Hans Gerlach

Kochen (fast) ohne Zeit

kochbuch

Kochen (fast) ohne Zeit
Hans Gerlach:
"Kochen (fast) ohne Zeit"
Erscheinungsjahr: 2009
192 Seiten
124 Rezepte
19,95 EURO
ISBN: 978-3-442-39139-4

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Kochen (fast) ohne Zeit Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

„Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt, läuft die Zeit; wir laufen mit.“ Und weil sich seit Wilhelm Busch die messbare wie auch die gefühlte Zeit erheblich beschleunigt hat, kann ein Kochbuchautor darauf eigentlich nur mit Entschleunigung reagieren. Es sei denn, er heisst Hans Gerlach und lässt endlich das zusammen wachsen, was längst zusammen gehört: slow food und fast cooking.

 

Zum Glück warnt Gerlach durch die kleine Einschränkung im Titel „Kochen (fast) ohne Zeit“ alle maggifixen und fastfoodfixierten Schnellkochtopffreunde vor: nein, das hier ist kein plattes Buchvermarkterlatein nach dem Muster „Brettbauch in 10 Minuten“ oder „How to get bigger elephants in less time and with less money“.

 

Ein wenig Zeit, teilweise sogar ein paar Stunden, wenn man Einkauf und Schmorverlauf mitrechnet, muss man auch hier mitbringen. Was dieses Buch aber von den anderen Werken ähnlicher Stoßrichtung unterscheidet: Gerlach verrät, wie die Zeit so effektiv wie möglich organisiert werden kann – oder (wenn es lange dauern muss bei Fleisch und Teig) wie man diese Stunden des Garens und Gehens als erkenntnistheoretische Chance begreifen kann. „Depse diem – knete den Tag. Rhythmisch wiederkehrende Bewegungen fördern die Versenkung im Moment. – Hefeteig ist ein geknetetes Mantra.“

 

Für das ganz flotte Kochen hat Gerlach dagegen vier Gebote entwickelt:

 

„1. One-Stop-Shopping. Alle Zutaten sind in einem einzigen Geschäft zu finden. Meistens ist dies ein Supermarkt, manchmal auch der Asienladen um die Ecke. Wenn es dort ein spezielles Gewürz, ein Kraut oder eine Käsesorte nicht gibt – kein Problem – dann wählen Sie etwas Vergleichbares.

 

2. Kochen bedeutet schneiden und abschmecken. Schneiden dauert, das ist klar. Schnell kochen heißt deshalb immer: Wenig schneiden. Und zwar in große Stücke, in Scheiben statt Würfel, in breite Streifen und nicht in zarte Julienne.

 

3. Kurze Garzeiten. Die Grenze liegt für Gerichte mit Kohlenhydraten ungefähr bei 15 Minuten. So lange dauert es mindestens, bis selbst dünne Nudeln bissfest sind. Denn bevor die Nudeln garen, muss erst einmal das Wasser kochen.

 

4. Mit einem passenden Rezept im Kopf und einem Supermarkt in der Nähe genügt eine gute halbe Stunde für Einkauf und Küche – das Ergebnis ist ein selbst gekochtes Essen, das den Tag verschönert.“

 

Mit den 15 Minuten hat er nicht ganz recht, das geht auf einer großen Gasflamme oder einem 3,8kW-Induktionsburner schneller.  Geschenkt. Viel wichtiger ist die ungemeine Präzision, Genauigkeit und Qualitäts-Orientierung in den 124 Rezepten des Buches. Gerlach hat Architektur studiert und zwei wunderschöne Kochkolumnen für das Magazin der „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben („Kochen ohne Rezept“; „Gerlachs Alphabet“) – vor allem aber war er lange Profikoch und hat im Münchner Le Gourmet, bei Jörg Müller auf Sylt oder bei Heinz O. Wehmann im Hamburger Landhaus Scherrer das Qualitätsprimat der Sternenköche eingehämmert bekommen.

 

Deshalb wird bei ihm auch (fast) ohne Zeit nur aus frischen Zutaten gekocht: Gedünstete Spitzpaprika mit Lachsfilet“ (10 Min.), „Hähnchenbrustschnitzel mit grünem Spargel und Polenta (15 Min.) oder Linsenpüree mit gegrillten Zucchini (20 Min.) oder „Reisnudeln mit Knuspergarnelen“.

 

Für einen Ex-Sterne(Bei)koch sind Convenience-Produkte natürlich genauso tabu, wie sie für Otto- und Claudia-Normalkocher essentielle Garanten dafür darstellen, überhaupt noch etwas halbwegs Nahrhaftes auf den Tisch zu bekommen. Gerlach umschifft diese Klippe elegant und lässt das Kapitel seine Gattin Susanna Bingemer schreiben (er selbst steuerte hier nur die Rezepte bei und validierte sie wie bei allen Gerichten des Buches in der heimischen Versuchsküche).

 

Und hier wird natürlich keine TK-Pizza mit ein paar Scheiben korsischer Eselssalami verfeinert, sondern Halbfertigprodukte klug in die Gerlachsche Herdkunst integriert: Hähnchencurry oder Seeteufel mit schneller Fertig-Tomatensauce (leider verschweigt der Autor hier seinen bevorzugten Hersteller; das Kochmonster hat die korrekten Fertigsaucen der italienischen Marke „Mutti“ für den Notfall in der Speisekammer...). TK-Spinat kommt als Salat und auch als Färbemittel für Risotto zum Einsatz, ansonsten erlaubt Gerlach noch Dosen-Hülsenfrüchte, vorgekochte Instant-Bulgur/Polenta, Strudelteig und fertige Bio-Kürbisgnocchi – alles auch aus Highend-Sicht völlig in Ordnung, zumal das Buch wertvolle Tipps zum Selbstherstellen und haltbar machen von Zwischenprodukten (einkochen, einfrieren, einwecken etc.) gibt.

 

Ebenfalls mehr als in Ordnung ist die intelligente Gliederung des Buches. Statt nach Gängen, Jahreszeiten oder Zutaten, sortiert Gerlach nach Kriterien wie „Ganz wenig Zeit“, „Zeit für Kinder“ „Zeitmanagement“ (die Kunst, unterschiedliche Gerichte/Gänge für geladene Freunde zum jeweils korrekten Zeitpunkt fertig bekommen) oder, und jetzt wird es spannend, nach Zeit als metaphysische Erscheinung. Im Gegensatz zum Dauerstress in der Profiküche könne  jeder Hobbykoch beim Nahrungszubereiten seinen eigenen, intimen Flow finden, in dem die gefühlte Zeit ganz eigenartige Verläufe nehmen darf.

 

So empfiehlt Gerlach, lange Schmorzeiten von Braten, Einweichzeiten von Hülsenfrüchten, Kühlzeiten von Brühen oder Gehzeiten von Teigen als Chance zu begreifen, interessantes und gutes Essen zum richtigen Zeitpunkt auf den Tisch zu bringen, während sich die Zutaten oder Komponenten in eben diesen Stunden ja ganz von alleine ohne viel Aufmerksamkeit einzufordern quasi von selbst zubereiten. Das, wie auch die ganz eigene, höchstpersönliche Taktung, die jeder hingebungsvolle Koch beim Schneiden, Kneten, Rühren Passieren etc. findet, begreift Gerlach zurecht als Zeitgeschenk.

 

Es sind also waghalsigere Selbstversuche vorstellbar als den, mit 124 Gerlach-Rezepten durch ein Ernährungsjahr zu kommen. 124 Mal aus diesem Buch kochen, an den restlichen Tagen Essen gehen, sich von Freunden und Verwandten bekochen lassen, mal krank sein und nichts essen, zwei oder drei Wochen im Urlaub fremdspeisen, ansonsten die eine oder andere Currydoppelpommesrotweiss reinpfeifen. Das wäre machbar.

 

Fazit: Mit Gerlach könnte man ein knappes halbes Jahr lang jeden Tag ohne allzu großen Zeitaufwand ein anderes leckeres Gericht auf den Tisch bringen. Mit zwei Ducasse-Wälzern ("Grand Livre de Cuisine – Kulinarische Enzyklopädie” und "Grand Livre de Cuisine –Die mediterrane Küche“) käme man zwar 1200 Tage lang ohne jegliches weiteres Rezept aus, wäre danach aber erstens pleite, zweitens schwerst übergewichtig und drittens um Jahrzehnte gealtert, denn der Franzose bereitet fast nichts unter zwei Stunden zu. Im Zweifelsfalle also lieber den Gerlach nehmen, schlank und kreditwürdig bleiben – und eine Extraportion Lebenszeit gibt’s vom Autor kostenlos dazu geschenkt.

 

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
www.kochtext.de