Martin Suter

Der Koch

kochbuch

Der Koch
Martin Suter:
"Der Koch"
Erscheinungsjahr: 2010
311 Seiten
15 Rezepte
21,90 EURO
ISBN: 978-3-257-06739-2

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Der Koch Bewertung: 2 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Woran lässt sich mit tödlicher Sicherheit ablesen, dass ein heisser, globaler Kochtrend längst definitiv alter Käse geworden ist? Ganz einfach: Wenn Martin Suter ein Bestsellerchen darüber schreibt. „Der Koch“ rotationsverdampft nicht nur Suters Ruhm als messerscharfer Beobachter und hochklassiger Autor, er zeigt auch, wo die Molekularküche inzwischen ihren Platz findet – im Rotlichtmillieu.

 

Der gute Ruf, den sich der Schweizer Kolumnist und Schriftsteller mit seiner wöchentliche Kolumne "Business Class" in der "Weltwoche" (inzwischen in 5 Bänden auch als Bücher erschienen) und hervorragenden Romanen wie „Ein perfekter Freund" oder „Die dunkle Seite des Mondes“  erworben hat, endet bei „Der Koch“ rasch in langweiligen Erzählschäumchen.

 

Dabei ist der Plot an sich ganz witzig: Der tamilische Superkoch Maravan findet in der Schweiz Asyl und Hilfsjob im Sternelokal, entwickelt in der Freizeit indische Molekular-Rezepte, fliegt raus, weil er sich im Restaurant unerlaubt einen Rotationsverdampfer leiht, beschert der dortigen lesbischen Oberkellnerin Andrea mittels seines „Love Menu“ mit aphrodisierender Wirkung die erste heterosexuelle Liebesnacht, vermarktet dies mit Andrea erst für Paartherapien, später als Sex-Caterer für Callgirl-Ringe, am Schluss bekommt der Waffenschieber seine Strafe, Hanni bekommt seine Nanni und Gretchen ihre Gerda.

 

Ein schöner Erzählbogen für 290 recht kleine Textseiten (plus Rezeptanhang). Dumm nur, dass Suter auf Teufel komm raus versucht, Stoff für einen Tausendseiter in diese kleine Roman-Sphere zu blasen: Tamilische Parallelwelten in Zürich, internationale Finanzkrise, Schweizer Kriegswaffenausfuhrgesetz, holländische Handelsverschwörungen, pakistanische Zwielichter in Sankt Moritz – und immer wieder der Bürgerkrieg in Sri Lanka, in dessen Verlauf auch Maravans Großante Nangay, von der er das (nicht nur aphrodisierende) Kochen gelernt hat, ums Leben kommt, und deren Tod er an einem Waffenhändler kulinarisch rächt, als der mit Andreas Freundin Makeda, die ihrerseits für 14 Verwandte in Eritrea anschaffen muss, ein vergiftetes „Love Menü“ bucht. Uff.

 

Das lässt nur eine Frage offen, Herr Suter: Warum verschweigen Sie uns Lesern die Außerirdischen Antimaterieköche, die, als Hinduistische Kindergottheiten getarnt, den Herausgeber des Gault Millau dazu erpressen, die von ihm beratene Schweizer Geheim-Spezialsoldatentruppe mit Hilfe von im Magen explodierenden Appenzellerkugeln auslöschen – und die Steuersünder-DVDs gleich mit, die diese Einheit aus den Mission-Impossible-sicheren Supertresoren der Credit Suisse gestohlen hatte?

 

Fast noch alberner sind Suters Versuche, den Plot anhand der ayurvedisch/tamilisch unterfütterten Avantgarde-Kochversuche Maravans zu erzählen. Das „Love Menu" besteht aus Minichapaties mit Curryblätter-Zimt-Kokosöl-Essenz, einem Ladies'-Fingers-Curry auf Sali-Reis mit Knoblauchschaum, zum Nachtisch gelierte Spargel-Ghee-Phallen etc.  – also die komplette Litanei der Molekularküche mit Espumas, Gelifikationen, Stickstoff, Spherifikation und Essenzdestillation mittels Rotationsverdampfer.

 

Suter macht hier wenig kulinarische Fehler, denn er kupferte beim Meister ab („Die Molekularküche“ von Thomas Vilgis) und ließ sich die Gerichte von Avantgarde-Star Heiko Antoniewicz („Molekulare Basics: Grundlagen und Rezepte“; „Verwegen kochen: Molekulare Techniken und Texturen“) rezeptieren. Umso erstaunlicher die vielen Fehler im Rezept-Anhang des Buches. Bei „Gefrorene Safran-Mandel-Espuma und ihre Safrantexturen“ zum Beispiel lässt er geriebene Mandeln in Sahne ziehen und füllt dies ohne vorheriges Passieren in die Espumaflasche. Wer das jemals probiert hat, weiß, dass aus dem Sahnebläser hierbei überhaupt nichts herausgespritzt kommt, weil die geriebenen Mandeln sofort das Ventil verstopfen. Das Rezept funktioniert, aber nur nach dem Passieren, oder unter Verwendung von feinst gemahlenen Mandeln.

 

Auch das Rezept für „Tomaten-Butter-Paprikagelee“ wird sich als garantierter Lusttöter erweisen: Suter/Antoniewicz fordern, den mit Agar Agar gelierten Saftmix bei 90° im Backofen zu erwärmen. Agar-Gelifikationen sind aber nur bis 80° temperaturbeständig, mit den 20 g Butterschmalz (Ghee) im Rezept sogar nur bis ca. 73°. Bei 90° zerfließt alles zu einer wenig erotischen Matschepampe.

 

An anderer Stelle behauptet Suter, Antoniewicz habe die Rezepte „auch mit weniger aufwendigem Küchengerät herstellbar gemacht“. Eine Seite später schon verschweigen sie beide beim Rezept „Minichapaties mit Curryblätter-Zimt-Kokosöl-Essenz“ jegliche Alternative zum 4.000 bis 6.500 Euro teuren Rotationsverdampfer

 

Fazit: Eine gähnend routiniert-kühl erzählte, mit viel zu viel Randschwurbeleien aufgeblasener Tamilenküchenspehrifikation mit Weltverbesserungsluft an Hormonschäumchen. Einzig die handfesten Currys von „Der Koch“ sind brauchbar, was nicht wundert, sind sie doch Camellia Panjabis Indienbibel „Currys - Das Herz der indischen Küche“ entnommen. Der neue Suter ist eine buchgewordene Churaa-Varai-Sphere: kurz ganz nett, im Mund schnell spektakulär zerplatzt, mit penetrant fischigem Nachgang.

 

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Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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