Ochsenbacken 48/68 mit Kräuterpolenta

Hauptgericht für 4 Personen von Peter Wagner

Ochsenbacken 48/68 mit Kräuterpolenta

Zeit spielt bei der Nahrungstransformation offenbar eine fast so große Rolle wie die Temperatur. Beim Langzeitgaren im Vakuumbeutel und sehr niedrigen Temperaturen („Sous Vide“) entspannen sich die Fleischfasern gemächlich und ziehen sich im Gegensatz zum klassischen Schmoren im Backofen auch auf dem Weg zum Esstisch nicht mehr erneut zusammen. Allerdings sind bei typischen Schmorstücken mit viel Fett, Sehnen, Bindehäuten und anderen Flachsen erheblich lange Garzeiten nötig. Das kann schon mal ein bis zwei Tage dauern.

 

Schuld daran, das weiß jeder, der schon mal Ochensenbacken geschmort hat, ist die Zähigkeit des Materials. Der Koch-Wissenschaftler Dr. Thomas Vilgis fasst das so zusammen: „Das Bindegewebe Kollagen besteht aus speziellen Proteinen, von denen sich immer drei zu einer Helix, einem molekularen „Drahtseil“, verwinden. Die Garzeiten müssen sich erhöhen, je höher der Kollagenanteil ist. Das Entwinden der langen verschraubten Dreifachhelices und der Kollagenstränge dauert seine Zeit.“ Im Falle der Ochsenbacken heißt das: 48 Stunden bei 68 Grad im Wasserbad.

 

Dabei kommt es, wenn wie hier vermeintlich „unedle“, von viel zähem Bindegewebe durchsetzte, Fleischstücke im Beutel gegart werden sollen, eher auf die vielen Gar-Stunden und weniger auf die exakte Konstanz der Wassertemperatur an. Garungsprozesse von ein oder zwei Tagen im Wasserbad gelingen in diesem Fall auch ohne temperaturgesteuerte Spezialgeräte mit einem Fleischthermometer und einem sehr großen Wassertopf im heimischen Backofen.

 

Andererseits sind inzwischen halbwegs brauchbare und handliche Sous-Vide-Bäder für knapp unter 100 Euro zu haben. Damit kann man zwar kein empfindliches Fischfilet an der Temperaturkante zum Eiweißausflocken balancieren – dafür braucht es Gastronomiegeräte mit weniger als einem Zehntel Grad Celsius Schwankungsbreite. Andererseits genügen diese Billig-Wasserbäder für die meisten Fleisch-Belange und Gemüsezubereitungen im normalen Heimküchen-Alltagskochen eines Zweipersonenhaushaltes völlig. Auch das heutige Rezept wurde mit einem Thermalizer für 90 Euro entwickelt.

 

Ein echtes Beschaffungsproblem gibt es dagegen beim Fleisch. Laut EU-Verordnung muss der Veterinär bei der Fleischbeschau in die Backen von Kalb, Rind und Ochse drei tiefe „Finnenschnitte“ machen, um beurteilen zu können, ob tatsächlich kein Wurmbefall („Finnen“) vorliegt. Für den Hobbykoch ist das ärgerlich, wenn er die verschnittenen Backen im Ganzen schmoren will. Schließlich weisen die meisten in der Spitzengastronomie servierten Bäckchen diese Schnitte nicht auf, oder sie sind nicht so tief. Die Profis haben eben ihre eigenen Bezugsquellen.

 

Sie wissen zum Beispiel, dass viele Schlachthöfe in Frankreich und vor allem den Niederlanden dieses Thema zwar ebenso ernst nehmen wie die deutschen, aber immer nur eine Backe pro Schlachttier einschneiden. So stammen denn auch die für unser Rezept eingesetzten Ochsenbacken mit ihren nur einen Zentimeter flachen Schnitt von unseren holländischen Nachbarn. Sehr gut sind auch irische Backen (siehe Bezugsadressen; Tipp: einfach mal beim Schlachter nachfragen). Unbeschädigtes Fleisch ist für unser Gericht von elementarer Bedeutung, denn wir wollen es am Ende in zusammenhängende Bratenscheiben schneiden.

 

Dies ist selbst bei intakten Backen mit den üblichen Zubereitungsarten nicht oder nur sehr schwierig möglich. Der Trick: Wir vakuumieren die Backen nach der 48/68-Hauptgarung einzeln und lassen sie über Nacht abkühlen. Nur so kann man sie problemlos zu Scheiben aufschneiden und den interessierten Gästen zeigen, wie man bei entsprechendem Aufwand auch einem eigentlich längst ausgeschmort geglaubten Thema wie diesem noch einen neuen Dreh abgewinnen kann.

 

Bislang musste man dieses hochdelikate, aber von fies-zähem Bindegewebe durchzogenen Fleischteil beim schnelleren Ofen-Schmoren auf deutlich über 75 Grad Kerntemperatur erhitzen, um die Flachsen zu zersetzen. Dummerweise wird dabei die Muskelfleischstruktur aber so fasrig, dass die Backen beim Servieren mehr oder weniger zerfallen. Genau das lieben viele Schmorfreunde an diesem Gericht. Einerseits.

 

Allerdings stört mindestens ebenso viele Feinschmecker, dass von den Bäckchenfasern dann etliche hartnäckig verkeilte Reste in den Zahnzwischenräumen hängen bleiben. Wie also wäre es, wenn das Bindegewebe so himmlisch schlotzig-gallertig wie gewohnt wird, das Fleisch selbst aber bei aller wunderbaren Zartheit und weicher, saftiger Textur plötzlich schnittfest wie ein guter Rinderbraten bliebe?

 

Die Antwort auf diese – zugegebenermaßen eher für fortgeschrittene Fleisch- Connaisseure interessante – Frage gibt das Rezept. Backen wir’s an!

 

© 2016 Peter Wagner/kochtext
Vorbereitungszeit: 1 Stunde
Wartezeit: 72 Stunden
Zubereitungszeit: 1 Stunde
Level: chef de partie
Zubereitungsart: sequentiell

Zutaten

Ochsenbacken 48/68
1,8 kg Ochsenbacken
2 TL Meersalz, grob
3 EL Rinderfett
1 EL Oregano, frisch, fein gehackt
1 EL Rosmarin-Nadeln, frisch, fein gehackt
1 TL Pfeffer, bunt, im Mörser grob zerstoßen
2 TL Chipotle-Chili in Adobo Sauce
Oreganosauce
500 g Zwiebel, rot, fein gehackt
4 Knoblauchzehe, fein gehackt
300 ml Rotwein, trocken
400 ml Rinderfond
4 EL Oregano, frisch, fein gehackt
1 TL Pfeffer, bunt, im Mörser grob zerstoßen
100 ml Portwein, rot
25 g Butter, eiskalt
Kräuterpolenta & Gemüsebeilage
200 g Polenta
500 ml Wasser
500 ml Milch
50 g Butter
50 g Basilikumblätter
75 g Babyspinatblätter
1 EL Olivenöl
1 Prise Salz und Pfeffer aus der Mühle
800 g Gemüse der Saison
4 Cipolle Borettane
30 EL Olivenöl
200 ml Kalbsfond
1 EL Rosmarin-Nadeln, frisch, fein gehackt
1 Prise Salz und Pfeffer aus der Mühle
1 EL Honig

Wein-Tipp

Museum Real Reserva Cigales DO 2010

Und auch beim Wein gewinnt ein Langsamer: Für den Museum Real Reserva Cigales DO 2010 reiften Tempranillotrauben von 60jährigen Rebstöcken der spanischen CO Cigales erst zwei Jahre in neuen Barriques und anschließend ein weiteres Jahr in der Flasche. Ein Hammer-Stoff mit einer Mischung aus Gewürznelken und dunklen Beeren in der Nase, was sich am Gaumen in Richtung Rumtopf , mürbe Tannine und Tabak fortsetzt – der ideale Begleiter zu Langzeit-Rindergeschmortem.

Text Belvini: Die Bodega Museum Real Reserva durchlebt eine 24-monatige Reife in neuen Barriques verleiht diesem reinsortigen Tempranillo - von 50-60 Jahre alten Rebstöcken - seinen satten Kirschton mit orangefarbenen Reflexen. Die Bodega Museum Real Reserva reift im Anschluss 12 Monate auf der Flasche und präsentiert sich sodann mit einem wunderschönen Duft nach roten Beeren und Nelken. Elegant, samtig und harmonisch ist der Bodega Museum Real Reserva im Geschmack und wird auf beeindruckende Weise durch zarte, ausgewogene Tannine abgerundet.


Die Rebsorte Tinto Fino, die auch unter dem Namen Tinto del País oder besser als Tempranillo bekannt ist, ist die einzige Rebsorte, wie wir für unsere Weine verwenden. Die kleinen und dickhäutigen Trauben haben sich den besonderenen Klima- und Bodenbedingungen angepasst. Sie liefern für diese kräftigen Weine eine hohe und süsse Fruchtkonzentration, die den Charakter des Bodens widerspiegelt und das hohe Reifungspotential in Eiche aufzeigt.
Der Boden ist sehr karg und hat nur einen kleinen organischen Anteil, den er jedoch großzügig für die Qualität des Weines frei gibt. Die Schichten aus Kiesel in den Höhenlagen, gefolgt von einer Schicht aus Kalk, machen es dem Wein, der mit seinen Wurzeln in einem ständigen Kampf mit der Natur steht, wirklich schwer zu überleben.


Die sehr alten Rebstöcke machen die ruhigen gelben Felder Kastiliens aus, denn sie wachsen dort, wo sonst nichts wachsen würde und liefern uns kleine Früchte von einer hervorragenden Qualität. Die Erntemenge liegt zwischen 1.500 und 3.500 kg/ha und kommt teilweise von Rebstöcken, die mehr als 80 Jahre alt sind.
Der harte Prozess der natürlichen Auslese, der unsere alten Reben über Jahre durchmachen, volleneden wir im Inneren des Weingutes durch den Gebrauch von Auslesetischen. Auf diesen werden ca 30% der Lese nochmals aussortiert. Der Vinifikationsprozess ist sehr modern und traditionell zugleich. Es werden nur die neuesten Edestahltanks für die Mostgärung verwendet. Durch verlängerte Reifeperioden sowie häufiges Umrühren erzielen wir intensive, konzentrierte und strukturierte Weine. Die lange Reifung in absolut neuen Eichenfässern gibt den Weinen eine kraftvolle Struktur. Das Holz kommt hauptsächlich aus Wäldern in Zentral-Frankreich, wobei auch mit amerikanischer Eiche für unseren Crianza gearbeitet wird.
Es sind eleganten, harmonische Weine mit mineralischen Anklängen, einer kräftigen Fruchtkonzentration, einer Fülle und einem Umfang von Nuancen, die den Hauptcharakter der Weine zum Ausdruck bringen: Die grossartige Qualität der Trauben.

Musik-Tipp

Fast so langsam wie das Garen unserer Ochsenbacken ist die Musik auf dem nunmehr vierten Album „Forevergreens“ (ACT) der schwedischen Avantgardeband Tonbruket: ruhig, meditativ und weit weg von Progrock, aber immer noch jazzig-verschwurbelt, zum Teil von Nord-Folk unterwandert und trotz aller Progressivität auch für Jazzhasser eine echte Hörabenteuer-Empfehlung.

Zubereitung

Ochsenbacken 48/68

Drei Tage vorher die Backen

 

 

außenherum komplett parieren, es sollte nur noch das blanke Fleisch zu sehen sein.

 

 

Parüren für die Sauce aufheben. Fleisch mit dem Salz einmassieren, 30 Min. ziehen lassen.

 

 

In einer Eisenpfanne (unbeschichtet) das Fett bis zum Rauchpunkt erhitzen und die Backen ringsherum kurz anbraten – nicht länger als 2-3 Min. Etwas abkühlen lassen, dann Backen mit den Gewürzen und Kräutern einreiben

 

 

und so fest wie möglich vakuumieren.

 

 

Bei ca. 68°C Wassertemperatur 48 Stunden lang Sous Vide garen.

 

 

Beutel aufschneiden, Flüssigkeit für die Sauce auffangen. Fleisch abtupfen und einzeln so fest wie möglich vakuumieren, über Nacht (mind. 14 Stunden) im Kühlschrank kalt stellen. 30 Minuten vor dem Servieren aus den Beuteln nehmen und mit scharfem Fleischmesser senkrecht zur Faser in ca. 1 cm dicke Scheiben schneiden.

 

 

In der heißen, aber nicht kochenden Sauce erhitzen.

 

Oreganosauce

Alle Parüren (Abschnitte) der Backen im sehr heißen Öl 3 Min. scharf anbraten. Zwiebeln und Knoblauch zugeben und braten, bis sie Farbe annahmen. Rotwein zugeben, auf 25% einreduzieren. Rinderfond, Pfeffer und zwei Drittel des Oregano zugeben.

 

 

Bei geschlossenem Deckel und niedriger Temperatur 2 Stunden leise simmern lassen. Durch Feinsieb passieren, Beutelflüssigkeit der Backen und den Portwein zugeben und auf gewünschte Konsistenz einreduzieren. In den letzten 5 Min. restlichen Oregano mitkochen. Erneut abpassieren, erst jetzt evtl. mit Salz abschmecken. Nach Belieben mit eiskalten Butterflocken aufglänzen (mit Schneebesen einrühren).

 

Kräuterpolenta & Gemüsebeilage

Milch und Wasser zusammen aufkochen, Polenta zugeben, gut umrühren und bei niedriger Temperatur ca. 10 Min ziehen lassen. Nach 5 Min. Butter einrühren. In der Zwischenzeit Basilikum mit dem Spinat in großer beschichteter Pfanne in dem heißen Öl zusammenfallen lassen, im Mixer fein pürieren.

 

 

Kräuter unter die Polenta heben, erst jetzt mit Salz und Pfeffer würzen.

 

 

Tomaten und mit etwas Salz und Honig gewürzte Cipolle bei 240°C im Backofen 10-15 Min. schmelzen. Restliches Gemüse (z.B. Zucchini, Mini-Auberginen, Datteltomaten) putzen, klein schneiden,

 

 

im Öl in beschichteter Pfanne glasig braten, Fond zugeben, komplett einreduzieren, Honig zugeben, gut durchmischen und vom Herd ziehen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Anrichten

Polenta mit Dessertringen auf vorgeheizte große Teller anrichten. Fleischscheiben auflegen und mit Sauce nappieren. Gemüse verteilen und sofort servieren. Weiteres Fleisch in Saucenschüssel anbieten.

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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