Harald Rüssel
"Die neue Landküche"
Gibt’s nicht nur in Frankreich und England, sondern zunehmend in Deutschland: Landküche mit romantisch-klugem Geschmack. Harald Rüssel vom Landhaus St. Urban an der Mosel hat diesem Trend mit seinem neuen Kochbuch einen wichtigen Wegweiser hingestellt. Mit Landei (haha!), Moselaal, Makrele, Graupen, Weißkraut, Ochsenmaulsalat, Waller, Poularde, Blauschimmelrisotto und Sülze. Was das schon beim ersten Durchblättern lecker klingen lässt, sind die Verfeinerungen. Pimentschaum, Süsskartoffelsalat, geräucherter Rhabarber, Aniskraut mit Gin und trockenem Riesling, Roggenbrotsud...
Das sei nicht sein erstes Kochbuch, betont Harald Rüssel, aber sein Wichtigstes. Stimmt.
Meine längst verstorbene niederbayerische Oma hätte, Mittel und Zeit vorausgesetzt, genauso gearbeitet; ein größeres Lob fällt mir kaum ein. Wie er besaß sie, was auch im ländlichen Deutschland mal selbstverständlich war: Respekt vor allem, was nährt, Kunde von allem, was schmeckt und eine richtige Freude am Hantieren mit Produkten, die im Bauerngarten wachsen und der Mann von der Jagd und vom Angeln nach Hause bringt.
Deshalb sind die üblichen Rezeptkapiteleinteilungen hier der Realität einer echten (Sterne-) Landküche gewichen, sprich Vorspeisen, Fisch, Fleisch & Geflügel, Wild (über zwanzig Seiten) und Desserts. Unterthemen wie Garen in der Folie und regionalen Zuliefereradressen widmet er kurze Seiten, ein Rind wird genauso ausdrucksstark porträtiert wie Rüssels Brigade; die Foodfotos sind von Luzia Ellert und stehen für sich. Dass auf Blumenkohltropfen Pfifferlinge gesetzt werden, so groß wie der Nagel des kleinen Fingers, oder sich Minzeblättchen wie Flügel am Köpfchen des Götterboten Hermes ausmachen, sei’s drum, das muss wol so sein, wenn vorne an der Tür ein Stern hängt. Solche Optik würde in jedem anderen Landküchen-Zusammenhang affig wirken. Hier betont es die Sorgfalt, mit der selbst eine Blattpetersilie veredelt oder ein Meerrettich-Spiegel hochgetunt werden.
Die meisten Gerichte laufen mit durchschnittlichen 7 Komponenten übersichtlich gestaltet über mehrere Seiten und lassen sich, Zeit vorausgesetzt, in einer kleinen Küche abarbeiten wie in einer Profiküche. Natürlich sind nicht alle Zutaten einfach zu bekommen. Ich kenne jedenfalls niemanden, der mir Schweineschnäuzchen beschafft. Doch das sind verschmerzbare Ausnahmen und finden vorrangig in Unterrezepten statt.
Optisch ist die Ausstattung des Buchs mit Ingres-Papier, doppelseitigen Porträts von Mosel-Landschaften und Zulieferern und kleinteiligen Moodfotos sicherlich nicht jedermanns Geschmack, vermittelt jedoch auch hier einen gelungenen Mix aus traditioneller und lifestyliger Wertigkeit.
Fazit: Ein weniger überkandideltes Sternekochbuch habe ich lange nicht gesehen. Immerhin hat Harald Rüssel, der vom Cover angenehm in die Ferne guckt und nicht den Käufer angrient, in seinem Landhaus St. Urban 18 von zwanzig Gault Millau-Mützen und hält schon lange seinen Michelin-Stern. Für Anfänger nicht geeignet, aber wer ein Risotto schlotzig hinkriegt, der kann loslegen. Könner, Profis und Streber sollten es auf ihren Wunschzettel schreiben.
Gabriele Gugetzer
Gabriele Gugetzer
Gabriele Gugetzer holte sich einen M.A. in Südkalifornien, lebte in London und schreibt seit vielen Jahren über Essen und Trinken. Sie hat über 20 Kochbücher herausgebracht, ist Feuerwehr- und Schottlandfan und die Reisereporterin der Zeitschrift "LandGenuss". "Nach einem Backbuch kommt sie mit ihrem aktuellen Projekt – zur Buchmesse auf dem Markt – ihrer Lieblingsstadt wieder näher. "Indische Küche in London" heißt es.
gugetzer@kochmonster.dewww.kochmonster.de
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