Christian Jürgens

Menüs für alle Sinne

kochbuch

Menüs für alle Sinne
Christian Jürgens:
"Menüs für alle Sinne"
Erscheinungsjahr: 2009
160 Seiten
66 Rezepte
24,95 EURO
ISBN: 978-3-517-08557-9

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Menüs für alle Sinne Bewertung: 6 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Christian Jürgens ist einer der absoluten Überflieger des deutschen Highend-Kochterritoriums. Im „Seehotel Überfahrt“ am Tegernsee holte er sich aus dem Stand selten vergebene 2 Michelin-Sterne, wurde 2008 „Koch des Jahes“ im „Feinschmecker“, der GaultMillau stufte ihn zuletzt auf sagenhafte 19 Punkte hoch. Dass sein erstes Kochbuch nach diesem Aufstieg nun ganz ohne Sterneteller, dafür aber mit 22 Menüs zum Nachkochen am heimischen Herd daher kommt, ist eine Überraschung. Eine rundherum gelungene.

 

Jürgens-Fans, die in seinem Restaurant „Überfahrt“ in Rottach-Egern von Kochkunstwerken wie „Seeteufel an der Gräte gebraten mit Bouillabaise-Püree, Rouille im Garnelensud“ oder „Zwiebel confiert, mit Sot l´y laisse vom Bayerischen Gockel und Olivenbrösel“ mit vor Ehrfurcht gesenktem Kopf gesessen haben, werden vielleicht enttäuscht sein. „Menüs für alle Sinne“ ist insofern ein etwas irreführender Titel, als dass der feine Gourmetsinn hier nicht angesprochen wird – die Rezeptierung der Zweistern-Dishes aus dem Restaurant des Ausnahmekoches muss wohl noch auf ein späteres Signature-Buch warten.

 

Statt dessen zeigt Jürgens – und das sollte auch ein kundiger Hobbyist oder ein interessierter Berufsleser nicht gleich verächtlich vom Tisch wischen – wie er 22 Dreigang-Speisefolgen von „Menü für Verliebte“ über „Herbstmenü“ bis „Gesund & Fit-Menü“ in typisch häuslicher Kochumgebung realisieren würde. Dass dies oft nur eine private Oberfläche projeziert, unter der Jürgens sein gesammeltes Sternewissen brodeln lässt, tut diesem Ansatz sehr gut, schließlich sind schon ganz andere Chef-Kaliber genau daran kläglich gescheitert.

 

Nicht so „Menü für alle Sinne“. Nach einem holprig-hausfraulich formulierten Koch-Portrait und ein paar dümmlichen Basis-Tipps und Bildtexten wie „Die richtigen Handgriffe bei jeder Zubereitung sind Garant für das Gelingen der Speisen“ geht Jürgens gleich in die Vollen und erklärt erstaunlich fix die Zubereitung einiger Deko-Artikel wie Apfelchips oder Zuckerspiralen, die in der Gastronomie einen jeden Teller sofort sechs Euro teurer erscheinen lassen.

Mise en place in der Hobbyküche

 

 

Ansonsten gibt der Koch zu jedem Menü schlau durchdachte allgemeine Hinweise zu mise en place und Interpunktion der Arbeitsschritte, was ein Profi überblättern kann, aber allen sonstigen, auch fortgeschrittenen, Nachkochern nützlich sein könnte. Dazwischen finden sich bei den einzelnen Rezepten etliche ebenso brauchbare Tipps, wie z.B. Bete-Scheiben erst kurz vor dem Servieren in aufsteigender Butter zu dünsten, um die kräftige Farbe zu erhalten, oder die Walnüsse für den „Apfelschmarrn“ vor dem Karamellisieren in heißer Milch aufzukochen und das Häutchen abzuziehen.

 

Und immer wieder blitzt Sterneküchenhandwerk (Jürgens kochte vorher u.a. bei Haas, Winkler und Witzigmann) durch: Für die Krautwickerl wird schnell eine hochfeine Rosmarin-Specksauce zubereitet, für den Rehrücken zieht er zunächst aus Karkassen etc. einen Profi-Wildfond, das Fleisch erhält exakte Anweisungen (90° Ofentemperatur; 16-18 Min. Garzeit; 54° Kerntemperatur), auch die Fasanenknochen werden nicht weggeworfen, sondern dienen als Basis für einen Geflügelfond, der Saibling wird bei 60° in Limettenöl konfiert, die Zucchiniblüten in Erdnussöl frittiert, für seine „Milchlammkeule mit Couscous“ schafft er durch den Einsatz zweier unterschiedlich lange gereifter Balsamicos ein perfektes Säurespiel.

Wenn der "Power Tower" umfällt

 

Derart großes Kochkino legt die Latte natürlich extrem hoch, und auch Jürgens reisst sie an einigen Stellen. So sind auf dem Foto (alles in diesem Buch ist sehr hell, freundlich und nicht überdekoriert fotografiert) von „Kaisergranat im Chorizosud“ statt Langustinos nur zwei frittierte Mini-Garnelen zu sehen, der „Power-Tower mit Lammrücken“ kommt aus dem hohen Dessertring mit 12 wackelig aufgetürmten Schichten und würde noch nicht einmal von einem Jonglierartisten heile aus der Küche an den Esstisch gebracht werden können, und die bei „Perlhuhnbrust im Salzteig“ geforderte „Chorizo vom Rind“ dürfte angesichts dieser klassischen Schweinewurst nicht nur den ambitionierten Hobbykoch vor erhebliche Beschaffungsprobleme stellen.

 

Ansonsten wird aber fast immer erklärt, Bezugstipps genannt („Asia-Laden“) oder – lobenswerterweise nur in den echten Notfällen – Zutatenalternativen genannt. Mustergültig auch der Appendix mit den Grundrezepten, auf die in vielen Zutatenlisten konsequent verwiesen werden. Neben Basics wie Läuterzucker oder Petersilienöl sind hier alle wesentlichen Fonds beschrieben, bei der „Fleischglace“ sogar mit einem echten Profitipp zum Thema reduzieren – das 1:3- Verhältnis (Reduktion:Frischwein) wird klug ergänzt: „Bei rotem und weißem Wein wird damit die Säure stärker hervorgehoben, bei Madeira und Portwein kommt die Süße stärker zur Geltung“.

 

 

Fazit: Auf das Highend-Signature-Buch mit den Zweisternetellern aus der „Überfahrt“ müssen Profi-Kollegen wie Gourmet-Hobbyisten noch warten. Aber auch „Menü für alle Sinne“ offenbart diesen beiden Gruppen ausreichend Jürgens-Kniffe, die den Kauf dieses Buches rechtfertigen. Allen anderen, die einfach nur auf allerhöchstem Heim-Nievau mehr oder minder aufwändige Dreigang-Menüs kochen wollen, kommen um diese perfekt lektorierten und validierten Rezepte samt mise en place-Hinweisen nicht herum. Für mich ohne wenn und aber eines der besten Kochbücher des Jahres.

 

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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