Hans Horberth

Zwischenspiel: Kleine Köstlichkeiten vor dem Hauptgericht

kochbuch

Zwischenspiel: Kleine Köstlichkeiten vor dem Hauptgericht
Hans Horberth:
"Zwischenspiel: Kleine Köstlichkeiten vor dem Hauptgericht"
Erscheinungsjahr: 2009
227 Seiten
97 Rezepte
69,90 EURO
ISBN: 978-3-87515-041-4

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Zwischenspiel: Kleine Köstlichkeiten vor dem Hauptgericht Bewertung: 2 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Hans Horberth kocht auf Sterneniveau im „La Vision“ (1 Michelin-Stern, zuletzt im GaultMillau von 16 auf 17 Punkte hochgestuft) im Kölner Hotel „Wasserturm“ ­– vorrangig klassisch französisch, aber mit einem modernen, leichten Einschlag. Ob er mit dem vorliegenden Buch auch ambitionierte Hobbyköche erreichen wollte, sagt er nicht ausdrücklich. Besser so, denn die würden sich an  vielen der nicht oder nur schlampig lektorierten Rezepten die Zähne ausbeissen.Das hier ist nur was für Profis, die sich vom Sternekollegen was abschauen wollen. Ehrgeizige Jungköche, die den Theorieteil an der Berufsschule und im Ausbildungsbetrieb sorgfältig gelernt haben, werden ebenfalls fündig. Sie wird es nicht stören, dass Horberths Häppchen eher Idee und Gedankenanstoß sind, aber keine funktionstüchtigen, nachkochbaren Rezepte.

 

Garzeiten. Produkte. Schritte. Vorprodukte. All das ist ungenau, gar nicht oder an irritierenden Stellen angegeben, beispielsweise irgendwo in Klammern, was das Arbeiten nach Rezept wirklich schwierig macht. Und ganz ehrlich: Wenn ich noch in einem weiteren, sauteuren, deutschen Kochbuch das Unwort „Limone“ lese, verschicke ich auf eigene Kosten faule Zitronen an den Verlag. Das ist eine Unsitte geworden wie vor 12 Jahren das pseudoanglophile, abgetrennte Genitiv-S.

 

Beispiele? Wir nehmen uns stellvertretend ein vermeintlich einfaches Rezept vor, das Gelee vom Granny Smith mit Wachtelei, Saibling und Balsamessig. 1 Seite. 1 Tippfehler, 1 Schreibfehler.

 

 

Horberths Arbeiten verlangen exaktes, sicheres Handwerk. Und was steht im Rezept? Frischer grüner Apfelsaft wird gewünscht, in Klammern wird darauf hingewiesen, er soll durch eine Zentrifuge gepresst werden. Der fertige Apfelsaft? Nein? Äpfel, die dann Apfelsaft werden?

 

Wahrscheinlich. Wie viele Äpfel? Welche Sorte? Geschält, entkernt? Und eine Zentrifuge, die hat doch jeder in der Küche rumstehen? Nein? Tut’s auch ein Entsafter? Tja, wer weiss das schon, da nicht beschrieben wird, wie dieser Saft nun zu sein hat. Saftig, dünn, klar oder musig?

 

Die Miniportion Saibling (150 g) soll mit „1-2 EL Meersalz“ gebeizt werden. Esslöffel? Das ist nun doch ein ziemlicher Unterschied? Erst beim ganz genauen Hinsehen wird klar, dass hier die seltsame Typographie das Missverständnis verursacht hat: "1 / 2 EL", ein halber Esslöffel also.

 

Zum Anrichten wird neben Osietra-Kaviar der seltene Saiblingskaviar gewünscht. Woher nehmen? Dass „alter Balsamessig“ erstens eine völlig unpräzise Definition ist (8 Jahre?, 12 Jahre? 30 Jahre?) und dieser zweitens mit einer kleinen Spritze in ein rohes Wachteleigelb gespritzt werden soll... nun, das ist ja fein, aber warum wird Werkzeug, das sich ein Hobbykoch im Normalfall extra besorgen muss legen muss, nicht genau benannt? Im Original steht da übrigens wörtlich: „Balsamessig (...) in die Wachteleigelb hinzuspritzen und mit (…) würzen.“  Da hilft nur Eines: Die Lektorat beim nächsten Mal fitzuspritzen, aber bevor die Arbeit.

 

So geht es weiter und weiter. Artischockenfond soll ins nächste Rezept. Wie geht der? Wie macht man Kapernsaft? Was soll nachstehende Formulierung: „12 länglich frittierte, dünne Kartoffelscheiben (etwa 5 cm lang)?“  Bei der Rotbarbe kommen „blanchierte Schluppen“ zum Einsatz, die nur in Berlin so heissen und im Rest des Landes Frühlingszwiebeln. Der wunderschöne Weissraum um das knappe Rezept der „Makrele“ hätte genug Platz gelassen, auch die Zubereitung der unter „Fertigstellung“ genannten „Meerrettichpaste“ zu erklären.

 

Bei „Königstaube_Quitte“ steht am Ende „mit Rauchspeckpulver ausgarnieren“. Was für ein Pulver? Gibt’s noch nicht mal bei Bosfood... Bei „Glattbutt“ braucht man Knoblauchchips, und da steht plötzlich in Klammern, wie die gemacht werden sollen. Aber das ist die Ausnahme. Und warum wird nirgendwo aufgelöst, dass „Ente Excellence“ keine Geflügelart sondern der Vermarktungsbegriff des traditionellen französischen Geflügellieferanten Mieral ist?

 

Richtig ärgerlich ist dabei die Tatsache, dass viele Gerichte so köstlich, inspirierend oder gekonnt mutig und dabei ­– perfekt für Zwischengänge – stets leicht bekömmlich und erfreulich unüberladen klingen, dass man sie sofort nachbauen will: Ein Gewürz-Granité mit Piment, japanischem Bergpfeffer und Zimt in Rotwein, das auf einem Küchenblech eingefroren und zur Fertigstellung einfach tiefgefroren geschabt wird. Eine Emulsion von Shiitake und Artischocke, aromatisiert mit Sherry und Noilly Prat. Ein Doradenfilet mit gebackener Blutwurst und karamellisierter Baby-Banane. 24 Stunden bei 60 Grad pochiertKalbsbäckchen mit Birne und Süssholz. Grossartige Ideen! Da hätte man doch eigentlich gleich Lust, zum Telefonhörer zu greifen, Freunde einzuladen und loszulegen, wenn nicht...

 

 

Immerhin: Die Kapiteleinteilung wurde zugunsten eines A-Z der Hauptzutaten aufgegeben. Das macht sicher Sinn. Das Rezeptregister ist eine Wiederholung dieses A-Z der Hauptzutaten. Das macht sicher keinen Sinn, denn ein Schlagwortregister fehlt leider ebenso wie ein bei den meisten Sternekochbücher ja längst zum Minimalstandard gewordener Appendix mit den wichtigsten Grundrezepten.

 

 

Die Fotografie ist so, wie man sie in diesen Büchern aktuell erwartet, wenn auch das immergleiche Schlagschattenlicht von links spätestens nach dem 18. Bild total nervt.

 

 

Fazit: Eine vertane Chance zu einem happigen Preis. Horberth hat was drauf, die vorgestellten Teller sind großartig, aber natürlich muss er als Profikoch erst mal keine Rezepte für normale Haushalte schreiben können – das sollte ein Verlag wie Matthaes, der immerhin Alain Ducasse in Deutschland auf den Markt gebracht hat, wissen und die durchaus interessanten Ideen entsprechend lektorieren. Obwohl es auf dem Buchrücken heisst, die Rezepte machen „Lust, sie in der eigenen Küche auszuprobieren“ ist dieses Buch von vorne bis hinten nur für Profis geeignet, die sofort wissend nicken, wenn im Steinpilzrezept „8 ungelegte Eier“ auftauchen. Für alle, die erst lange und aufwändig  recherchieren müssen, dass es sich hierbei tatsächlich um noch nicht gelegte Eier mit weicher Haut statt Schale im Inneren von geschlachteten Hühnern handelt, sollte Horberth sein komplettes Buch nochmal neu (auf)legen.

 

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

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