Stuttgart. Als Planer und Berater für Spezial-Lösungen im Bereich Maschinenbau ist er viel unterwegs – und wann immer es sich ergibt, versucht er bei seinen Dienstreisen in den besten Häusern der jeweiligen Orte zu essen. Zum Kochen kommt er nur an höchstens zwei Wochenenden im Monat, dann aber richtig: "Ich arbeite mich am Liebsten an vertrackten Rezepten von Sterneköchen ab".
thierry_becker@kochmonster.deSven Elverfeld; Elverfeld. Das Kochbuch
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