Thomas Martin

Meine Jacobsleiter

kochbuch

Meine Jacobsleiter
Thomas Martin:
"Meine Jacobsleiter"
Erscheinungsjahr: 2010
160 Seiten
60 Rezepte
24,95 EURO
ISBN: 978-3-517-08603-3

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Meine Jacobsleiter Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Endlich: Auf das erste Buch des besten Koches Hamburgs haben die Freunde seiner Arbeit lange warten müssen. Der Chef im Hotelrestaurant Louis C. Jacob hoch über der Elbe hält sich im Vergleich zu vielen typischen Signature-Bücher heutiger Küchenstars mit dem Selbstlob angenehm zurück – er schwingt lieber den Gewürzstreuer als das Weihrauchfass. Die Produkte und das, was aus ihnen durch Martins Kunstfertigkeit entsteht, sind stets im Vordergrund, und das ist gut so.

 

 

Schon vom Aufbau her erinnert das Werk an eines meiner absoluten Lieblingskochbücher: das leider längst vergriffene „ Die Meisterschule der Jeunes Restaurateurs“. Auch dort wurden mehrere Rezepte zu dem jeweils gleichen Grundprodukt ausgeführt – im Rahmen der Prüfungsaufgaben zum Commis bzw. Meister bei den Jeunes Restaurateurs.

 

 

Martin geht einen ähnlichen Weg. Er schrieb sich zunächst seine 20 Lieblingsprodukte zusammen: Kabeljau und Kürbis, Vierländer Ente und Kanadischer HummerMöhren und Rote Bete, Pulpo und Poularde etc. Jedes dieser Produkte bildete anschließend die Kernzutat von jeweils drei Rezepten unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. „Raffiniert einfach“ entspricht bei Martin in etwa dem Kochmonster-Level „Commis“ (für „Apprendis“ sind einige Rezepte dann doch zu ausgefuchst), „Gehobene Küche“ ist auf der Kochmonster-Stufe „Chef de partie, und „Mit Anspruch“ rangiert irgendwo zwischen „Sous Chef“ und „Chef de cuisine“ (wobei in einer realen Profi-Brigade die höchste Schwierigkeitsstufe der Buchrezepte von jedem ambitionierten Postenchef beherrscht werden sollte).

 

 

Auf dieser Jacobsleiter also kann sich der Hobbyist hochkochen, und das macht gehörig Spaß – ganz unabhängig vom persönlichen Einstiegslevel. Auch wer sich zutraut, die „Anspruch“-Variation des Themas „Poularde“ – „Lackierte Poulardenbrust mit Gewürzsauce und Dattelpüree“ – auf einer halben Arschbacke daheim nachzukochen, wird bei anderer Gelegenheit vielleicht doch lieber ein „Coq au Vin“ („Gehoben“) oder am Dienstagabend eine schnelle „Poularde mit Knoblauch, Kräutern und Oliven“ aus dem Vögelchen zubereiten.

 

 

Fast durchwegs sind Martin diese dreifachen Durchdeklinierungen perfekt gelungen: Aus einem Stück Rinderschulter wird eine „Gulaschsuppe“, ein „Boeuf Bourguignon mit konfierten Kartoffeln“ oder gar eine „Geschmorte Ochsenschulter mit glasierten Zwiebeln und Zitruspolenta“. Der oftmals zickig-gummiartige Pulpo mutiert über zwei Salat-Variationen zum anspruchsvollen „Warmes Pulpocarpaccio mit Safran-Estragon-Fumet“, der simple Kürbis hangelt sich von Suppe über Risotto hoch zum „Geschmorter Muskatkürbis mit Fleur de Sel und Vanille“ und die vulgäre Sardine schwimmt aus der Escabeche über ein Sandwich hinauf zu „Sardinen mit Tarte Pissaladière und passierten Strauchtomaten“.

 

 

Thomas Martin, 1966 in Mannheim geboren, ist seit 1997 Chef de Cuisine im Jacobs Restaurant im Hamburger Hotel Louis C. Jacob ­– und kocht dort, obwohl er behauptet, die „Anspruch“-Rezepte könnten auch auf der Jacob-Karte stehen, natürlich noch zwei, drei Levels darüber:

 

 

Kein Wunder, waren doch seine prominenten Lehrmeister große deutsche Küchenkünstler wie Lothar Eiermann, Eckart Witzigmann und Dieter L. Kaufmann. Für den vielfach ausgezeichneten Koch (18 Punkte Gault Millau 1 Michelin-Stern, 3,5 Feinschmecker-Punkte) steht bei der Zubereitung seiner leichten, klassischen Küche mit französischem Akzent die Liebe zum (wo immer möglich: regionalen) Produkt im Vordergrund. Vor allem bei Fisch und Meeresfrüchten versteht Hamburgs bester Koch keinen Spaß – oftmals zum Schrecken seiner Lieferanten Zulieferer. Immerhin gehört Thomas Martin zu den besten Einsterne-Köchen des Landes, auf der Volkenborn-Hitliste rangiert er auf Platz 21.

 

 

Entsprechend nahezu fehlerfrei ist auch sein Kochbucherstling – zu bemängeln sind allein die bei Sternekoch-Büchern leider weit verbreiteten Anricht-Unterlassungen: Martin dekoriert den Foto-Teller seiner Poulardenbrust mit länglichen orangen Komponenten. Karottenchips? Eine von nur vier Hauptkomponenten bei „Gefüllter Artischockenboden mit Couscous“ ist eine dekorativ auf den Teller gespritzte gelbe Sauce. Gewürzöl? Und immer wieder zieren bröselige Linien quer über den ganzen Teller die Gerichte. Salz-Gewürz-Mischungen? Wie so oft hat auch hier mal wieder das Lektorat nicht nachhaltig genug mitgedacht oder aufgepasst.

 

 © Jan-Peter Westermann/Südwest-Verlag

 

 

Den gröbsten Hammer aber, bei dem Martin selbst immer wieder das Gesicht vor Schamschmerz verzieht, ist der das komplette Arrangement dominierende, riesige Teig-Ring beim „Loup de Mer mit schwarzem Rettich“, der im Rezept nirgendwo erwähnt wird. Das allein wäre noch zu verkraften. Aber ausgerechnet auf dem Buchcoverfoto sieht man Martin, wie er eben diesen Ring mit beiden Händen voll konzentriert auf den Teller baut.

 

 

Fazit: Außer minimalen Schwächen bei der Dekorationsdeklaration in den Rezepten ist dieses Buch ein perfekter Einstieg in die Produkt-verliebte und aromatisch hochfein ausbalancierte Küchenkunst von Hamburgs bestem Koch. Jeder halbwegs ambitionierte Hobbykochschaffende findet hier die für ihn passende Stufe auf der Jacobsleiter, von der aus er sich weiter hochkochen kann. Oder auch mal schnell im Bereich der unteren Sprossen etwas Feines auf den Teller wischen.

 

 

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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