Dr. Nathan Myhrvold

Modernist Cuisine at Home

kochbuch

Modernist Cuisine at Home
Dr. Nathan Myhrvold:
"Modernist Cuisine at Home"
Erscheinungsjahr: 2013
676 Seiten
400 Rezepte
99,99 EURO
ISBN: 978-3836546485

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Modernist Cuisine at Home Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Das 2500-Seiten-Buch „Modernist Cuisine“ zeigte alles, was für das Kochen im 21. Jahrhundert wichtig ist, allerdings brauchte man einen Gabelstapler, um die sechs Bände in die Küche zu fahren. Autor Nathan Myhrvold schiebt nun die Light-Version hinterher: 4,5 Kilo Highend-Rezepte.

 

Das im Dezember 2011 in deutscher Sprache erschienene Mammutwerk für wissensdurstige und wagemutige Köche aller Professionalitätsstufen, das fünfbändige, 2.500 Seiten starke „Modernist Cuisine“ des US-Wissenschaftlers Nathan Myhrvold, hatte bei aller Fortschrittsliebe doch ein paar wesentliche Nachteile: Es kostet knapp 400 Euro, wiegt über 21 Kilo und zeigt dennoch nicht, wie man für die Familie am Mittag aus dem, was zufällig gerade noch im Kühlschrank steht, schnell ein leckeres Essen zaubert.

 

Letzteres hatte der studierte Mathematiker, Geo- und Astrophysiker, der in Wirtschaftsmathematik und theoretischer Physik promovierte und bis 1999 als Chief Technology Officer in der Forschungsabteilung bei Microsoft arbeitete, auch nie im Sinn. Seine Zielgruppe: Millionäre, Erben, Koch-Autisten und alle anderen, die ihre Zeit und ihr Geld komplett in die Küche stecken, mit Ultraschall Sahne schlagen wollen, Rotationsverdampfer und Rotierfräse als Kochutensilien begreifen können und sich selbst dann noch nicht für Autisten halten, wenn sie Myhrvolds Anleitung für das perfekte Frühstücksei komplett durchlesen. Die geht über vier Buchseiten.

 

Oft wurde nach dem Erscheinen des „Modernist“ ein Buch vermisst, das in der Kochtheorie vergleichbare Erklärungstiefe mitbringt, dabei aber ohne Bandscheibenvorfall zu tragen, ohne Kurzzeitkonsumkredit finanzierbar und vor allem ohne fünfjährige Molekularkochausbildung zu verstehen und nachzukochen ist. All das gibt es nun in der Form von „Modernist Cuisine at Home“*: Nur ein Band plus küchenkompatibles externes Rezepte-Ringbuch aus abwaschbarem Papier, alles zusammen 676 Seiten auf viereinhalb Kilo, und mit 99 Euro auch nicht teurer, dafür aber viel spannender als die klassischen „Teubner“-Prunkwälzer.

 

Dazu ist es wie gesagt wesentlich alltagsfreundlicher und bringt Rezepte für alles, was man halt so kocht: Rührei, Salat, Kartoffelsuppe, Chicken Wings, Pichelsteiner, Steaks, Nudeln, Pizza, Schweinebauch, Cheeseburger, Thaisuppe oder Lammcurry – allesamt aber aufregend „modernistisch“ rezeptiert, also nach allen Regeln der Highend-Avantgarde-Kochkunst.

 

Zum Beispiel wird erklärt, wie man ein perfektes Hähnchen brät, wenn man weiß, warum Brustfleisch heller ist als das Schenkelfleisch (Fettverbrennung in den stärker bewegten Muskeltfasern). Beide Fleischsorten bräuchten deshalb total erheblich verschieden lange Garzeiten, was bei einem im Ganzen servierten Huhn nicht möglich ist. Die kross-braunen Brathühnchen auf den Fotos der Kochzeitschriften und -Büchern sind also eher Produkt des Foodstylisten, denn im wahren Leben ist entweder das Brustfleisch saftig und der Giger außen blassrosa, oder die Haut kross und die Brust strohtrocken.

Kochmarathon mit dem 29-Stunden-Brathähnchen

 

Myhrvolds Methode dauert zwar alles in allem 29 Stunden, lohnt sich aber auf jeden Fall, wenn man einmal im Leben probieren will, wie ein wirklich perfektes Huhn schmecken kann. Dazu legt er der Brust eines großen (mind. 2 kg) Biohuhns eine Lakeninfusion, indem er eine sechsprozentige Salzlösung in mehrere Stellen des Fleisches injiziert. Anschließend wird das Tier drei Mal für wenige Sekunden blanchiert und in Eiswasser abgeschreckt, danach 24 Stunden in der Kühlung getrocknet, im Backofen bei Niedrigtemperatur 4 Stunden auf 60 Grad gegart und am Ende unter dem Grill oder in der Fritteuse ratzfatz gekrosst.

 

Ein Aufwand, der in diesem Fall tatsächlich das garantiert beste Brathuhn des Lebens auf den Tisch bringt, während in einigen anderen Rezepten die Kochideen des Amerikaners doch sehr schrullig  sind und aus Genießersicht nicht unbedingt zu einer Verbesserung von mit herkömmlichen Methoden zubereiteten Speisen führen.

 

Doch in der Mehrzahl bietet Myhrvold spannende Denkansätze, die zum Beispiel oft auch zu bekömmlicheren Ergebnissen führen. So zeigt er, wie man durch Einsatz von warm entsafteter Lauchessenz und Backmalz bei der Zubereitung einer wunderbar glatten Vichyssoise (kalte Kartoffel-Lauch-Suppe) auf die für das Ergebnis eigentlich unverzichtbar erscheinenden tierischen Zutaten Hühnerfond, Butter und Sahne verzichten und ein ultraleckeres veganes Süppchen zaubern kann.

 

Fazit: Der ganz große „Modernist Cuisine“ bleibt zwar das Non Plus Ultra der modernistischen Küche im 21. Jahrhundert, Myhrvold schlanker Ableger ist dennoch vor allem für Hobbyköche ein Muss, denen es mehr um die Tricks & Techniken und weniger den historisch-wissenschaftlichen Hintergrund geht.

Die Autoren:

Dr. Nathan Myhrvold ist Chief Executive Officer und Gründer der Firma Intellectual Ventures. Bevor er sein eigenes Unternehmen gründete, baute Myhrvold als erster Chief Technology Officer bei Microsoft unter anderem Microsoft Research auf. 1999 verließ er Microsoft, um eigene Interessen zu verfolgen, zu denen auch seine Leidenschaft für Kochen und Lebensmitteltechnologie gehören. Nach zwei Jahren als Stagier bei Rover’s in Seattle besuchte Myhrvold die Kochschule La Varenne und arbeitete zudem als Chief Gastronomic Officer für Zagat Survey. Myhrvold hat an der UCLA Mathematik, Geo- und Astrophysik studiert sowie an der Princeton University in Wirtschaftsmathematik und theoretischer Physik promoviert.

 

Maxime Bilet erwarb am Skidmore College einen Bachelor in den Fächern Kreatives Schreiben, Literatur und Visuelle Kunst und schloss dann sein Studium mit Auszeichnung am New Yorker Institute of Culinary Education ab. Unmittelbar im Anschluss an ein stage in Jack’s Luxury Oyster Bar engagierte ihn Inhaber Jack Lamb als Küchenchef. Später ging Bilet nach London und ergänzte Heston Blumenthals Entwicklungsteam im Fat Duck. Kurz vor seinem Wechsel zum kulinarischen Team des Cooking Lab als Forschungs- und Entwicklungsleiter eröffnete er als Souschef die Londoner Dependance der Auberge de L’Ile.

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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