Bratapfel-Eis mit Cold-Brew-Mousse und Calvados-Sauce

Dessert für 4 Personen von Peter Wagner

Bratapfel-Eis mit Cold-Brew-Mousse und Calvados-Sauce

Wenn nach Plätzchen, Häppchen, Leberknödelsuppe, Entenbein, Kloß und Rotkohl die mühsam auf allen Vieren zurück nach Hause gekrochenen Wintergelage-Gäste mal wieder ihren Nachtisch stehen gelassen und auch den Kaffee nicht angerührt haben, ist das kein Drama. Sondern die einmalige Chance, mitten in der Weihnachtsvöllerei doch noch die Nachhaltigkeitskurve zu kriegen.

 

Denn Nachtischverweigerung muss nicht automatisch Mord am ungegessenen Bratapfel bedeuten. Das mit Butter, Zimt, Rohrzucker, Apfelschnaps und Rum-geschwängerten Trauben getränkte und zart karamellisierte Fruchtfleisch liefert zum Beispiel einen spektakulär schmackigen Rohstoff für diverse Schleckereien, bei denen die Äpfel mit Hilfe von wenigen Standardzutaten wie Ei, Sahne oder Gelatine in neue Aggregatszustände transferiert werden können: Bratapfelmousse, Bratapfelsauce oder – das wollen wir heute präferieren – Bratapfeleis, das man entweder komplett selber machen oder bei Zeitnot auch mit Hilfe einer guten zugekauften Eiscreme herstellen kann.

 

Bei der zweiten Hauptrolle unseres resourcenschonenden Christmas-Desserts taugt notfalls auch der nicht getrunkene Brühe-Rest des letzten Plätzchennachmittages, sofern ein wirklich guter Kaffee gebraut wurde. Dieses Recycling zu einer glatten, im Mund schmelzenden Mousse schmeckt allerdings – wenn wir ganz ehrlich sind – mit dem derzeit angesagtesten Koffein-Hipsterprodukt um Klassen besser: Cold Brew.

 

Diese zunächst in den USA hochbeliebt gewordene Kaffee-Zubereitungsmethode basiert auf dem Phänomen, dass bei der Extraktion des Pulvers gemahlener gerösteter Bohnen mit Hilfe von eiskaltem Wasser neben einem vergleichbar großen Koffeinanteil mehr als doppelt so viele aromagebende Stoffe gelöst werden wie bei dem sonst üblichen Aufgießen oder Druckpressen mit heißer Flüssigkeit. Andererseits enthält das Cold-Brew-Konzentrat etwas weniger Bitterstoffe und so gut wie keine magenfeindlichen Säuren – schmeckt also milder, edler und deutlich facettenreicher als das herkömmliche Käffchen.

 

Und wie bei jedem Trend gibt es natürlich auch für das Kaltgebräu inzwischen allerlei technische Hilfsmittel für viel Geld zu kaufen – bis hin zu dem wie ein Chemielabor-Aufbau wirkenden „Cold Water Dripper“ für über 600 Euro. Für den Anfang aber tut es notfalls auch ein sauber abgewaschenes Gurkenglas mit Schraubdeckel, ein Feinsieb und ein Teefilter (siehe Rezept). Meist entsteht beim kalten Brauen ein eher untrinkbares Konzentrat, das mit der zwei bis dreifachen Menge Wasser (heiß oder kalt) verdünnt genießbar wird.

 

Cold-Brew-Essenzen eignen sich aber genauso gut als Basis für diverse hochfeine Dessert-Ideen. So sorgt dieses Extraktionsverfahren bei unserem heutigen Rezept für „Cold Brew Mousse mit Bratapfel-Eis und Calvados-Sauce“ für eine spannende Kaffeecreme, die trotz betont zurückhaltender Süßung ausschließlich kulinarisch interessante Bitternoten verströmt – dennoch nicht für Kinder und andere Bitterschmecker geeignet

 

 

Für dieses Erwachsenendessert eignet sich vorgemahlener Industriekaffee, der monatelang im Supermarktregal herum stand, eher weniger. Am besten schmecken sortenreine Arabica-Bohnen aus Hochland-Ernten, die möglichst frisch und aromaschonend nicht zu dunkel geröstet wurden. Das hat natürlich seinen Preis, weswegen man bei der Gelegenheit gleichzeitig auch noch ein Stückchen Erde retten könnte – mit dem Kaffee der Kogi-Indianer, die ihre kolumbianische Heimat in den nebeligen Hängen der Sierra Nevada „El Corazon del Mundo“ nennen.

 

In diesem „Herz der Welt“ bauen die Indios seit Hunderten von Jahren bis heute komplett ohne jeglichen Gebrauch von Düngern oder gar Pestiziden hervorragende Hochland-Bohnen an, die von der Initiative „Urwaldkaffee“ www.urwaldkaffee.de/kaffee/ nach Europa importiert werden. Die Kogi erhalten für ihre Ernte bessere Preise als im herkömmlichen „Fairtrade“-System und werden zusätzlich mit 20 Prozent am Gewinn beteiligt.

 

Die Kogi verteilen ihre Einnahmen nicht unter den Stammesmitgliedern. Sie haben sich für eine nachhaltigere Verwendung der Erträge entschieden: Binnen 100 Jahren wollen sie nach und nach alles Land, das ihnen seit der Eroberung durch die spanischen Conquistadores im 16. Jahrhundert weggenommen wurde, Stück für Stück zurück kaufen.

 

Und angesichts des Weltklimagipfelwunders wäre alles andere ja auch Kalter Kaffee.

 

© 2015 Peter Wagner/kochtext
Vorbereitungszeit: 25 Minuten
Wartezeit: 12 Stunden
Zubereitungszeit: 30 Minuten
Level: chef de partie
Zubereitungsart: sequentiell

Zutaten

Cold Brew Mousse
100 g Kogi-Kaffeebohnen Seivake
500 ml Eiswasser
100 g Sahne
1-3 EL Rohrzucker, braun
2 Blätter Gelatine, Blätter, weiss
1 Ei
2 TL Zucker, weiss
1 TL Vanillezucker
Bratapfel-Eis
250 g Milch
150 g Sahne
1 Vanilleschote
50 g Rohrzucker
3 Eigelb
3 Bratäpfel
Calvados-Sauce & Garnitur
2 EL Rohrzucker
100 ml Calvados
50 g Sahne
1 TL Bio-Zitrone, Schalenabrieb
1 Apfel (Cox Orange)
2 EL Haselnusskrokant

Wein-Tipp

Holz-Apfel

Pro Gast 100 ml des Cold Brew Kaffee in kleinen Gläsern voll Crushed Ice wäre im Sommer die erste Wahl als Dessertbegleitung. Im Winter passt der sortenrein aus „Sämling Bittenfelder“ in Barriquefässern auf 11 % Alkohol sehr trocken ausgebaute Obstwein „Holz Apfel“ der Göppinger Manufaktur Jörg Geiger noch besser – nicht wärmer als 8°C servieren!

Musik-Tipp

„Stille Nacht“ fehlt, aber vielleicht ist genau deshalb Kylie Minogues aktuelles Weihnachtsalbum so ein Küchenbeschallungsknaller: bei Klassikern wie „Let It Snow“, „Christmas Wrapping“ (hier knurrt Iggy Pop im Wechsel mit der Aussie-Popqueen) oder „Santa Claus Is Coming To Town“ (posthum im Duett mit Frank Sinatra) lassen sich sogar Wagenladungen voll Plätzchen und weihnachtlicher Desserts zubereiten, zumal mit „White December“, „ Christmas Isn`t Christmas `Til You Get Here“ sowie „Every Day`s Like Christmas“ sogar drei echte Neukompositionen zu hören sind – in diesem Genre eher unüblich.

Zubereitung

Cold Brew Mousse

Am Vortag zunächst den Kaffee-Kaltaufguss aufsetzen: Bohnen mittelgrob mahlen, in einem hohen Glasgefäß mit dem Eiswasser übergießen, kurz umrühren.

 

 

Gefäß mit Küchenfolie oder Deckel verschließen und mind. 12 Stunden im Kühlschrank ziehen lassen.

 

Am Folgetag den Gefäßinhalt zunächst durch ein Haarsieb, danach durch einen feinen Kaffee- oder Teefilter gießen.

 

 

Gelatine in kaltem Wasser einweichen. Cold Brew Kaffee nach Geschmack mit Rohrzucker süßen (Tipp: schmeckt wenig gezuckert am besten). Ei trennen, Eigelb in Rührschüssel mit 1 TL Zucker und Vanillezucker schaumig schlagen und Schüssel in ein heißes Wasserbad hängen. Sahne einrühren bis die Masse dicklich wird. Gelatine ausdrücken (oder gleichwertige Menge vegetar. Gelatinepulver) mit Schneebesen untermischen, Kaffee einrühren.

 

 

 

Masse 15 Min. kalt stellen.

 


Eiweiß mit 1 TL Zucker steif schlagen, Eischnee unter die Kaffeemasse heben und entweder auf Servierschalen verteilen oder (wenn Nocken serviert werden sollen) in ein passendes Gefäß füllen. Mindestens 3 Stunden im untersten Fach des Kühlschranks kalt stellen.

 

 

 

Bratapfel-Eis

Am Vortag Vanilleschote fein hacken, zusammen mit Milch, Sahne und Zucker 3 Min aufkochen, dabei stetig rühren. Topf vom Herd nehmen, 2 Stunden ziehen lassen. Durch Feinsieb passieren. In einem heißen Wasserbad eine runde Schlagschüssel einhängen, Eigelbe darin schaumig rühren. Vanillesahne zugeben und rühren, bis die Masse dicker wird („zur Rose abziehen“). In Sorbetiere oder Eismaschine zu Eiscreme verarbeiten (alternativ im TK-Fach einfrieren, dabei alle 30 Min umrühren). Sobald die Eismasse Kristalle bildet („anzieht“), die Bratäpfel

 

 

(ohne evtl. vorhandener Beigaben wie Nüsse oder Rosinen) in kleine Würfel schneiden und unterheben.

 

Tipp: Falls es schneller gehen muss: Ein gutes, zugekauftes Vanilleeis (am besten Bio, mit echter Vanille und wenig Zucker) leicht antauen lassen und die Bratapfelwürfel unterheben, von denen ein Viertel vorher mit einer Gabel zerdrückt wurden.

 

 

 

Calvados-Sauce & Garnitur

Am Vortag mit dem Dörren der Apfelchips beginnen: Apfel mittig teilen und auf scharfem Hobel in möglichst dünne Scheiben hobeln. Auf Backofen-Rost verteilen und bei 60°C Umluft mit leicht geöffneter Ofentür 5 Stunden lang dörren, bis die Chips kross geworden sind (noch besser geht das mit einem Dörrautomaten).

 

 

Chips in einem luftdicht verschlossenem Gefäß aufbewahren.

 

Für die Sauce den Zucker in einem kleinen Topf leicht schmelzen lassen, Calvados einrühren und 3 Min. bei mittlerer Hitze einreduzieren. Sahne einrühren

 

 

und leicht sämig einkochen. Topf vom Herd ziehen und Zitronenschalenabrieb einrühren, zum Servieren erkalten lassen.

Anrichten

Wenn für die Eisherstellung eine Sorbetiere oder Eismaschine benutzt wurde, können die Nocken zum Servieren direkt mit zwei Esslöffeln (vorher und zwischendrin in heißes Wasser tauchen) abgestochen werden. Eis aus dem TK-Fach direkt vor dem Servieren mit heißem großem Messer in handliche Stücke teilen und ganz kurz im Mixer oder Blitzhacker cremig mixen – es sollte dabei aber nicht zu flüssig werden.

 

Calvados-Sauce z.B. mit Pinsel oder Kamm dekorativ auf vier größere flache Teller auftragen, Nusskrokant verteilen. Von Mousse und Eis Nocken abstechen und auflegen. Bratapfelchips verteilen und rasch servieren.

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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