Silvena Rowe
"Kulinarisches Osteuropa"
Als „Hausmannkost auf hohem Niveau“ beschreibt Silvena Rowe, gebürtige Bulgarin mit Wohnsitz in London, die osteuropäische Küche. Diese Charakterisierung könnte bei einem weniger arrivierten Verlag als Collection Rolf Heyne durchaus als Drohung empfunden werden.
Erster Eindruck: Pfiffig gemacht. Mattes, dickeres Papier. Stickerei im Bulgarenblusen-Style läuft augenzwinkernd am unteren Seitenrand mit; die Typografie dagegen ist nüchtern. Die Fotos sind aromatisch, wenn es sich um Marktimpressionen und Produktporträts handelt, weniger appetitlich beim Gekochten (wie nicht anders zu erwarten bei Hausmannskost).
"Osteuropa" ist für Silvena Rowe ein riesiger Landstrich zwischen Polen, Ungarn, Tschechien, Russland, Georgien, Bulgarien und der Ukraine. Und es ist ein Lebensgefühl: „Osteuropäer essen leidenschaftlich gern und genießen das Leben, was sich an der Freude am Bewirten ausdrückt“. Dieser Küche verdanken wir viele herzhafte Klassiker wie Hering mit Sauerrahm, Blinis, Kaviar, süßsaure Fleischbällchen, Kohlrouladen, Bœuf Stroganoff, Joghurt, Borschtsch, Piroggen.
Schön, dass diese Rezepte sämtlich hier vertreten sind, noch besser, dass das Buch trotzdem keine Zeitreise in Omas Rezeptbuch geworden ist. Im Gegenteil: Silvena Rowe möchte den ihrer Meinung nach sehr modernen, weil regional ausgerichteten, produktnahen Charakter dieser Küche unter Beweis stellen, die mit Früchten, Nüssen und asiatischer Schärfe spielen kann und ihre jüdischen Wurzeln nicht verleugnet. Das Rezept für Blumenkohlsuppe mit Kaviar steht beispielsweise in ähnlicher Form im New Yorker „Per Se“ auf der Speisekarte.
Natürlich kann diese Küche es nicht, wie Silvena Rowe forsch behauptet, mit der kulinarischen Größe Frankreichs aufnehmen, aber sie bietet einen wirklich neuen Blick auf Standardprodukte, die es in jedem deutschen Supermarkt gibt.
Dafür sorgt allein die Kapiteleinteilung: Vorspeisen und Häppchen, Süß-Saures, Marinaden, Dressings & Saucen, Gewürze, Samen & Kräuter, Herbstfrüchte, Teigkreationen, Joghurt, Käse & Sauerrahm und "Zu Tisch bei den Bojaren". Die Rezepte selbst sind kundig, liefern Hintergrundwissen zur Entstehungsgeschichte, zur Zubereitung oder zur Kochkultur. Die Beschreibung ist präzise und auch für relativ unerfahrene Köche zu meistern.
Nur bei der Rezeptbearbeitung hätte man sich mehr Sorgfalt gewünscht. 225 g Mehl, 1/8 TL Zimtpulver, 85 g feiner Zucker etc. - das sind englische Maße, und wir reden hier nicht von der Molekularküche. Sie machen in Deutschland keinen Sinn, weil wir die entsprechenden Abwiege- und Abmessgeräte nicht haben. Schade, dass hier nicht schon vom Lektorat auf die in Deutschland üblichen metrischen Bemaßungen umrezeptiert wurde. Ebenso sollten Zutaten wie Spargel, geräucherter Schellfisch und Ähnliches kommentiert werden; ersterer ist beispielsweise in Großbritannien automatisch grün, letzteren gibt’s dort im Gegensatz zu hier in jedem Supermarkt.
Fazit: Mit diesem Buch bekommt Hausmannskost einen modernen Ritterschlag.
Gabriele Gugetzer
Gabriele Gugetzer
Gabriele Gugetzer holte sich einen M.A. in Südkalifornien, lebte in London und schreibt seit vielen Jahren über Essen und Trinken. Sie hat über 20 Kochbücher herausgebracht, ist Feuerwehr- und Schottlandfan und die Reisereporterin der Zeitschrift "LandGenuss". "Nach einem Backbuch kommt sie mit ihrem aktuellen Projekt – zur Buchmesse auf dem Markt – ihrer Lieblingsstadt wieder näher. "Indische Küche in London" heißt es.
gugetzer@kochmonster.dewww.kochmonster.de
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