Thomas Kammeier

Thomas Kammeier –Das Kochbuch

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Thomas Kammeier –Das Kochbuch
Thomas Kammeier:
"Thomas Kammeier –Das Kochbuch"
Erscheinungsjahr: 2008
320 Seiten
70 Rezepte
49,90 EURO
ISBN: 9783899103694

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Thomas Kammeier –Das Kochbuch Bewertung: 3 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Warum nur so ein schlechtes Buch von einem so großartigen Koch? Thomas Kammeier, Küchenchef im Restaurant Hugos  ganz hoch oben im Berliner Hotel „Interconti", gehört zu der jungen Garde von Spitzenköchen, die zwar das möglichst unverfälschte Grundprodukt nach wie vor in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, sich bei der Verfeinerung und geschmacklichen wie texturellen Verbesserung der Komponenten allerdings frech und ungeniert sämtlicher zeitgemäßer Zubereitungstechniken bedienen.

 

Es wird also auch bei Kammeier munter geliert, exotisch mariniert, es gibt überraschende Schäume und Lüftchen, das Fleisch gart schon mal mehr als einen Tag lang, doch im Grunde geschieht alles nur, um das Produkt noch mehr auf die Spitze zu treiben.

 

Quer durch das Buch zieht sich Kammeiers Trick, tournierte Zutaten mit ihren pürierten und gewürzten Abschnitten über Nacht zu marinieren und dadurch den Geschmack zu potenzieren. Die Folge: ananasierte Ananas, papayasierte Papaya, karottisierte Karotten. Diese Technik besticht durch ihre naheliegende Evidenz und ihre unglaubliche Effizienz. Wer diese Kammeier-Rezepte nachkocht, erreicht zum Beispiel bei einem Langostino auf Papayascheiben durch das Marinieren der Papayaabschnitte in Multivitaminsaft, wenig Zucker und etwas frischer Chili einen ebenso gewaltigen Frucht-Booster wie die in ihren Schälabschnitten (plus Ingwer und Wasabi) gedünsteten Gurken des Wunderlandrezeptes "Seesaibling konfiert mit Ingwer-Wasabi-Gurken" erheblich an Format gewinnen.

 

Kammeier erfreut Leser (und natürlich seine Restaurantgäste) mit auch optisch genialen Tellern: Die Fotos von Lucia Ellert sind ein Hochgenuss, der ergänzt von etlichen raffiniert dazwischen geschnittenen Bildern von Berlins Flora, Fauna und (Hotel-)Architektur zusammen mit den schönen Schwarzweiss-Backstage-Shots ein zumindest für das Auge hochklassiges Signature-Kochbuch entstehen lassen. Solange der Wälzer im Wohnzimmer bleibt.

 

Zandersperma oder Eierlikörluft?

 

Denn leider fehlt dem Buch hinten und vorn jegliche Präzision. Beim Foto vom Kalbstafelspitz ist die Meerrettichcreme mit schwarzen Saucenpunkten dekoriert. Balsamico? Kalbsjus? Das weiß nur der Kochkünstler, verrät es uns im Text aber ebenso wenig wie das Geheimnis der weißen Würfelchen beim Thunfisch im kalten Apfelsüppchen, oder des weißen Schäumchens (siehe Foto) am Havelzander. Allesamt Rezepte übrigens, die man im Buch mangels eines Registers am Ende ohnehin kaum wiederfindet.

 

 

Was bitte ist der weiße Schaum? Eierlikörluft? Meerwasserespuma? Zandersperma? Das Rezept schweigt sich dazu aus

 

Vielleicht ist diese Schludrigkeit Kammeiers Philosophie geschuldet, die er im Interview mit der "Berliner Morgenpost" so erläutert: "Viele Kollegen notieren sich alles akribisch, was sie jemals gekocht haben und ich selber habe eine Rezeptdatei von Einzelrezepten - aber letztendlich bewahre ich mir nichts auf, und das mache ich bewusst, weil man so immer wieder gefordert ist, etwas Neues zu machen, sich weiter zu entwickeln. Man muss ständig nach neuen Produkten schauen, nach guten Produkten, und es ist auch Basis meiner Küche, dass wir versuchen, gute Produkte zu benutzen und die dann so heraus arbeiten."

 

Ach so – Herr Kammeier hat schlicht und einfach vergessen, was vor ein paar Wochen für den Fotografen so alles gekocht hat? Oder ist es schiere Frechheit wie bei einem Rezept mit dreierlei Spanferkelzubereitungen (Bauch, Bäckchen, gewurstetes Eisbein). Hier soll man, so steht das wirklich im Rezept, die Bestandteile „dekorativ auf Tellern anrichten“. So genau wollten wir das auch wieder nicht wissen.

 

 

Schöner Teller, null Info: Was liegt unter dem Bäckchen (l.), worauf steht der Bauch (r.), welche Sauce ist oben und unten angelegt?

 

Und was bitte ist das Pistou-artige Zeug auf dem Foto unter dem Bäckchen, woraus besteht das gelbe Quadrat mit dem Bauch obendrauf – und welche Sauce flankiert das Ganze auf beiden Tellerseiten? Für die Antworten wäre genug Platz auf den luftig layouteten Seiten: Allein die Einleitung druckt mit einer Schriftgröße, die meiner Uroma noch zu groß wäre, 19 Buchseiten voll. Normal wäre der Text schon auf der dritten Seite zu Ende gewesen. Schade, schade, schade um diesen guten Koch und seine wunderbaren Kreationen.

 

Deshalb: Hut ab, Herr Kammeier: Auf derart hohem Niveau sind wir schon lange nicht mehr verarscht worden.

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
www.kochtext.de