Tote Bete

Labskaus dekonstruiert: Zwischengericht für 4 Personen von Peter Wagner

Tote Bete

Spaßverbot herrscht bis heute auch auf 99 Prozent aller Labskausteller. Ursprünglich wurde für dieses Gericht auf hoher See alles verkocht, was erstens gegen den Skorbut mehr Vitamine aufzubieten hatte als ein Liter Rum, und was zweitens am Ende der Segelwoche an gerade noch genießbaren Essensresten zusammengekratzt werden konnte – im Zeitalter vor der Erfindung des Kühlschrankes also vor allem klassisch konserviertes wie Pökel- oder Dosen-Fleisch (Corned Beef), sauer eingelegtes wie Gurken oder Hering und unbehandelt haltbares wie Eier, Zwiebeln, Kartoffeln, Schiffszwieback und Rote Bete.

 

Hier dagegen kommt eine Labskaus-Variation, die ausschließlich mit derzeit in der Hochküche akzeptierten Zutaten arbeitet, die zusammen genommen dennoch das Assoziationsfeld "Labskaus" fast vollständig ausfüllen: roher Sashimi-Thunfisch, in Biosäften knackig gegarte Bete, Kalbsrückenfilet, Spiegelei von der Wachtel.

 

© 2008 kochtext
Vorbereitungszeit: 1 Stunde
Zubereitungszeit: 1 Stunde
Level: sous chef
Zubereitungsart: sequentiell

Zutaten

Betestreifen
4 Stück Rote Bete, roh
4 Stück Bio-Orange
500 ml Cranberrysaft, naturbelassen, ungezuckert
250 ml Gemüsebrühe
1 Stück Sternanis
1 EL Fenchelsamen, grün
1 EL Zitronensaft, frisch gepresst
0,5 TL Meersalz, fein
4 Stück Spiegelei vom Wachtelei
1 TL Maldon Sea Flakes
3 EL Schnittlauch
Streifen und Tartar vom Thunfisch
500 g Thunfisch, roh, Sashimi-Qualität
2 Stück Kaffirlimettenblätter
0,5 TL Szechuan-Pfefferkörner
1 EL Zitronensaft, frisch gepresst
0,5 TL Sesamöl, geröstet
0,5 TL Ingweröl
0,5 TL Meersalz, fein
1 Msp Wasabipulver
1 EL Ingwer, frisch
Streifen und Tartar vom Kalbsrücken
3 Stück Kalbsrückensteak
0,5 TL tasmanische Pfefferblätter
2 TL Arganöl
0,5 TL Meersalz, fein
2 EL Pfeffer, bunt, im Mörser grob zerstoßen
1 EL Kräutermeersalz, sehr grobkörnig

Wein-Tipp

Besser als eine Buddel Korn harmoniert zu der starken Aromavielfalt (erdig, marokkanisch, asiatisch) ein nicht zu cremiger, leicht zurückhaltender Weißwein wie der 2007er Weingut Josef Rosch Riesling "Leiwener Klostergarten" Steillage , dessen frische Zitronenwürzigkeit und feinherbe Mineralität am besten bei sehr niedriger Serviertemperatur (6 Grad) zur Geltung kommt. Dieser Wein sollte eiskalt zusammen mit dem Gericht serviert werden, damit er sich nicht vor dem Essen schon im Glas erwärmt.

Musik-Tipp

Fast so weit gereist wie die Zutaten der "Toten Bete" sind die CDs, die wir bei der Zubereitung hören: halb Rumänin, halb Nigerianerin, balanciert die in London aufgewachsene Wahl-Pariserin Ayo mit ihrer zweiten CD "Gravity At Last" (Polydor France/Universal) traumhaft geschickt auf dem Hochseil zwischen Reggae, Pop und Gospel, während ihr Bruder im Freigeiste, der ehemalige Sonderschullehrer Amos Lee aus Philadelphia, auf "Last Days At The Lodge" (Blue Note/EMI) handgefertigte Americana mit warmen Blues-Jazz und coolem Soul würzt. Die asiatische Note in den Abend bringt Miss Kenichis Album "Fox" (Strangeways/Indigo). Kenichi ist dabei in etwa so japanisch wie "Suschi mit Bismarckhering": hinter dem Namen steckt die Berliner Elektro-Folkerin Katrin Hahner, die mit allerdings fast schon asiatisch anmutender Askese kleine, von innen leuchtende Lebenslieder singt.

 

 

Zubereitung

Bete

Bio-Orangen auspressen, Schale einer Orange abreiben. Bete-Knollen schälen und in Orangensaft, Schalenabrieb, Cranberrysaft, Gemüsebrühe und Sternanis bissfest kochen. Die Bete sollten sich eher fest als weich anfühlen. Auskühlen lassen. Latexhandschuhe überstreifen,  mit scharfem Sparschäler kreisförmig um die Knollen schälen, damit lange, gleichmäßig breite Streifen entstehen (Technik ähnelt dem Apfelschälen "in einem Stück"). Streifen an den Seiten mit Lineal absolut gleichmäßig zuschneiden. Fenchelsamen in beschichteter Pfanne ohne Öl kurz erhitzen, etwas abkühlen lassen, fein mörsern, mit Meersalz, Zitronensaft und Honig zu Marinade anrühren. Bete-Streifen damit gleichmäßig einpinseln, mit Folie abdecken, bei Zimmertemperatur 1 Stunde marinieren.

 

Fisch

Aus dem sehr kalten (ideal: 0 Grad) Thunfisch mit scharfem Messer 8 dünne Streifen von ca. 4x10 cm abschneiden, alle Abschnitte aufheben. Kaffirlimonenblätter mit Messer sehr fein hacken, zusammen mit den restlichen Zutaten außer dem Ingwer eine Marinade anrühren. Streifen damit gleichmäßig einpinseln, mit Folie abdecken, im Kühlschrank 1 Stunde marinieren. Den Rest des Fisches mit sehr scharfem Messer fein hacken, dabei stets schneiden und nicht drücken, damit die Fischzellstruktur nicht zerquetscht wird. Tartar mit dem Meersalz, Ingweröl, Wasabipulver und dem geriebenen Ingwer gut durchmischen, im Kühlschrank abgedeckt aufbewahren.

 

Fleisch

1 Stunde vor der Zubereitung zwei der Rückenfilets aus dem Kühlschrank nehmen, gleichmäßig mit dem bunten Pfeffer und dem groben Salz würzen, Gewürze in das Fleisch massieren (das sehr grobe Salz entzieht dem Fleisch keine Flüssigkeit). Filets einzeln fest in mit etwas Olivenöl bestrichene Alufolie wickeln, 30 Min. bei Zimmertemperatur ruhen lassen. Inzwischen das dritte Filet mit scharfem Messer zu feinem Schabfleisch (Tartar) klein schneiden, mit Salz, Arganöl und den zwischen zwei Fingern fein geriebenen Pfefferblättern vermengen, im Kühlschrank abgedeckt aufbewahren.

Filets in schwerer Pfanne mit neutralem Öl (z.B. Rapsöl) medium braten (hier hilft auch unser Steakvideo  weiter), anders als im Video beschrieben aber in der Folie bei Zimmertemperatur abkühlen lassen. Filets auspacken, mit scharfem Messer 16 dünne Streifen von ca. 4x10 cm abschneiden

Anrichten

Mit den auf Krepp abgetrockneten Thunfischstreifen die Innenwände von vier Servierringen auskleiden, Innenraum gleichmäßig mit dem Kalbstartar füllen, leicht andrücken. Thunfischtartar in 8 Portionen teilen, zu kleinen Rollen formen, mit jeweils 2 Kalbssteakstreifen straff umwickeln. Aus 6 Wachteleiern in Butter Spiegeleier ausbraten (2 mehr als benötigt, falls Dotter zerlaufen sollten). Bete-Streifen mit Krepp abtrocknen, auf 2 großen, Tellern (Tipp: Wandfliesen aus dem Baumarkt unten mit Filzgleitern bekleben und als Teller einsetzen) je ein Kreuz auflegen (siehe Foto), die lange Seite des Kreuzes mittig mit einem Streifen Schnittlauchröllchen dekorieren. Thunfischrolle mit dem Servierring aufsetzen, Ring vorsichtig abziehen. Gegenüber Türmchen aus je 2 Kalbsröllchen bauen. Je 1 mit Salzflakes bestreutes, heißes Wachtelspiegelei in die Kreuzmitte legen, sofort servieren. Wer es sich zutraut, extrem schnell und sicher zu arbeiten, kann die Steaks auch heiß aufschneiden und mit dem Thunfischtartar anrichten – um dann neben den heißen (Ei) und kalten (Thunfischröllchen) auch mundwarme Elemente auf dem Teller zu haben.

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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