Karamellisierte Zwetschgen mit Crème-Brûlée-Espuma

Dessert für 4 Personen von Peter Wagner

Karamellisierte Zwetschgen mit Crème-Brûlée-Espuma

Ferran Adriàs Schulterschluss mit den industriellen Herstellern von Nahrungsmittelzusatzstoffen war zwar immer umstritten, bereicherte vor 15 Jahren aber das Repertoire vor allem der experimentierfreudigen Köche auf der ganzen Welt beachtlich. Adrià zeigte, wie man all die Pülverchen, die Kollagene, Kaltbinder, Stabilisatoren und Geliermittel der Lebensmittelindustrie im kleinen Rahmen einer elaborierten Dreisterneküche kulinarisch klug einsetzen konnte. Außerdem brachte er das Sous Vide Garen voran, entdeckte das „Kochen“ in flüssigem Stickstoff bei Minus 225°C und die „Sphären“ – glibberige Geleedrops mit flüssiger Füllung. Und den Schaum.

 

Und der ist in der Form des Sahnesiphons nach all den Jahren neben ein paar wenigen Binde- und Gelier-Pulvern sowie dem Fleischgaren im Wasserbad tatsächlich die wichtigste Hinterlassenschaft des Spaniers auch in Millionen ambitionierter privater Küchen. So mancher Hobbykoch, der sich und seine „Espumas“ etwas zu ernst nimmt, gilt unter den Freunden schnell als Schaumschläger. Völlig zu unrecht, denn den besten Schaum schlägt man nicht. Den bläst man. Mit einem Siphon, Espuma-Bereiter, Whip oder Sahnebläser, wie diese Metallflaschen mit Kartuschenbegasung genannt werden.

 

Schon viele unserer Mütter oder Großmütter hatten seit den 1960er Jahren so ein Teil im Schrank – entweder als Soda Siphon (mit der markanten, nach unten ragenden Auslasstülle), der aus kleinen CO2-Kapseln ähnlich wie die modernen Wassersprudlern Gas in blubbernde „Kohlensäure“-Erfrischungsgetränke blies. Das andere System diente Jahrzehntelang dazu, steife Sahne ohne Quirl ständig griffbereit zu haben – indem das Kartuschengas die flüssige Sahne in der Flasche zu einem festen Schaum herausblies. In Maschinenform steht so etwas in jeder Eisdiele.

 

Das Wort „Sahnesiphon“ bedeutet also nicht, dass die „Sahnekapseln“ in den Kühlschrank müssen. In diesen Minikartuschen stehen etwa acht Gramm Distickstoffmonoxid (N2O) unter Hochdruck. Ferran Adrià entdeckte den Nutzen dieser Geräte für die Spitzenküche, nachdem exakt diese Technologie industriell schon seit langem dazu benutzt wurde, Lebensmitteln wie Joghurt oder süßen Cremes mehr Volumen zu geben. Die meisten Fertigdesserts sind nicht deshalb „light“, weil sie weniger Zucker oder Fett pro 100 Gramm in sich tragen, sondern weil sie sie mit Stickoxid aufgeblasen werden, den der Kunde dann teuer bezahlt. Auf Dauer teurer als die Sahnesiphons selbst – brauchbares Gerät gibt es ab etwa 80 Euro, eine Kapsel für ca. 40 Cent.

 

Adrià fand heraus, dass es nur wenige flüssige oder cremige Speisen gibt, die man mit dem Siphon nicht zu einer wunderbar fluffig-leichten Schaumträumerei aufblasen kann: Saucen, Mayonnaisen, Karottenmousselines, Suppen, getrüffelte Selleriepürees, Mousses veredelte er damit zu „Espuma“. Klingt toll, ist aber nur das spanische Wort für „Schaum“. Und bis heute gibt es auch in der Hobbyküche keine bessere Methode, um eine weiche, luftige Konsistenz in die Speisen zu bringen: Eine Kartoffelsuppe mit dem Sahnesiphon in den Teller gespritzt, schmeckt derart intensiv, als hätte man Kartoffeln, Butter und Sahne zu gleichen Teilen verkocht, obwohl in Wirklichkeit der Fettanteil sogar diätisch sein kann – bei vollem Mundgefühl. Ähnlich funktioniert das bei Mayos oder Aiolis, bei Thunfischcreme für das Vitello Tonnato oder einer Hollandaise. Und Veganer können sich eine stabile Mandelmousse aus 1-Prozent-Fett-Mandelmilch in den tierfrei hergestellten Plastikbecher spritzen.

 

Auch wir blasen heute mit Hilfe eines Sahnesiphons zum Angriff auf die Geschmacksnerven und stellen den sich saisonal auf allen Wochenmärkten im Moment massiv aufdrängenden Zwetschgen, die wir aber nur kurz unter dem Backofen grill ein wenig mürbe machen, einen zwar ausgeprägt süßen, aber nicht minder engelsgleichen Crème-Brûlée-Schaum an die Seite. Der schmeckt exakt so, wie ein Löffel dieser beliebten gebrannten Creme wenn man ihn einmal durch das Schüsselchen zieht und dabei jede Mange Zuckerkaramell von der Oberfläche mit aufnimmt.

 

In der Weiterverarbeitung zum Sahnysiphon-Schäumchen schaffen wir es, diesen Grundgeschmack in voller Intensität und mit der geballten Kraft des Karamellzuckers beizubehalten. Gleichzeitig wird die Gesamttextur durch den Einsatz von drei nacheinander eingegasten Sahnekapseln aber in eine auf der Zunge von selbst schmelzenden, wunderbar luftigen Creme zu transferiert.

 

Und weil bei uns in der Küche ja nichts wegkommt, backen wir aus den übrig gebliebenen vier Eiweißen noch ein wunderbar kross-fluffiges Baiser und streuen kleine Brocken davon direkt vor dem Servieren auf dieses zugegebenermaßen nicht gerade hüftgoldverringernde Dessert. Und träumen beim Schäumchen von der Bikinifigur. Im kommenden Jahr.

 

© 2016 Peter Wagner/kochtext
Vorbereitungszeit: 25 Minuten
Wartezeit: 6 Stunden
Zubereitungszeit: 1 Stunde
Level: chef de partie
Zubereitungsart: sequentiell

Zutaten

Karamellisierte Zwetschgen
1 kg Zwetschgen
2 EL Zucker
3 EL Vanillezucker
1 Prise Zimt, frisch gerieben
50 ml Zwetschgenwasser
4 EL Rohrzucker, braun
Espuma & Baiser
250 g Kochsahne
250 g Milch
2 Vanilleschote, ganz
4 Eier
75 g Rohrzucker, hell
1 TL Bio-Zitrone, Schalenabrieb
250 g Zucker, weiss

Wein-Tipp

Marsala Superiore DOC Secco

 

Dieses Dessert ist derart vollmundig, cremig und karamellig, das nur ein eher trockener Dessertwein hier eine Chance hat, wie zum Beispiel ein auf Eis servierter Marsala Superiore DOC Secco aus den typischen Sizilientrauben Grillo und Catarratto. Weiterer Vorteil: Der restliche Marsala kommt nicht in die Hausbar, sondern in der Küche in die nächste Kalbsschnitzelsauce.

Musik-Tipp

Molekularküche war und ist immer polarisierend – was also passt zur Espumabeschallung besser als das unter Fans wie Feinden hochumstrittene neue Album des Altbombast-Recken Meat Loaf, „Braver Than we are“ (429 Records), der endlich wieder gemeinsam mit seinem früheren Hitschreiben Jim Steinman etliche allerdings eher unspektakuläre, aber mit tieferer, brüchiger Stimme emotional hoch aufgeladene neue Songs anstimmt.

Zubereitung

Karamellisierte Zwetschgen

Zwetschgen waschen, vierteln und dabei entsteinen. Mit den restlichen Zutaten außer dem braunen Zucker vermengen und 60 Min. ziehen lassen. Ab und zu umrühren. Früchte mit der Haut nach unten nebeneinander auf ein Backblech legen.

 

 

Unter dem voll aufgedrehten Grill rösten, bis sich erste dunkle Stellen zeigen. Herausnehmen, abkühlen lassen. Rohrzucker gleichmäßig verteilen und mit dem Flambierbrenner karamellisieren.

 

 

Espuma & Baiser

Vanillestangen halbieren, Mark auskratzen, Stangen fein hacken. Alles zusammen mit Sahne und Milch aufkochen, 5 Min. leise sieden lassen, vom Herd nehmen und 2 Stunden ziehen lassen. Durch Feinsieb abseihen.

 

 

Eier trennen. Eiweiße für Baisers bereit halten. Eigelbe in Rührschüssel mit Schneebesen und dem hellen Rohrzucker schaumig schlagen.

 

 

Vanillesahne einmixen. Tiefes Backofenblech mit heißem Wasser zu zwei Drittel füllen, Backofen auf 120°C /keine Umluft) vorheizen. Eimasse in ein flaches, großes Gefäß schütten

 

 

und im Backofen 35 Min. stocken lassen. Herausnehmen und auf Zimmertemperatur abkühlen. 4 Stunden im Kühlschrank komplett durchkühlen.  25 g weißen Zucker dünn auf die Hälfte der Oberfläche verteilen und mit Flambierbrenner goldbraun karamellisieren (darf nicht schwarz werden!).

 

 

Zweite Hälfte mit weiteren 25 g Zucker karamellisieren. Die gesamte Masse samt der Karamellschicht in einen sehr starken Mixer oder Blender geben und zu einer möglichst glatten Masse mixen – es dürfen nur noch winzige Karamellreste übrig bleiben. Diese Masse in einen Sahnesiphon umfüllen und nacheinander mit drei Patronen begasen, zwischendrin kräftig schütteln.

Für das Baiser die Eiweiße in einer Rührschüssel mit einem Quirl auf höchster Stufe steif schlagen. restlichen weißen Zucker nach und nach auf höchster Stufe unterschlagen, bis die Masse glänzt. Backofen auf 120°C (keine Umluft) aufheizen. Masse mit einem Spritzbeutel oder Teelöffel auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech auftragen: jeweils kleine Häufchen bilden. Ca. 60 Min. backen, die Baisers sollten im Wesentlichen weiß bleiben und sich nicht gelb-bräunlich einfärben. Mit dem Papier auf einem Rost auskühlen lassen.

Anrichten

Espuma mittig auf vier Teller aufspritzen. Zwetschgen gleichmäßig kreisförmig verteilen. Baisers mit Fleischplattierer in mittelgrobe Stücke zerschlagen und über die Teller bröseln. Besonders raffiniert schmeckt das Dessert, wenn man den Espuma eiskalt und die Früchte erwärmt serviert.

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
www.kochtext.de