Sven Elverfeld

Elverfeld. Das Kochbuch

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Elverfeld. Das Kochbuch
Sven Elverfeld:
"Elverfeld. Das Kochbuch"
Erscheinungsjahr: 2011
528 Seiten
129 Rezepte
75 EURO
ISBN: 978-389910465-3

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Elverfeld. Das Kochbuch Bewertung: 6 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Auch nach dem Michelin-Erdbeben in Deutschlands schmaler Dreisterner-Riege ist und bleibt der im Wolfsburger „Aqua“ wirkende Sven Elverfeld für viele Gourmets der beste Koch des Landes. Mit höchster kulinarischer Intelligenz und unvorstellbarem Totaleinsatz aller heute verfügbarer Techniken, Pülverchen und Highend-Gerätschaften markiert sowohl seine Küche als auch sein aktuelles Signature-Kochbuch ohne Zweifel den aktuellen Stand des Kochbaren – andererseits aber vielleicht auch den Wendepunkt zu einem noch avandgardistischeren Megatrend: die Wiederentdeckung des Einfachen.

 

Wer stolz auf die Teller ist, die seine Hobbyküche verlassen, und glaubt, er könne auch komplizierteste Zubereitungen zu Hause verwirklichen, wenn sie denn nur anschaulich genug erklärt sind, sollte rasch das Sparen anfangen und sich „Das Kochbuch“ des Wolfsburger Dreisterners Sven Elverfeld besorgen. Und dann an dieser Aufgabe grandios scheitern. Denn der Chef des Restaurants "Aqua" im Ritz-Hotel steht auf Platz 25 der Köche-Weltrangliste. Und dass er genau dort hingehört, zeigt jede auch noch so kleine, ausgefuchste Komponente seiner kulinarischen Kreationen, die in diesem wuchtigen und bis in die Tiefen der Schöpfungshöhe Elverfeldscher Teller angemessen editiertem Buch allesamt volltransparent erklärt, bemaßt und beschrieben sind.

 

Dennoch will diese Literatur-Investition wohlüberlegt sein, schließlich wendet sich das Werk (Teilauflage erschien in englischer Sprache) eher an die Weltelite der Berufsköche. Diese Zielgruppe hat kein Problem damit, dass die auf den ersten 80 Seiten gezeigten 54 Gaumenkitzler außer dürrer, unbemaßter Zutatenlisten überhaupt nicht rezeptiert und dadurch auch für noch so versierte Laien schlicht nicht nachkochbar sind. Das beginnt erst bei den kleinen Vorspeisen, doch auch da besteht selbst augenscheinlich Einfaches wie die kleinen Variationen zu den Themen „Caprese“, „Auster“ oder „“Vitello Tonnato“ – von Linsen-Leaderin Luzia Ellert rattenscharf und manchmal bis an die Grenze der Sterilität abgelichtet – aus nie weniger als sechs einzeln erklärten Komponenten; bei den „Marinierten Sardinen“ sind es gar 14.

 

Für andere steile Berufsköche mit oder ohne Stern ist das sicher alles weniger fernab jeder Kochvernunft, eher eine Frage des Wollens, des Budgets und der eigenen Führungsstärke in der Brigade.

 

Doch ein paar wesentliche Feinheiten kann auch der härteste Profi nicht lernen, die muss man schon im Blut haben. Humor zum Beispiel: Seit jeher macht sich der gebürtige Hesse Elverfeld einen kleinen Spaß daraus, deutsche Kochklassik in den Sterneolymp zu schießen: „Handkäse mit Musik“ ist die hochkomplexe Verbeugung vor seiner Heimat, ebenso die Dekonstruktionen von „Kabeljau mit Mixed Pickles“ „Tafelspitz mit Frankfurter Grüner Sauce“, „Schnitzel Jäger Art“ oder „Lumbumba“ – die von einer Aquariumpumpe angetriebene Gänseleber-Schokoladenblubber-Zubereitung.

 

 Der Chef dreht seinen "Handkäs" im Stickstoff

 

Oft schimmert bei der hyper-komplexen Struktur und Zubereitungs-Choreographie seiner Kompositionen Elverfelds Berufseinstig durch: Als gelernter Konditor hat er die Präzision, die auf’s Zehntel Gramm exakte Abwiege und die hohe Konzentration bei der Arbeit in den Genen. Kein Wunder also, dass auch die Patisserie-Kapitel in dem Buch für Hobbyisten unerreichbare Kunsthandwerke wie die grandiose „Pusteblume“ zeigen.

 

Mit diesem Kreativitäts-Sperrfeuer hat hat Elverfeld, der 2000 das „Aqua“ im Hotel „Ritz“ übernommen hatte,  so ziemlich alles abgeräumt, was es an Koch-Insignien zu holen gibt: Seit November 2008 zählt mit dem dritten Stern im Guide Michelin auch die höchste Auszeichnung dazu. Sie machte ihn mit dem „Aqua“ zum ersten Drei-Sterne-Koch in Norddeutschland und einem von neun deutschlandweit (bei der Zahl bleibt es durch den Upgrade von Thomas Bühner und die Degradierung von Nils Henkel). Zeitgleich verlieh der Gault Millau 19 Punkte sowie die Auszeichnung „Menü des Jahres“ für Elverfelds Visionen & Impressionen, nachdem er im Jahr 2002 „Aufsteiger des Jahres“ und 2004 „Koch des Jahres“ wurde. Das Gourmet-Magazin Der Feinschmecker hat dem Aqua 2010 die Höchstbewertung von 5F zugesprochen.

 

Elverfeld dokumentiert in diesem Buch seine kulinarische Entwicklung in den Jahren von 2007 bis 2010. Interessant dabei ist, dass er sich gerade bei seinen jüngsten Einfällen wieder leicht wegdreht vom Primat der Spitzentechnologie und offenbar neue Lust am Kochhandwerk bekommt – in dem Sinne, dass der wesentliche Anteil der Transformation von Zutaten hin zu einer kulinarischen Komposition wieder von der Hand des Koches geleistet wird und nicht von Maschinen, und seien sie noch so sophisticated. Elverfelds Zukunft muss also nicht zwangsläufig in den Frankenstein-Laboren von technoiden "Modernisten"-Nerds wie Nathan Myhrvold enden. Und das ist dann doch ein, wenn nur leiser, Trost für den an diesen Rezepten gescheiterten Privatpfannenrührer.

 

 

Fazit: Das geilste Horrorkabinett für jeden Hobbykoch, der trotz (oder wegen) der unerträglichen Demütigungen, die er bei Nachkochversuchen dieser Rezepte erdulden muss, einen Lustgewinn verspürt. Wer bereit ist, seine Küche für knapp 10.000 Euro aufzurüsten (Pacojet, Thermomix, Dehydrator, Stickstofftanks etc.) und diesen Raum die nächsten zwei Jahre nicht mehr zu verlassen, wird mit Elverfeld seinen Meister finden. Wenn er sich denn zurecht findet in dem 3-Kilo-Wälzer: Der Star-Designer Wolfgang Seidl wollte die „vornehmlichen Charakteristika des Aqua  – Klarheit und Transparenz – im Buch“ widerspiegeln und ließ deshalb die Seitenzahlen in weiß auf weißem Untergrund drucken...

 

 

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

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