Schweinekrustensalat

Vorspeise für 4 Personen von Peter Wagner

Schweinekrustensalat

Im Zuge der trendigen Wiederentdeckung vieler vermeintlich „unedler“ Teile unserer Nutztiere erlebt nun sogar die Schweineschwarte ein glänzendes Comeback: Als wahres Superfood für die Freunde kohlehydratarmer Ernährungsweise. Super: auch wir lassen die Schwarte poppen!

 

Der Weg vom Borstenvieh zur Bibliothek gar nicht so weit wie man denkt. In den Zeiten, als man es sich noch weniger als heute erlauben konnte, auch nur ein kleines Teil des Schachtkörpers von Rind, Lamm oder eben Schwein nicht irgendwie nützlich weiterzuverwenden, war die Haut der Sau sogar ein hochgeschätzter Rohstoff. Nicht für Pergament, dafür fußen die Borsten zu tief in der Schwarte, weswegen sich hier eher die Ziegenhaut durchgesetzt hat. Sehr wohl aber in gegerbter Form als weiches, dünnes Schweineleder – für die Bucheinbände.

 

Es besteht vor allem aus den mittleren Bereichen der Schwarte, der kollagenreichen Papillar- und Reitukularschicht, von denen Fett und Fleischreste der Unterhaut sowie die Borstenschicht („Oberhaut“) entfernt wurden. Dieses Schweinsleder war wegen seiner Zähigkeit und Langlebigkeit (es trocknete viel langsamer aus als Schaf- oder Ziegenleder) bei Europas Buchbinder hochbeliebt. Zu Recht, denn bis heute sind viele der Folianten und Wälzer aus dieser Zeit in guter Form, einzig die damals zum Gerben benutzten Mittel wie Alaun oder Eichenrinden-Gerbstoffe haben über die Jahrhunderte bräunlich-gelbliche Flecken geschlagen – gut zu sehen auch auf manchen Flohmärkten an den Lampenschirmen aus echter Schweinehaut, die sich Ur-Ur-Opa im vorletzten Jahrhundert für viel Geld hatte anfertigen lassen.

 

Inzwischen wird das meiste in Deutschland zum Beispiel für Schuhe oder Taschen verwendete Schweinsleder importiert, weil die Schwarten nach der Schlachtung gemeinsam mit Knochen und Knorpeln als so genanntes „Kat 3“-Material für die Herstellung von Speisegelatine eingesetzt werden, weshalb Vegetarier und Veganer beim Kauf von Gummiba?rchen, Fertig-Desserts oder Schaumku?ssen sehr genau hinsehen müssen.

 

Weitere Einsatzgebiete der Schwarte sind die Forschung, wo zum Beispiel kosmetische Produkte an Schweinehäuten getestet werden, die Herstellung von Hundekauartikeln, der Aufbau von Eigengewebe nach Brustoperationen – und in nicht unerheblichen Mengen als Übungs-Ersatzhaut für angehende Tatoo-Künstler.

 

 

Kulinarisch gesehen führt die Schwarte dagegen eher ein Schattendasein. Wenn sie nicht als krosses Topping eines gelungenen Schweinebratens die Zahngesundheit der Esser auf die Probe stellt, sorgt sie meist im Verborgenen mit ihren extrem hohen Kollagenmengen für Gelierung diverser Sülzen, mitgekuttert für Bindung in vielen Wurstsorten oder als Umami-Geber in Eintöpfen bis hin zum Kameruner Nationalgericht Ndolé mit Kochbanane ¬– ein sauscharfer Stew mit Blättern der Ndolé-Pflanze (eine Art Bitterspinat), Fleisch, getrockneten Shrimps und Erdnüssen.

 

In letzter Zeit aber macht die Schwarte auch eine Karriere, die man auf den ersten Blick nicht erwartet hätte: als fettarmes Superfood für einschlägige Paleo- und Low-Carb-Diäten. Nicht unclever, denn wenn erst einmal sämtliches Fett von der bevorzugt aus dem Rücken des Schweins stammenden Haut abgeschabt ist, bleibt eine ernährungsphysiologisch gesehen hochinteressante Substanz übrig: Schiere Schwarte beinhaltet nach dem Auskochen je nach vorherigem Säuberungsgrad weniger als 3% Fett und mehr als 35% Eiweiss.

 

Dummerweise ist die Haut in diesem Zustand aber etwa so gut kaubar wie ein Winterreifen, weswegen sie zunächst noch gepoppt werden muss. Problem hierbei: Überall auf der Welt sind die jeweils beliebten gepoppten Schwartensnacks in Schweineschmalz frittiert, was den Fettgehalt plötzlich wieder auf Werte jenseits der 35 Prozent schießt. Das trifft auch auf die im Supermarkt zwischen Chips und Flips stehenden „Schweinekrustenzu , die in Mittelamerika als frisch gebratene „Chicharrónes“ beliebt sind. In Mexiko werden sie am Straßenimbiss frisch aus der Fritte gegessen und – Fett ist halt nun mal ein super Geschmacksträger – gern vor dem Verzehr noch in Schmand gedippt.

 

Natürlich wollen wir nicht enden wie Mexiko mit einem Anteil von über 70 Prozent Übegerwichtigen in der erwachsenen Bevölkerung (auch der mit 560 Kilo schwerste Mensch der Welt, Manuel Uribe, war ein Mexikaner). Deshalb kommen die Crunchies auf unserem heutigen „Schweinekrustensalat“ auch komplett ohne jedes weitere Fett aus – nach dem Poppen in der Mikrowelle sind sie jedenfalls ein spaßbringender Aufmunterer so mancher aktueller Null-Kohle-Diät.

 

© 2017 Peter Wagner/kochtext
Vorbereitungszeit: 10 Minuten
Wartezeit: 24 Stunden
Zubereitungszeit: 20 Minuten
Level: commis de cuisine
Zubereitungsart: sequentiell

Zutaten

Schweinekrusten
300 g Speckschwarte
1 TL Meersalz, fein
Spitzkohlsalat
500 g Spitzkohl
300 g Karotten
1 Apfel (Cox Orange)
1 TL Meersalz, fein
2 TL Rohrzucker
1 Prise Pfeffer aus der Mühle
1 Prise Kreuzkümmel, gemahlen (Cumin)
1 Prise Koriandersaat, gemahlen
3 EL Haselnussöl
4 EL Apfelessig, naturtrüb
etwas Salz
etwas Zucker
1 Spritzer Zitronensaft, frisch gepresst

Wein-Tipp

Braufactum Progusta Harvest Edition

Ein sortenreiner herber Apfel-Direktsaft würde gut passen, aber auch ein bitter-fruchtiges Bier, am besten in der Form eines perfekt abgerundeten IPA wie dem „Progusta Harvest Edition“ der Frankfurter Craftbier-Pioniere Braufactum mit seinem waghalsigen Brauprozess: Der um sechs Uhr morgens auf den Feldern des Hofes Kirzinger in Elsendorf geerntete Hopfen der Sorten „Hallertauer Mittelfrüh“ und „Hallertauer Magnum“ wurde mit einem Kühl-Kleintransporter bis mittags zwölf Uhr in die Brauerei transportiert und dort so erntefrisch wie sonst nirgendwo auf der Welt in die Würzpfanne geschüttet. Das Ergebnis: ein samtig-nussiges Bier mit all den flüchtigen Aromastoffen des Hopfens in der Nase, die durch die sonst übliche Trocknung verloren gehen.

Musik-Tipp

In der Südafrikanischen Heimat von Nomfusi Gotyana spielt die Schweineschwarte zwar anders als in Kamerun keine Eintopf-Nebenrolle, ist als gepoppter Snack aber ebenso beliebt wie der großartige Sophiatown-Soul dieser Sängerin, die mit „African Day“ (Indigo) ein mitreißendes und gleichermaßen autochthones wie international Dance-fähiges Album vorlegt, an dem sich die weiteren Afro-Produktionen dieses Jahres werden messen lassen müssen.

Zubereitung

Schweinekrusten

Schwarten vorbereiten: Auf der Innenseite sämtliches sichtbares Fett mit scharfem Messer abkratzen, evtl. noch vorhandene Borstenreste auf der Außenseite abschaben oder mit Flambierer abbrennen.

 

 

Schwarte 30 Min. in kaltes Wasser legen, gut abspülen. In reichlich sprudelndem gesalzenen Wasser 60 Min. kochen.

 

 

Schwarten abspülen, auf einem nach unten offenen Gitter glatt ausrollen (notfalls oben beschweren) und über Nacht trocknen lassen. Am Folgetag die Schwarten an der schmalen Seite in sehr dünne Streifen von max. 1-2 mm schneiden – am besten geht das mit einer Aufschnitt- oder Brotschneidemaschine.

 

 

Die jeweiligen nicht schneidbaren Reste fein würfeln. Streifen und Würfel auf einem mit drei Lagen Küchenkrepp ausgelegten Backblech verteilen und bei 70°C Umluft im Backofen (Tür einen kleinen Spalt öffnen) 6 Stunden dörren. Noch einfacher geht das mit einem Dörr-Automat.

 

Dieses Vorprodukt hält sich straff vakuumiert im Kühlschrank problemlos zwei Wochen, kann also auch auf Vorrat produziert werden.

 

Vor dem Servieren portionsweise in der Mikrowelle aufpoppen: auf großem Teller ca. 2 Min. bei 800 Watt. Hier empfiehlt es sich, zunächst mit kleinen Mengen das Mikrowellengerät zu testen, da der Strahlungsverlauf und die Popp-Wirkung bauartbedingt variieren – es kann z.B. bei manchen Geräten mit 1:30 Min. und 1.000 Watt das optimale Ergebnis erzielt werden. Schwarten auf Küchenkrepp legen – es sollte nun so gut wie kein Fett mehr austreten.

 

 

 

Spitzkohlsalat

Spitzkohl von welken Außenblättern befreien, waschen, quer halbieren und mit großem scharfen Messer (oder Hobel) in sehr feine, max. 2 mm breite Streifen schneiden.

 

 

In Schüssel mit beiden Händen Salz und Zucker in den Kohl massieren – mind. 2 Minuten lang. 30 Min. ziehen lassen. In der Zwischenzeit die geschälten Karotten in sehr feine Streifen schneiden (ideal: Julienne-Schneider), Apfel schälen und grob raspeln. Mit dem Kohl vermengen, restliche Zutaten unterheben. Nach 15 Min. falls nötig final mit Salz, Zucker und Zitronensaft abschmecken.

Anrichten

Schweineschwarten in Schüssel gleichmäßig salzen. Salat auf vier Servierschüsseln verteilen, die Schweinekringel dekorativ oben aufsetzen und servieren.

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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