Neil Beckett, Michael Auwers

1001 Weine, die Sie probieren sollten, bevor das Leben vorbei ist

kochbuch

1001 Weine, die Sie probieren sollten, bevor das Leben vorbei ist
Neil Beckett, Michael Auwers:
"1001 Weine, die Sie probieren sollten, bevor das Leben vorbei ist"
Erscheinungsjahr: 2008
960 Seiten
keine Rezepte
29,95 EURO
ISBN: 978-3-283-01113-0

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
1001 Weine, die Sie probieren sollten, bevor das Leben vorbei ist Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

„1001 Weine, die Sie probieren sollten, bevor das Leben vorbei ist“ – ein programmatischer Titel für eine Weinauswahl, deren Bewältigung ein viertel Menschenleben und den Gegenwert von ein oder zwei Reihenhäusern kostet. Naheliegend, dass sich dieses Nachschlagewerk, vor allem an die Edel- und Marken-Trinker richtet. Aber es finden auch kleine Weine ihren Weg in den fast 1000 Seiten schweren Weinguide und bilden ein Gegengewicht zu den hochpreisigen Elixieren.

 

Der Großteil der von Herausgeber Neil Beckett und seinem Autorenteam ausgewählten Weine bilden die Besitz- und Machtverhältnisse der globalen Weinproduktion ab: Natürlich fehlen die weltberühmten ChâteauChâteau Château Châteauund „Opus one“ sind dabei. Natürlich auch der Champagner Louis Roederer „Cristal“ 1990, auf den kein US-amerikanischer Rapper und kein russischer Milliardär meint verzichten zu können.

 

Es geht aber auch kleiner, geheimer. Der Grenache Rosé von Mount Hurtle aus Südaustralien, der keine besonderen Verdienste vorweisen kann, wurde berücksichtigt. Wie auch der „Ritinitis Nobilis“, ein Wein aus der griechischen Rebsorte Retsina, der nicht nach sägefrischem Kiefernholz schmeckt wie die meisten anderen Vertreter. Auch den Riesling „Palm“ von Aly Duhr aus Luxemburg hätte man nicht unbedingt erwartet. Da haben sich die Autoren in unbekannte Schönheiten verliebt, und sind ihnen erlegen, wie es manchmal geschieht, wenn die Ratio der Leidenschaft Platz macht.

 

Es sind genau diese irrationalen Momente und Geschichten, die das Buch wertvoll machen. Wie die Erkenntnis, dass Weine von Format auch jenseits der abgesicherten Pfade entstehen. Große Weine wachsen nicht nur in Grands Crus, sondern auch im kroatischen Hinterland, auf der neuseeländischen Insel Waiheke oder im libanesischen Bekaa-Tal. Und für manchen Wein („Vintage Port“ von Taylor’s) wurden die Trauben noch mit den Füßen gestampft wie in alttestamentarischen Zeiten. Es sind Außenseiter-Weine, wie der Schaumwein von Omar Khayyam aus dem Sahyadr-Tal in Indien, die verhindern, dass „1001 Weine“ wie ein snobistisches Belehrungsbuch wirkt.

"Kein Wein für Schwächlinge"

 

Oft sind es schrullige Persönlichkeiten, die besondere Weine formen. Wie der Winzer Neil McCallum vom Weingut Dry River in Neuseeland, der vor seinem eigenen Pinot Noir warnt, weil er „kein Wein für Schwächlinge“ sei. Oder der Winzer Raúl Pérez Pereira vom spanischen Weingut Valtuille, der seinen „Sketch“ im Atlantik unter Wasser reifen lässt. Zwischen den Buchrücken entfalten sich viele solcher kurioser Geschichten.

 

Es ist weniger die Auswahl der Weine, die die Faszination des Buches ausmacht, sondern die Erlebnisse, die davon erzählen, wie sich Menschen an den Wein verlieren: Der Filmproduzent Nigel Greening beispielsweise war von den Weinen des neuseeländischen Gutes Felton Road so begeistert, dass er in seinem britischen Wohnort bei allen Weinhändlern die Vorräte aufkaufte. Seine Zuneigung zu den Weinen wuchs derart, dass er schließlich das ganze Weingut erwarb.

 

Oder diese Geschichte: 1973 kam ein junger Mann aus Sydney mit einem Kumpel im Barossa-Tal in Südaustralien an. Graeme Melton und sein Freund brauchten Geld, um ihren alten Wagen zu reparieren und ihre Fahrt durch Australien fortsetzen zu können. Melton wollte für einige Tage als Kellereihelfer in einem Weingut anheuern, er war schnell fasziniert von der Arbeit mit Wein, blieb im Tal und gründete elf Jahre später sein eigenes Weingut. Jetzt erzeugt er einige der besten australischen Rotweine. Einer davon, „Nine Popes“ aus dem Jahrgang 2004, hat es sogar in diese Wein-Enzyklopädie geschafft.

Erdölingenieure, finnische Pelzhändler, Flugkapitäne

 

Das Autorenteam weiß von Autodidakten zu berichten, wie dem französischen Landmaschinenverkäufer Alain Graillot, der, lange belächelt, zum Weltklassewinzer aufstieg. Es sind Erdölingenieure, finnische Pelzhändler und Flugkapitäne, die irgendwo auf der Welt ein Glas Wein trinken und danach alles liegen lassen, um auch solche Weine zu erzeugen. Manchmal macht der Wein seinen Erzeuger auch zu seinem Sklaven: Kellermeister James Coffinet vom Champagnerhaus Billecart-Salmon war zwar ein Meister seines Fachs, er trank jedoch so gerne Champagner, dass er immer wieder an irgendwelchen Gegenständen anstieß. Mitleiderregend dünn, häufig mit verbundenem Kopf, sah er eher wie ein verwundeter Soldat aus denn wie ein Önologe.

 

Gelegentlich gehen die Autoren in die Knie vor einem Wein, wie dem Jahrgang 1924 von der Domaine Huet oder dem „unsterblichen Sassicaia“ von 1985. Der trockene Riesling aus dem Kloster Ebersbach, 1920, wird als „ein überirdischer Wein“ verehrt. Da spürt man die Demut der Trinker vor großartigen Weinen, die sich auch zur manischen Akribie versteigen kann wie in dieser Genussempfehlung: „Öffnen Sie die Flasche erst nach dem Mahl. Schließen Sie die Vorhänge, stellen Sie die Musik leise und die meisten Lampen aus. Genießen Sie den Wein dann wie einen alten Portwein.“

 

Fazit: Es gibt jede Menge unnütze Weinliteratur, dieses Buch gehört nicht dazu. Wenn man „1001 Weine, die Sie probieren sollten, bevor das Leben vorbei ist“ gelesen hat, dann versteht man, warum Shakespeare’s Falstaff dem Teufel seine Seele für einen bestimmten Malvasía angeboten hat. Es ist die Magie großer Weine, die sich beim Lesen entfaltet, die einen nicht mehr los lässt und sich nicht auf 1001 Weine beschränkt.

 

 

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Rezensent

Rainer Schäfer, Jahrgang 1962,

lebt und arbeitet als Journalist in Hamburg und schreibt über das, was

er am meisten liebt: Fußball, Wein und Essen. Er pendelt zwischen

Fußballstadien, Weinanbaugebieten und Restaurants.

schaefer@kochmonster.de