Wolfgang Müller, Peter Wagner

Schwein – das große Kochbuch

kochbuch

Schwein – das große Kochbuch
Wolfgang Müller, Peter Wagner:
"Schwein – das große Kochbuch"
Erscheinungsjahr: 2010
240 Seiten
80 Rezepte
39,90 EURO
ISBN: 978-3865287069;

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Schwein – das große Kochbuch Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Schwein, lange Zeit als vemeintlich minderes Fleisch aus der Hochküche verbannt, kehrt seit Kurzem im Galopp auf die Speisekarten der Spitzengastronomie zurück. Ein Berliner Sternekoch hat der Sau nun ein ganzes Kochbuch mit Highend-Rezepten gewidmet – zusammen mit Kochmonster-Herausgeber Peter Wagner.

 

Vinzent Klink, Christian Mittermeier, Stefan Marquard, Harald Derfuß – alles Sterneköche mit dem gleichen Berufseinstieg, den auch der im Allgäu geborene und inzwischen in Berlin wirkende Wolfgang Müller hatte: sie lernten erst einmal Schlachten, Wursten, Metzgern. Kein Wunder also, dass Müller bis heute auf dem Hof eines Freundes zwei, drei Schweine hält, von denen alle paar Monate eines sein Leben lassen muss. Über das, was dabei, aber auch davor und danach passiert, hat Müller das in diesen Tagen erscheinende Buch „Schwein – das große Kochbuch“ geschrieben.

 

Und darin – das hebt dieses Werk ab von den Normalkochbüchern – wird ausnahmslos jedes essbare Stück des Tieres in 80 hochfeinen Rezepten verarbeitet. Das holt das Schwein endlich aus dem Plumpsküchensumpf von Buletten, Schmetterlingssteaks oder Schwenknacken heraus und hievt es dort hin, wo es (zumindest wenn das Tier nicht aus Turbozucht-Massenhaltung stammt) schon immer hingehörte: auf Haute Cuisine-Augenhöhe mit Kalb, Wachtel oder Wild.

 

Zwei Mal im Jahr veranstaltete Müller in seinem früheren Restaurant „Horvath“ mitten in Berlin Schweinefeste. „Mir fiel vor allem auf, dass die Innereien in Vergessenheit geraten sind“, erinnert sich Müller. „Das liegt wohl daran, dass es oft zu schlechte Ware gibt. Wir verarbeiten alles. Vom Hirn gibt’s ein Hirnsoufflé, von Herz und Lunge einen Strudel und es gibt gebackene Milz — mit  Pistazienfüllung auf Kartoffelpüree und Kürbis. In so einer Veranstaltung steckt etwas Rustikales, Deftiges, aber verpackt in einer modernen Lockerheit. Das ist Party.“

 

 

Und das ist gleichzeitig auch der Tenor seines Buches, in dem (unterstützt vom Autor dieser Zeilen, ja, ja das ist unerträgliche Selbstbespiegelung, aber keiner der Kochmonster-Autoren wollte das Buch vom Chef rezensieren...) zusätzlich auch 15, größtenteils vom Aussterben bedrohte, aber einstmals höchst beliebte Schweinerassen portraitiert werden – vom Angler Sattelschwein über die DDR-Vorzeigezucht Leicoma, das ungarische Mangalitza, das belgische Pietrain, Hampshire und Duroc aus den USA, das in der Toskana überlebende Cinta Senese bis zu den beiden iberischen Schwarzfußschweinen, Porc Noire de Bigorre (Pyrenäen) und das spanische Cerdo Ibérico (auch als „Pata Negra“ vermarktet). Kochmonster wird in den kommenden Wochen diese Schweinerassen vorstellen und viele Rezepte aus dem Buch präsentieren.

 

Der Hype um das Ibérico-Fleisch führt seit kurzer Zeit dazu, dass auch Sterneköche, die sich lieber die Hauben vom Kopf schießen lassen würden als ein vernünftiges Stück Schweinefleisch auf den Teller zu bringen, wieder die Sau durch die Speisekarte treiben. Angeführt von der spanischen Avantgarde, breiteten sich die herrlich mit intramuskulösen Fettadern marmorierten Fleischteile Iberiens quer über die ganze Gourmetwelt aus, in der inzwischen jeder halbwegs kundige Besseresser auch die spezifischen Zuschnitte wie „Presa“, „Lomo“, „Pluma“ oder „Solomillo“ den deutschen Bezeichnungen zuordnen kann (Schulter, Lende, Feder, Filet).

 

Wolfgang Müllers Credo, möglichst jedes Teil des Schlachttieres in feinste Tafelfreuden zu verwandeln, spiegelt sich in den Rezepten wieder. Diese sind teilweise eine Verbeugung an seine ersten Lehrjahre als Schlachter und Metzger („Weißer Schwartenmagen“, Wurstsalat aus selbst gemachter Lyoner und Schwarzwurst), zum Teil raffinierte Variationen deutscher Küchenklassiker wie  „Himmel & Erde“, Leberknödel (im Gemüse-pot-au-feu), Gefüllte Schweinebrust, Berliner Eisbein, Maultaschen, Saumagen oder Saure Nieren.

 

Andere nicht minder schweinische Teller wie “Salade le cochon“, „Blutwurst in Blattgold“, oder „Crepinette vom Spanferkel auf Safranrisotto mit Vanilletomaten“ spielen auf Sterneniveau, schließlich war Müller lange Jahre seines Schaffens Michelin-geehrt und GaultMillau-behaubt: Als Küchenchef im Restaurant „Imperial“ (Schlosshotel Bühlerhöhe), wie auch nach dem Umzug in die Hauptstadt mit seinem eigenen Restaurant „Adermann“, kochte er sich in den Sternenhimmel. Seine Beine aber blieben immer auf dem Boden, seine Teller waren stets pure (nicht puristische), konzentrierte, sich selbst erklärende Hochgenüsse.

 

Die rund 80 raffinierten Speisen rings um das Schwein ergänzt Müller mit einer Latte richtig brauchbarer Grundrezepte bis hin zur Trockenbeize, sowie mit einem kleinen Küchenlexikon und hilfreichen Tipps und Tricks zu Themen wie Räuchern, Fleischeinkauf, Pökeln und der Arbeit mit Netz & Farce –  und einer mehrseitigen informativen Führung durch sämtliche relevanten Teile und Zuschnitte des Schlachtkörpers.

 

 

 

Fazit: Das Team hinter dem Berliner Koch-Fanzine „le schicken“ mit dem Grafiker Jason Kassab-Bachi und dem Foodfotografen Florian Bolk setzte die Schweinetexte und Wolfgang Müllers Rezepte in edel-moderner, auf jeder Rezeptseite schwerst Appetit anregender Klasse um. Rezepte von „Ravioli von gepökelten Schweinenasen“, über „Geräucherte Schweinezungen auf Steckrübengemüse mit Palffyknödeln“ bis hin zu „Schweinekutteln in Champagnersauce sorgen zusammen mit der gut nutzbaren und zugleich ästhetisch ansprechenden Gestaltung der Seiten und den informativen Begleittexten zwischen Schweinerassenportraits und einer großen Hausschlachtungs-Reportage für ein Gesamtwerk, das sich wohltuend aus dem Wust der im Moment inflationär veröffentlichten Fleisch-Fachbücher heraus hebt. Mit „Schwein – das große Kochbuch“ können alle Carnivoren fein und kultiviert essen, und dennoch immer wieder voll die Sau raus lassen.

 

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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