Anissa Helou

Orientalische Vorspeisen

kochbuch

Orientalische Vorspeisen
Anissa Helou:
"Orientalische Vorspeisen"
Erscheinungsjahr: 2008
160 Seiten
80 Rezepte
19,95 EURO
ISBN: 978-3-88473-903-8

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Orientalische Vorspeisen Bewertung: 3 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Worauf trifft man in der Foodbranche nie? Auf Menschen mit langweiligem Lebenslauf. Doch selbst unter außergewöhnlichen Lebenslinien fällt die von Anissa Helou auf. Im Alter von 21 Jahren entfloh sie der Lifestyle-Enge Beiruts und ging nach London – so wie alle, die ihrem Leben ganz bewusst eine neue Farbe verleihen wollen. Dort studierte sie Innenarchitektur und lernte bei Sotheby’s eniges über Kunst. Damit begann das erste Leben der Anissa Helou. Ihr Kunstverstand war so gut, dass sie ihn bald der kuwaitischen Herrscherfamilie beratend zur Verfügung stellte und bis Mitte der 80er-Jahre in Kuwait lebte.

Dann begann ihr zweites Leben. Bei Sotheby’s Rivalen Christie’s vertickte Anissa Helou ihre eigene, ebenfalls nicht unbedeutende, Kunstsammlung und erwarb mit dem Erlös ein riesiges, steinaltes Haus im Londoner Stadtteil Shoreditch. In Shoreditch ist das East End kein Slum, sondern Trend  und Kunst. Jedenfalls für die Zugezogenen.

Und hier schuf sie, die früher in Herrschaftshäuser ein und aus ging, ihr eigenes Imperium. Mit der Bescheidenheit, wen wundert's,  hapert es ein bisschen bei Öffnet externen Link in neuem Fensteri Anissa Helou, doch erstens hat sie bei Kuwaitis gelernt und zweitens steht sie damit in der Foodbranche beileibe nicht allein da. Anissa, so ließe es sich wohlwollend formulieren, ist eben für alle da. Mit Anissas Kochschule, Anissas Catering, Anissas Kochreisen, Anissas Radio, Anissas Artikeln und Anissas Kochbücher. Sechs sind das bislang. Anissa Helou liebt die Küche ihrer Heimat Beirut ebenso wie die ihres syrischen Vaters, hat ein Buch über marokkanische Küche und ein anderes über Innereien („The Fifth Quarter“, Absolute Press, London, 2004) geschrieben, kennt sich aus an nordafrikanischen Imbiss-Ständen und bei südfranzösischen Brotsorten.

Ihr neues Kochbuch heißt im Original "Modern Mezze" und wurde vielleicht deshalb vom deutschen Verlag umbenannt, weil modern hier nix ist. Leider. Anissa Helou hat ein hübsch fotografiertes (von Vanessa Courtier) Kochbuch mit allen Mezzeklassikern aus der Levante bis zu Ägypten zusammengestellt. Es fehlen nicht das Auberginenpüree baba ghanoush, nicht die pikante Sesamsauce  tarator, nicht die gegrillten roten Paprikaschoten oder die gefüllten Weinblätter und natürlich nicht das libanesische Nationalgericht taboulé, über dessen Verwestlichung (eine mengenmäßige Umkehrung von Bulgur und Kräutern) sie sich in jedem Interview aufregt. Wenn man die Verballhornung der eigenen Traditionsküche anprangert, ist das ja kein Nachteil. Aber daraus erwächst noch lange kein Kennertum.

Eine echte Kennerin ist Claudia Roden. Ihre Bücher über die Küchen des Nahen und Mittleren Ostens (z.B. „Arabesque“, Christian Verlag, 2007, oder der immer noch aktuelle Klassiker von 1968, „A New Book of Middle Eastern Food“, Penguin Verlag) sind nicht nur präzise und kenntnisreich, sondern ordnen Gerichte auch in Kultur und Tradition der jeweiligen Region ein.

Mit Knoblauch zugeballert

Das kann Anissa Helou nicht leisten, und auch bei der Sorgfalt ihrer Rezepte hapert es. So bereitet sie ihren Brotsalat fattoush für 6 Personen mit 3 EL Sumach zu; das ist so, vorsichtig gesagt, gewöhnungsbedürftig wie ihre Variante des feinen ägyptischen Nuss-Dips  dukkah, den sie mit Kichererbsen anstelle von Haselnüssen zubereitet. Sechs Knoblauchzehen für 4-6 Personen sind für das eigentlich elegant austarierte Auberginengericht Imam bayildi viel zu viel, beim baba ganoush fehlt der Kreuzkümmel, und Artischocken kommen noch nicht mal als Herzen aus der Dose vor. Dafür aber Portulak, und das hätte in der deutschen Übersetzung eine Fußnote verdient, denn hier ist dieser zarte Salat nur saisonal auf Wochenmärkten zu bekommen und kann natürlich ersetzt werden.

In Städten wie Beirut und Istanbul, die inzwischen so jung und trendy sind, modernisiert sich die traditionelle Mezze-Küche gerade mit Lichtgeschwindigkeit. Yufka-Blätter mit Bottarga-Füllung, Crostini mit dicken Bohnen und gerösteten Mandeln, Tomaten, die noch grün eingelegt werden, süßlich aromatisierte Fischkroketten, Kichererbsenpie mit Sultaninen und Pinienkernen, Lauchringe, in wenig Öl gedünstet, mit etwas Honig abgeschmeckt, Fetakäsewürfel mit feiner Melone und einem Schuss Raki... das ist modern. Anissa Helou ist es nicht.

Fazit: Nichts für Kenner, nichts für Könner. Wer ein einfaches Buch über Standardmezze sucht, wird hier aber durchaus fündig.

Rezensent

Jo Limmer

Jo Limmer

Jo Limmer sucht noch immer nach einem aufgelassenen Pfarrhaus. Die Pussycat Dolls hat er zugunsten von Mareille aufgegeben. Aktuell verdient er sein Geld in München als Versicherer von Versicherern. 

limmer@kochmonster.de
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