Ali Güngörmüs

Ali Güngörmüs – Das Kochbuch

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Ali Güngörmüs – Das Kochbuch
Ali Güngörmüs:
"Ali Güngörmüs – Das Kochbuch"
Erscheinungsjahr: 2008
288 Seiten
100 Rezepte
39,90 EURO
ISBN: 13: 978-389910397-7

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Ali Güngörmüs – Das Kochbuch Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

"Schau in die Sonne, schau in den Tag" – wenn der Familienname (Güngörmüs) genau dies bedeutet, sollte man alles werden, nur nicht Koch. Der schaut bekanntlich den ganzen Tag nur in seine Töpfe und Pfannen. Bei grellem Kunstlicht. Ali Güngörmüs ist trotz dieser Namensvorbelastung Koch geworden, hält wacker einen Stern in Hamburg hoch und hat jetzt nicht nur ein Kochbuch gemacht, sondern genau das, Kochbuch, das er wollte.

 

"Ein eigenes Kochbuch war immer mein Traum", erinnert sich Ali, "aber es sollte davon berichten, wie ich aufgewachsen bin". Also keine Rezeptsammlung, sondern eines der großen, autobiographisch unterfütterten Signature-Werke, in deren Reihe u.a. auch Thomas Kammeier, Johannes King und Kolja Kleeberg zu Buch-Ehren gekommen sind.

 

Auch wenn Ali Güngörmüs immer wieder blöde Anspielungen auf seine Herkunft – 1976 in Tunceli in der Osttürkei geboren, mit zehn Jahren kam er zu seinen bereits als Gastarbeiter in Deutschland tätigen Eltern nach München – mit gut gespieltem Langmut wegstecken muss ("Döner-Test" in "Titel Thesen Temperamente"), ist seine Art zu kochen doch stark von seinen Wurzeln geprägt.

 

In der Türkei wird viel mehr als in Deutschland noch immer fast ausschließlich aus frischen Zutaten gekocht, gern und viel Gemüse gegessen, mit Vorliebe auch gefülltes – und viele türkischen Köche haben sich die Verspieltheit ihrer Kindheit bis ins Mannesalter bewahrt.

 

 

Das schlägt sich auch in den Rezepten nieder. Natürlich kocht Güngörmüs auf der Basis seiner Sternenkarriere ("Glockenbach" München (1 Stern), "Tantris" München (2 Sterne), "Schweizer Stuben" Wertheim (2 Sterne), "Käfer Schänke" und das "Ederer"; erster Küchenchef im Münchner "Lenbach") auch das ganze übliche Hochpreisproduktsegment rauf und runter: Jakobsmuscheln, Flusskrebse, Stopfleber, Hummer, Steinbutt, Bresse-Poularde und Trüffel.

 

Doch Gerichte wie "Feigenconfit mit Ziegenkäse-Espuma", "Thunfisch im Weinblatt mit Zitronen-Dattel-Relish", "Gänseleber im Yufka-Kleid mit orientalischem Quitten-Maronen-Ragout und Granatapfel" oder "Parfait vom Türkischen Honig mit Weinberg-Pfirsich" zeigen eine ganz eigene, in der deutschen Sternenküche einmalige, Handschrift, die bei Alis starken Gemüsegerichte im vegetarischen Kapitel noch mehr in den Vordergrund tritt. Doch das Fleischlose darf man wie bei den meisten Sterne-Kollegen, die schnell mal einen halben Liter Kalbsfond im "vegetarischen" Rezept stehen haben, leider auch bei Güngörmüs nicht ganz wörtlich nehmen.

 

Ein echtes Flagship-Rezept, "Gemüsepralinen mit Linsenvinaigrette" (in voller Breite auch hier auf kochmonster zu finden), zeigt Alis Feinsinn beim Grünzeug – die Zwiebeln sind mit einem handfest mediterran gekräuterten Bohnenpüree gefüllt, die Zucchiniblüten mit einer Farce aus Kartoffeln, Eier und Zucchini. Und dann das: die Blüten werden in 100 ml Geflügelfond gegart. Die sollen sich nicht so anstellen, diese Muslifresser...

 

 

 

Und damit beginnt die Sonne, die aus Alis Rezepten scheint, ihre ersten Schatten in den Kochalltag zu werfen. Natürlich kämpft Güngörmüs auch noch immer gegen den anderen Schatten, den seines Vorgängers Josef Viehhauser, der das Le Canard an der Hamburger Elbchaussee lange Jahre als bester Koch Norddeutschlands (am Ende leider in den Ruin) geführt hatte. "Le Canard Nouveau" heisst es nun, Güngörmüs hat viel neuen Wind mitgebracht, bekommt aber in der dünnen Luft der Sternenkochgilde schnell Turbulenzen in sein Tagwerk. Der "Feinschmecker hat ihn wieder auf zwei von fünf möglichen Punkten zurückgestuft. Wegen zu süßer Entenvorspeisen mit versalzenen Erdnüssen, klebrigen Gelatinetörtchen, süßlichem Erbspüree – allesamt Schludrigkeiten, die nicht dem Spieltrieb des Maitre entsprungen sein dürften.

 

Auch einige der Buchrezepte verlieren beim genaueren Studium und Nachkochen etwas von dem Glanz des ersten Eindrucks. Trotz einer ordentlichen Liste von Grundrezepten (43 Stück!) am Buchende und Alis unermüdlichen Einsatz selbst hergestellter Zwischenprodukte, setzt Güngörmüs in einigen Rezepten noch zu viel Zutaten aus dem Supermarkt oder dem Convenience-Zulieferer-Regal ein. Hier nimmt er Tiefkühlerbsen unabhängig von der Saison, dort eine Fertig-Fischsauce aus dem Asia-Laden, bei den Desserts macht er bis auf ein Bananenpüree kaum ein Fruchtmark selbst.

 

In den Rezepten steht dann "erhältlich bei Boiron". Was das sein soll, wird nirgendwo erklärt. Gemeint ist der Hersteller der wohl besten Covenience-Fruchtmarks aus dem französischen Rungis Cedex, auf deren website www.boironfreres.com freilich – so sind sie, die Franzosen – noch nicht einmal Bezugsquellen genannt werden. Güngörmüs verweist an einigen anderen Stellen auf den Spezialversender Bosfood. Das hätte er bei Boiron auch machen sollen, Bos www.bosfood.de vertreibt nämlich das gesamte Fruchtprodukte-Programm.

 

Bei einem Rezept schließlich, "Gegrillte Gänseleber mit Apfelkompott und Apfel-Blätterteig-Tarte" kommen nacheinander in der Zutatenliste: "1 Scheibe TK-Blätterteig", 100g Marzipanrohmasse" und "1 El Aprikosenkonfitüre". Mit Verlaub, Herr Kochkünstler, das gehört eher in das Buch "Lecker kochen mit Tengelmann". Sowas hat schon ganz andere Sterne vom Himmel geholt.

 

Um fair zu bleiben: das Güngörmüs-Werksverzeichnis ist eine wahre Fundgrube für alle fortgeschrittenen Hobbyisten, die Interesse daran haben, welche spannenden Einflüsse die mediterran/orientalische Hochküche auf mitteleuropäische Edelproduktgastronomie haben kann. Das ist, unter dem Strich, ein crossover, das im Moment niemandem in Deutschland so elegant gelingt wie dem Münchner Türken in der neuen Hamburger Ente.

Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
www.kochtext.de