Rübaccio

Vegane Vorspeise von Peter Wagner

Rübaccio

Je länger der Winter dauert, um so weniger Auswahl gibt es an Feldfrüchten aus dem Vorjahr. Eine super Gelegenheit, jetzt die große geschmackliche und farbliche Vielfalt der Roten Rübe und ihren bunten Betebrüdern zu entdecken.

 

„Bete und Arbeite“ könnte auch für Agnostiker der Ernährungswahlspruch dieser Tage sein. Denn von der Vielfalt der im Freiland bis in den vergangenen Spätherbst geernteten Feldpflanzen wird das Meiste langsam so unansehnlich, dass wir auf dem Wochenmarkt ganz automatisch nach frischer aussehender Ware greifen. Die aber – von Kohlrabi über Salatherzen bis zum Spitzkohl – kommt nun immer häufiger aus dem Ausland. Oder überdüngtem Gewächshausboden. Oder beides.

 

Wie gut, dass sachkundig, also dunkel, kühl (aber nicht eisig) und bestenfalls in Erde gelagerte Rüben aus der großen Familie der Gänsefußgewächse gibt. Auf den Teller kommt meist die hierzulande weit verbreitete Rote Bete, die mit dem Mangold und der gemeinen Zuckerrübe enger verwandt ist als mit anderen Pflanzen, die von dem extrem stark auch auf Hände und Schneidbrett abfärbenden Stoff Betanin ihr tiefdunkles Rot erhalten – zum Beispiel die violetten Früchte der Opuntien-Kakteen.

 

Bei der Bete – deren Namen nichts mit den Beeten, in denen sie wachsen zu tun haben, sondern dem lateinischen Begriff für Rübe („beta“) – wirkt dieses Glykosid so stark, dass sie alles, was mit ihnen in einen Topf, Schüssel oder Salat kommt, ebenso rot einfärben wie (gewünschtermaßen) die Ostereier oder gar industrielle Lebensmittel, die mit dem Bete-Färber E 162 gerötet wurden. Der ist in dieser Form allerdings nicht besonders hitzebeständig, was man an bunten Nudeln gut beobachten kann. Wenn diese Pasta Tricolore nach dem Kochen noch gelb (Curcuma-Färbung), Spinat-grün und kräftig Rot ist, waren Letztere mit Direktsaft oder Konzentrat aus Wurzeln gefärbt. Bleibt ein laues Blassrosa in der Nudel, ist wahrscheinlich industrielles Betanin benutzt worden.

 

Allerdings muss man trotz aller gesundheitsfördernder Wirkung der Bete-Vitalstoffe wie Folsäure, Kalium und Vitamin B auch berücksichtigen, dass rohe oder nur kurz blanchierte Bete auch eine ganze Menge der für manche Krankheitsbilder fatalen Oxalsäure enthalten. Mit maximal 350 Milligramm pro 100 g Frischgewicht zwar nicht so heftig wie im Rhabarber (750) oder Spinat (bis 1350), aber genug, um bei Eisenmangel oder Nierensteinen gefährlich zu werden.

 

Außerdem ist es sinnvoll, auf Ware ohne den „typischen“ Kellergeruch zu achten. Der nämlich entsteht bei unsachgemäßer Lagerung und kann ein Indiz dafür sein, dass die Rübe (vor allem nach so vielen Lagerwochen wie im Moment) gesundheitsschädliche Mengen von Nitriten gebildet haben, die aus dem chemischen Umbau von in Düngemitteln vorhandenen Nitraten entstehen.

 

Für unser heutiges „Rübaccio“, zu dem man problemlos auch Feinschmecker-Veganer einladen kann. Also diejenigen Tierverweigerer, die dem Konsum von Schnitzelderivaten nicht wirklich zugeneigt sind. Jener Fleisch“ersatz“ aus Montsano-monokulturell angebautem und garantiert unfair getradetem Soja, dazu noch mit Massen von nicht-tierischen Lebensmittelzusatzstoffen zugeschmissen.

 

Nein, dann schon lieber RÜBE AB! Genauer gesagt: neben der klassischen Roten ihre freundliche gelbe Schwester, dazu die dem Rettich näher stehenden, aber nicht so scharfen Goldnavetten und die nicht nur optisch mit ihrem rasanten rosa-weißen Kringelmuster punktenden Tondo di Chioggia. Die war früher nur aus der Umgebung der norditalienischen Stadt Chioggia erhältlich, die als das „Gemüsebeet Venedigs“ gilt und dort auch für ihren besonders milden Radicchio „La rosa di Chioggia“ berühmt ist.

 

Hatten wir vorhin nicht „Regional!“ gerufen? Keine Bange – die Ringelrübe wächst inzwischen wieder von Nordsee bis Mittelmeer. Weit weniger genau nimmt es unser Rezept aber mit der Herkunft der Aromaten in den vier verschiedenen Marinaden, in denen die Rüberarten sortenrein ein paar Tage eingelegt werden: Der türkische Nar ek?isi (Granatapfelsirup) gibt den Roten eine klare Säurekante auf die nach längerer Lagerung stärker werdende Zuckrigkeit, Cardamom untermalt die zarte Zitrigkeit der Gelben Bete, Zimtblüten und frischer Orangensaft treiben den Navetten die Schwefeligkeit aus und die geschmacklich eher zurückhaltenden Chioggias werden mit Kreuzkümmel und Nelken zur Seligkeit einer aufregenden Rübenbraut aromatisiert.

 

Vorsicht ist nur nach der Bete-Hochzeit geboten: Auch wenn wir mit Hilfe des Darmwind-Beruhigers Fenchelsaat die Blähwirkung der Knollen ein bisschen abgemildert haben, könnte noch das eine oder andere muntere Tönchen hinten raus kommen. Das macht aber nichts, schließlich haben wir das Lutherjahr, und schon Sankt Martin (nein, diesmal ausnahmsweise nicht der Schulz) wusste: Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.

 

© 2017 Peter Wagner/kochtext
Vorbereitungszeit: 1 Stunde
Wartezeit: 48 Stunden
Zubereitungszeit: 20 Minuten
Zubereitungsart: sequentiell

Zutaten

Rote Bete
200 g Rote Bete, roh
250 g Wasser
1 Prise Salz
1 EL Fenchelsamen
5 EL Himbeeressig
2 EL Granatapfelsirup, sauer
Gelbe Bete
200 g Gelbe Bete
350 g Wasser
1 Prise Salz
8 Kardamom, grün
2 EL Koriandersamen, ungemahlen
100 ml Balsamicoessig, weiss
Goldnavetten
200 g Navette, gelb
350 g Wasser
1 Prise Salz
100 g Orangensaft, frisch gepresst
8 Zimtblüten
0,5 TL Curcuma, gemahlen
2 EL Senfsaat-Körner, gelb, Bio
Tondo di Chioggia & Garnitur
200 g Tondo di Chioggia
300 ml Wasser
1 Prise Salz
0,5 TL Kreuzkümmel, gemahlen (Cumin)
5 Nelken
50 ml Weißweinessig
100 g Walnusskerne
1 EL Rohrzucker, braun, roh, unraffiniert, mittelgrob
1 TL Fleur de Sel
8 EL Walnussöl
4 EL Thymianblätter, frisch, fein gehackt
1 EL Pfeffer, bunt, im Mörser grob zerstoßen
1 EL Maldon Sea Flakes

Wein-Tipp

Erste + Neue "Stern" Sauvignon DOC 2015

Das pelzige Gaumengefühl, das die Oxalsäure auslöst, macht die Begleitgetränkeauswahl nicht einfach. Wer ohnehin keinen Wein trinken will, ist hier mit einem gut gekühlten und nicht so süßen sortenreinen Birnensaft gut bedient. An der Weinfront überraschte ausgerechnet ein Sauvignon Blanc aus Südtirol: Der Erste + Neue "Stern" Sauvignon DOC 2015 bringt zwar in Sachen Säure und Mineralik sortentypische Eigenschaften mit, entwickelt sich im Mund aber überraschend mild und seidig und stört auch in der Nase nicht mit dem hier oft unvermeidlichen Katzenstreu-Hautgout.

Musik-Tipp

Bei so vielen Rüben und Wurzeln passt eigentlich nur noch erdverbundener Roots-Hardrock in den Küchenplayer – meisterlich vorgetragen von der niederländischen Americana-Combo Vanderlinde, die auf dem Doppelalbum „Devil’s Trails“ (Snakebite) eine Mischung aus Best Of und neuen Songs im Soundfeld zwischen Van Halen, Saga, Elton John und den Eagles in die Best-Ager-Gehörgänge schrauben.

Zubereitung

Rüben

Zwei Tage vorher beginnen: Alle Rüben schälen (bei der Roten Bete Handschuhe tragen)

 

 

und getrennt voneinander in sehr dünne Scheiben hobeln. Jeweils die restlichen Zutaten zusammen in Topf aufkochen, Rüben 1 Min. mitkochen, vom Herd ziehen und 30 Min. abkühlen lassen.

 

 

In Sorten getrennt mit der jeweiligen Kochflüssigkeit

 

 

 

vakuumieren oder in Gefrierbeutel verknoten. Im Kühlschrank mind. 48 Stunden marinieren.

 

Garnitur

Nüsse grob hacken und in Pfanne mit dem Zucker karamellisieren, aber nicht zu stark bräunen.

 

 

Mit dem Fleur de Sel bestreuen und auf Teller abkühlen lassen.

Anrichten

Bete aus der Marinade nehmen und auf Küchenkrepp trocknen. Auf vier große Teller farblich abwechselnd wie ein Carpaccio auflegen. Vorher nach Belieben in gleich große Scheiben ausstechen.  Jeden Teller mit 2 EL Öl (mit Pinsel) bestreichen, Thymian, Pfeffer und Fleur de Sel verteilen und sofort servieren. Tipp für Vegetarier & Flexitarier: Mit einem 200-Gramm-Stück Ziegenfrischkäse, der im Backofen mit etwas Honig gratiniert ist, wird dieses Rübaccio zum vollwertigen Hauptgericht.

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
www.kochtext.de