National Geographic
Ein Riesenbuch ohne Autor, dafür ein für seine Wortgewandheit nicht unbedingt bekannter Tim Mälzer als Vorwortler... da könnte man stutzig werden. Aber gemach: Wir haben es hier mit einem Buch aus dem Lieblingsverlag vieler Journalisten zu tun. Die National Geographic Society leistet sich neben Recherchereisen auch den Luxus von klugen Mitarbeitern. An dieser Kompilation arbeiteten über zwanzig von ihnen mit.
Und das merkt man auf jeder Seite.
Jede der 400 Reise wird nicht beliebig kommentiert, sondern meinungsstark und sachgemäß empfohlen, mit Websites, besten Reisezeiten, Tipps zur Reiseplanung und außergewöhnlichen Eigenheiten. Nicht nur in Metropolen muss man sich da auf die Kunst des Weglassens verstehen. So wird Chicago als Luxusreise präsentiert und ein Essen bei Grant Achatz empfohlen, in Japan auf die buddhistische Tempelkost verwiesen, mal eine Seite mit historischen Restaurants, mal Dinners mit Meerblick oder Chinatowns der Welt eingeklinkt, dann Schöpfungsmythen zu Gerichten eingeflochten oder die fünf Essenszeiten in Mexiko erklären. Brrhr - das klingt wie ein heilloses Durcheinander.
Und das ganze Buch ist so. Gottseidank!
Denn anstelle wuseligen Durcheinanders stellen sich schon auf den ersten Seiten wohlige Fernlust und Neugier ein.
Es fehlen neben den besten Straßensnacks die sagenhaften Food Courts von Singapur nicht. Zu Georgien fallen den Machern nebenbei die besten Trinksprüche ein und dass in der Dordogne Nachtmärkte lange Tradition haben und mit Walzer, Foxtrott und Rock’n’Roll-Tanzeinlagen gefeiert werden, weiß man wohl nur, wenn man auf ein so beeindruckendes Archiv wie die National Geographic Society zurückgreifen kann.
Dass diese Fülle an Informationen nicht wirkt wie Füllsel, liegt auch am hervorragenden Bildmaterial und an der Kunst dieser Macher, Seiten zu füllen, ohne sie vollzustopfen und den ausgefallenen Blickwinkel ins Bild zu rücken, als sei er der Normalste der Welt.
Die Texte sind wesentlich, lesen sich prima und vermitteln trotz wenig Platz Atmosphäre. Dass sie stimmen, darf man bei diesem Verlag voraussetzen; sämtliche Stichproben klappten prompt.
Natürlich ist dieses Buch kein Rezeptbuch. Aber selbst die wenigen Rezepte sind gut, einfach, landestypisch, als hätten sie Touristen, die an einem Straßenstand über ful medames oder scharfen Thaigurkensalat stolperten, für die Lieben zuhause mitgebracht.
In der edel aufgemachten Rubrik der Top 10 „Historische Feinkostläden“ fehlt neben den Edelfressetagen auch der Lieblingsladen aller spargeligen Londoner Nachwuchsmusiker nicht, die Brick Lane Bagel Bäckerei. Sie hat fast immer geöffnet, ein uncharmantes, dennoch heimeliges Neoninterieur, unfreundliche Verkäufer und die besten Bagels und das beste salt beef der Stadt, erst recht um drei Uhr morgens. Das zu wissen, ist mehr als Insiderwissen. Es zeugt von feinem Humor und großer Klasse.
Fazit: Ein Lesebuch, ein Reisebuch, ein Nachschlagewerk, ein Meisterwerk. Ein Supergeschenk. Kein Kochbuch.
Caroline Gorth
Caroline Gorth
liebt Essen, Kochen, Backen und besonders ihre Spülmaschine, genannt James, um das entstandene Küchenchaos anschliessend zu beseitigen. Nach einer kaufmännischen Ausbildung und dem Beginn einer erfolgreichen konventionellen Karriere, entschied sie sich zum Ausstieg, um ihrer eigentlichen Passion, dem Schreiben, nachzugehen. "Finanziell müssen nun kleinere Brötchen gebacken werden, aber sie schmecken viel besser, wenn man glücklich ist mit dem, was man tut“.
carogorth@kochmonster.dekochmonster.de
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