Björn Freitag
"Kleine Zaubereien"
Der Chefkoch des Sternelokals „Goldener Anker“ in Dorsten zwischen Münster und Duisburg beschäftigt mit seinem aktuellen Buchprojekt „Kleine Zaubereien aus der Sterneküche“ gleich zwei Verlage: Beim Randomhouse-Giganten Südwest und dem klein-feinen Becker Joest Volk Verlag erscheinen zwei vor allem preislich höchst unterschiedliche Varianten. Gleich ist beiden Büchern eines: trotz des Versprechens im Titel und einiger tatsächlich sehr leckerer Ideen findet sich weit und breit nichts, was ein „Michelin“-Tester unter „Sternenküche“ verstehen würde.
Bei Südwest heisst das Buch im Langtitel „ Kleine Zaubereien – Verführerische Snacks aus der Sterneküche“, in der knapp 40 Euro teuren Edelversion „Sterne-Snacks – Kleine Zaubereien aus der Sterneküche“. Schon hier schimmert leise das Kernproblem Björn Freitags durch, das uns schon in seinem Vorgänger-Werk „ Freitag in Deutschland. 10 wunderbare Menüs von Sternekoch Björn Freitag“ aufgefallen war: Der Mann, der auf kabel eins im „Fast Food Duell“ regelmäßig chinesischen Pfannenrührern und westfälischen Currypommesfettpressen die kulinarischen Rücklichter zeigt, ist selbst am Herd im Vergleich zu den meisten anderen besternten Kollegen Deutschlands eine eher fahle Funzel.
Auch in den Rezepten, die exclusiv in der Edel-Variante der „Zaubereien“ abgehandelt werden, findet sich kaum Sterneninevau: Das Wachtelbrüstchen liegt neben einer deutlich verbrannten Blutwurstscheibe, die „Mini-Königsberger“ sind allenfalls Schuhbeck-Standard und werden auch durch die Trüffel nicht wirklich zu Haute Hausmannskost, Jakobsmuscheln mit Rhabarberragout zu reichen klingt interessant, retardiert durch die Beigabe warmer Kokoswürfel aber zum kulinarischen Kindergeburtstag, die Crêpes Suzette mit Orangen wurden viel zu dick ausgebraten und das eigentlich witzige „Vitello Brathering“ als nordische Dekonstruktion des Italo-Klassikers beweist durch den Einsatz von „Kalbsbraten (Aufschnitt, kalt)“ unfreiwillige Küchenkomik – wenn er das im „Goldenen Anker“ so und nicht mit zartrosa sous vide selbstgegartem Kalb anbietet, schießt ihm der Michelin endgültig den Stern von der Mütze.
Gerade mal ein einziges echtes Klasse-Rezept könnte Sternenstandard erfüllen: die „Kohlroulade von Kaninchen und Gänseleber“ bekommt einen zwinkernden westfälischen Regionalkick durch die Beigabe von „Himmel un Ääd“ – aber nicht in der Form von Stampfkartoffeln mit Apfelmus, sondern Hochküchen-gerecht als karamellisierte Apfelwürfelchen mit einem Petersilienwurzelpüree. Schön auch hier die vegetarische Variante, die es zu fast jedem Rezept gibt (mit Frischkäse & Steinpilzen), ebenso wie die allgegenwärtigen Hinweise für Laktose- und Gluten-Intoleranzen und den brauchbaren Portionsumrechner, den der Verlag online anbietet.
http://bjvv.de/mengenrechner_sterne.aspx
Doch eine Schwalbe macht noch keinen Sternensommer, weswegen für die meisten Hobbyköche tatsächlich die günstigere (16,95 Euro ) Variante „Kleine Zaubereien“ die bessere Wahl sein könnte. Hier steht „Stern“ zwar ebenfalls auf dem Titel, drinnen aber versammeln sich muntere und durchaus mal eben nachkochbare Ideen für kleine Snacks wie Gnocchi mit Ziegenfrischkäse, Kartoffel-Tartelettes, Parmesanflan mit Oliven, „Snickers“ (ein Karamellparfait) oder Gambas in Bärlauchtempura – das meiste davon ratzfatz in 15 bis 30 Minuten zubereitet.
Der Billigheimer verzichtet noch nicht einmal auf die (sehr guten) Grundrezepte im Appendix des 40-Euro-Wälzers – aber wer braucht schon in jedem Kochbuch die 138ste immergleiche Anweisung für altbekannte Basics wie Fischfond oder dunklem Kalbsjus?
Fazit: Für den fortgeschrittenen Hobbykochschaffenden auf der Suche nach den geheimen Tricks der Sterneküchen sind auch die beiden neuen Freitag-Kochbücher unbrauchbare Montagsmodelle. Die teure Variante bringt Esser mit Intoleranzen (Laktose, Gluten, Fleisch) wertvolle und vergleichsweise hochwertige Abwechslung in den Kochalltag, das unhandliche (Hochformat) Buch liegt im direkten Preis-Genuss-Vergleich aber doch deutlich hinter der billigen Version des Südwest-Verlages – und Sternenstaub glitzert in beiden Fällen nirgendwo.
"Kleine Zaubereien" bei Amazon kaufen.
Peter Wagner
Peter Wagner
Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...
monsterkoch@kochmonster.dewww.kochtext.de
Kolja Kleeberg; VAU – Das Kochbuch
Gordon Ramsay; Schnelle Sterneküche
Shane McMahon; Shane's Kitchen
Neil Perry; Rockpool
Hans Gerlach; Kochen (fast) ohne Zeit
Otto Koch; Kochen mit Otto Koch
Jamie Oliver; Jamies Kochschule - Jeder kann kochen
Valentine Warner; Frisch & einfach kochen
Natalie Quagliata, Susanne Dr. Krebber, Dieter Müller; Esslust: Vitalität und Lebensfreude mit Genuss
Claudio del Principe; Anonyme Köche