Gabriele Praschl-Bichler, Gerd Wolfgang Sievers

Kaiserliche Küche: Die Rezepte der Habsburger

kochbuch

Kaiserliche Küche: Die Rezepte der Habsburger
Gabriele Praschl-Bichler, Gerd Wolfgang Sievers:
"Kaiserliche Küche: Die Rezepte der Habsburger"
Erscheinungsjahr: 2010
256 Seiten
114 Rezepte
39,90 EURO
ISBN: 978-3702012298

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Kaiserliche Küche: Die Rezepte der Habsburger Bewertung: 4 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Die Geschichte der Koch- und Genusstraditionen Europas am Beispiel des archetypischen Herrschergeschlechts Habsburg aufzudröseln, ist ein schon am Größenwahn angesiedeltes Großprojekt, das nur gelingen kann, wenn der Autor von wenigstens einem der zwei Aspekte richtig Ahnung hat. Immerhin hat Gabriele Praschl-Bichler bereits schlappe zwei Dutzend Bücher über die Habsburger geschrieben.

 

In diesem aktuellen Werk wird jede Regentschaft  mit einer Lebensgeschichte des Herrschers eingeleitet, gefolgt von mehreren Seiten zur Esskultur während der Zeit, die sich nicht nur auf die geschmacklichen Vorlieben von Hof und Herrscher einschießt, sondern auch die kulturellen Zeitläufte einbezieht. Dann geht’s zu den Rezepten, die teilweise in einer kommentierten Originalfassung wiedergegeben sind und zusätzlich von dem österreichischen Exil-Münsteraner Koch Gerd Wolfgang Sievers für die gemeine Zweizimmer-Küche-Bad-Wohnung unserer Tage umgeschrieben wurden.

 

Als reines Kochbuch ist das in die zwanzig Habsburger Leben aufgeteilte Buch weniger zu gebrauchen – und auch nicht gedacht. Schon im Mittelalter (los ging’s mit König Rudolf I. zwischen 1218-1291) äußerte die höfische Küche ihren Machtanspruch in der Verwendung von exquisiten, teuren, edlen und seltenen Zutaten, am liebsten viel davon, am liebsten alles zusammen. Gefüllte Eier mit Orangen-Senf-Sauce (Mitte des 16. Jhs.), Rehrücken in einer Sauce aus Rotwein, Gewürznelken, Macis, Kardamom, Zimt, Pfeffer, Orangenschale, Balsamicoessig UND Senf (Mitte des 13. Jhs.), Viererlei vom Fisch in Lebkuchensauce mit frischen Feigen (Wende 15./16. Jh.) oder Fasan mit Safran, Ingwer, Knoblauch, Zimt, Kreuzkümmel, Koriander ((Anfang des 18. Jhs.) zeugen davon. Auch die Sitte, ganze Ochsen vor dem Grillen mit allerlei anderem Getier von Spanferkel bis Vögel zu stopfen, zeugt von kaiserlicher Macht: Die Jagd und der Verzehr des Gejagten war fast ausschließlich Zeit  Adel vorbehalten.

 

Ähnliche Auswüchse an Verschwendung und für unsere heutigen Gaumen wahrscheinlich ins Ungenießbare gewürzte Speisen finden sich in den Schlossküchen der ganzen Welt, ob man nun bei Heinrich VIII. in Hampton Court in die für damalige Verhältnisse riesige mehrräumige Schlossküche guckt oder sich bei den chinesischen Kaisern fragt, was an Bärentatzen und Vogelnestern denn so klasse war außer der Tatsache, dass man sie nicht auf dem nächsten Markt bekam.

 

Doch dieses Buch ist weit mehr als ein Sammelsurium überkandidelter Rezeptideen. Jamie Oliver (jetzt muss ich mal mit meinen diversen Interviews mit dem Herrn angeben) erzählte mir mal von seiner Sammelwut alter Kochbücher - darin würde er mittlerweile viele Inspirationen finden.

 

Das ist auch bei diesem Buch nachvollziehbar: Angesichts obiger Lebkuchensauce, einem Gersteneintopf mit Suppengrün, Bauchspeck und Salbei, einer Hühnerbrühe mit altem Sherry und Sahne, Gebackener Milch (in Venedig: crema fritta) oder einem – süßen – Mandelkäse kommen selbst Kochanfängern von heute sofort die cleversten Ideen.

 

Der Küche von Kaiser Franz Joseph und „seiner“ Sisi sind die meisten Seiten gewidmet; von der Rindsuppe mit Einlage über Griesnockerl, Frittaten, Markknöderl, Tafelspitz, Kaiserschöberl, Schnittlauchsauce, Apfelkren und Kaiser-Guglhupf (mit 14 Eiern) sind diese Gerichte bis heute die Flagships der klassischen österreichischen Küche.

 

Die Autorin arbeitet mit vielen historischen Quellen, auch aus weniger leicht zugänglichen Palastbibliotheken, und hat neben einem deutsch-österreichischen Glossar eine vierseitige Bibliographie angehängt.Das gibt ein Fleiß-Sternchen.

 

Die Rezeptumwandlungen sind leider weniger sorgfältig. Intensive Aromaten wie Koriander- und Anissamen benötigen Mengengaben. Wie eine „kräftige Hühnerbrühe“ nur aus Suppenhühnern zubereitet werden kann, würde ich gerne auch wissen und in wieviel Schmalz zwei Wildenten angebraten werden müssen, um dann mit "präzise" 1 Glas trockenem Weißwein abgelöscht zu werden...

 

Aber man wil das ja auch nicht unbedingt nachkochen, eher drin blättern und sich zwischendrin amüsieren, beispielsweise über den späteren Kaiser, der schon immer Gourmet war, während sein Vater tafeltechnisch asketisch lebte. Als dieser spätere Maximilian I. während eines Belagerungszustands noch als Kind sein am meisten verabscheutes Essen, ein Erbsengericht, vorgesetzt bekam, ließ er es mit der Bemerkung zurückschicken, man möge es doch dem Feinde servieren.

 

Fazit: Ein ehrgeiziges Projekt, größtenteils prima aufgedröselt. Für alle Habsburg-Fans, interessierten Köche, Bibliothekare und Küchen- und Geschichtsintessierten. Manko: angesichts der absolut pekig aussehenden Foodfotos und das in Teilen sehr leseunfreundliche Layout gehören den Beteiligten die Ohren tüchtig lang gezogen.

 

 

 

 

 

 

 

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Rezensent

Gabriele Gugetzer

Gabriele Gugetzer

Gabriele Gugetzer holte sich einen M.A. in Südkalifornien, lebte in London und schreibt seit vielen Jahren über Essen und Trinken. Sie hat über 20 Kochbücher herausgebracht, ist Feuerwehr- und Schottlandfan und die Reisereporterin der Zeitschrift "LandGenuss". "Nach einem Backbuch kommt sie mit ihrem aktuellen Projekt – zur Buchmesse auf dem Markt – ihrer Lieblingsstadt wieder näher. "Indische Küche in London" heißt es.

gugetzer@kochmonster.de
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