Hugh Johnson; Jancis Robinson

Der Weinatlas

kochbuch

Der Weinatlas
Hugh Johnson; Jancis Robinson:
"Der Weinatlas"
Erscheinungsjahr: 2008
400 Seiten
Keine Rezepte
69,90 EURO
ISBN: 9783833812194

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Der Weinatlas Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Hugh Johnson ist so etwas wie der „Erfinder der Weinliteratur“. Seine Sprache und sein Umgang mit den edlen Tropfen haben eine ganze Generation von Weinkritikern und Connaisseuren geprägt. Seine Bücher „Der Große Johnson“, vor allem aber der praktische „Der Kleine Johnson“ wurden zu Klassikern, die die Weinwelt nachhaltig verändert haben. Jetzt legt der Hallwag Verlag die 6. Auflage von Johnsons erstmals 1971 erschienen Klassikers „Der Große Weinatlas“ (Originaltitel: "The World Atlas of Wine") vor.  Guter Zeitpunkt also, das Werk auf etwaige Altersschwächen zu untersuchen.

 

Diese Auflage des Weinatlas ist die zweite, die von Jancis Robinson vollständig überarbeitet und aktualisiert wurde, da der gute, alte Mr. Johnson nun doch langsam in Jahre kommt. Nach kurzem Einlesen wird schnell klar, dass dies eine gute Wahl war. Auch wenn der Altmeister eine geschliffenere Sprache und eine unnachahmliche, britische Mischung aus Vornehmheit und leichter Ironie pflegt, so passt Robinsons Schreibstil ausgezeichnet zum dem des Halbruheständlers und schmilzt perfekt mit den vorherigen Auflagen zusammen. Mehr als dies: Diese Zusammenarbeit modernisiert das Werk auf ganz ausgezeichnete Weise. Was die Wein-Kompetenz angeht, so bewegen sich die beiden sowieso in etwa auf dem gleichen, hohen Niveau.

 

„Der Große Weinatlas“  ist, genau genommen, zwei Bücher in einem: einerseits ein Grundkurs über Wein, Weinanbau und -geschichte und andererseits – das ist der wesentlich umfangreichere Teil – ist es ein Atlas der wichtigsten Weinbaugebiete der Erde.

 

Der erste Teil gehört fraglos zu den besten Weinbüchern am Markt. Mit großer Kompetenz werden hier praktisch alle wesentlichen Aspekte ums Thema Wein abgehandelt. Wer einige Weinbücher gelesen hat, kann erahnen, wie schwierig es ist, eine derart gute Mischung aus essentiellem Basiswissen und interessanten Details zu erarbeiten. Die Autoren gleiten nie in Oberflächlichkeit oder allzu trockene Fakten ab und schaffen es souverän, Grundlagen mit aktuellen Wein-Neuigkeiten zu verknüpfen.

 

Neue Weinwelten in China und Kanada

 

Altersschwäche? Keine Spur! Das Buch ist geradezu beeindruckend aktuell, denn die Weinwelt hat sich in den letzten Jahren wahrlich schell gedreht. Dennoch ist es dem (übrigens überwiegend weiblichen) Team um Jancis Robinson mühelos gelungen mit den vielen Veränderungen Schritt zu halten. Themen wie ‚Klimawandel‘ oder neue, unbekannte Weinanbaugebiete in China und Kanada werden ebenso behandelt, wie Veränderungen in den Weinherstellungstechniken. Die doch ziemlich in die Jahre geratenen Illustrationen meiner 1985er Ausgabe wurden längst durch moderne Illustrationen ersetzt und durch hochwertige, oft Fernweh hervorrufende Fotos ergänzt.

 

Auch die folgenden, kompakten Kapitel zu Themen wie Rebsorten, Wetter, Terroir, Weinlagerung, Flaschenverschlüsse oder Weinentwicklung sind meist sehr kompetent und gut verständlich erklärt, souverän auf den Punkt gebracht, und nur selten gleiten die Autoren ins Geschwätzige ab. Kontroverse Themen, wie zum Beispiel der Einsatz von Holzchips, werden dabei mit britischer Zurückhaltung kommentiert.

 

Wer hier nach Fehlern sucht muss sich schon sehr anstrengen. Na gut, ob man eine 82er Flasche Petrus nun unbedingt freihändig mit einem einfachen Zugkorkenzieher öffnen muss, wie Frau Robinsson dies hier für den Fotografen gemacht hat, sei dahingestellt. Und darüber, ob ein edler Tokajer mit 5-6° C nicht etwas zu kühl kredenzt ist, wie dieses Buch das empfiehlt, lässt sich sicher genau so hervorragend streiten, wie über die Empfehlung, Wein bei Bedarf in der Microwelle zu erwärmen.

 

Bei den lagerfähigen Weißweinen wurden Madeira und Sherry vergessen, und ein „Colheita Madeira“ wird nach meinem Wissen auch nicht nach 5 Jahren auf die Flasche gefüllt, sondern in der Regel nach 6 bis 10 (und ursprünglich sogar erst nach 12 bis 18 Jahren). Geschenkt! Nein, so sehr ich auch nach Fehlern suche, das Buch strotzt nur so vor Sorgfalt, Vollständigkeit und „britischer Correctness“. So sehr, dass die Bezeichnung „Plastikkorken“ anstelle des korrekten „Silikon- oder Polyethylenkorkens“, schon richtig auffällt.

 

Weine entlang der Höhenlinien

 

Doch der erste, gerade mal fünfzig Seiten umfassende Teil, stellt nur ein Achtel des umfangreichen Gesamtwerkes. Der eigentliche Hauptteil ist der Weinatlas. Dieser besteht aus, je nach Bedeutung und Größe der Gegend, unterschiedlich detaillierten Beschreibungen des jeweiligen Weingebietes. Dabei wird jede Appellation durch Text, eine detailreiche Karte mit Erzeugern, Höhenlinien und Ortsbezeichnungen, sowie einigen Fotos und Weinetiketten, der besten Weine der Gegend charakterisiert.

 

Und damit wären wir auch schon bei dem wohl strittigsten Punkt des Buches angekommen, denn diese Etikettenauswahl polarisiert ganz enorm. Ich will ein paar Beispiele nennen: So fehlt im Kapitel Rioja der Urvertreter der Gegend, „La Rioja Alta“, oder im portugiesischen Setúbal sucht man vergeblich die Erzeugnisse der Familie Fonseca – einer der wichtigsten Erzeuger überhaupt. Pardon, Jancis, aber das ist ein echter faux pas!

 

In Stellenbosch vermisse ich den landestypischen „Kanonkop“ (Prachtausgabe der Urrebe Südafrikas: Pinotage), genau wie den „Thelema“, oftmals ein richtig großer Wein. Im Napa Valley fehlt der einzigartige „Dominus“, während man im Clare Valley den gewaltigen „The Armagh“ oder den zum Kultwein avancierten „The Dead Arm“ aus dem australischen McLaren Vale vergeblich sucht. Ob dafür Weine wie der „Clos Fourtet“ nun unbedingt das heilige St. Emillon repräsentieren müssen, wage ich zu bezweifeln.

 

Davon einmal abgesehen, setzt sich auch in diesem Teil des Buches die große Sorgfalt, Kompetenz und Aktualität fort. Anekdötchen aus der jeweiligen Gegend, Geschichtliches, sowie neuste Entwicklungen – alles fließt mit ein und vermittelt schnell ein äußerst facettenreiches Bild des Landstriches.

 

Es treibt einem fast die Tränen in die Augen, wenn man sich die Arbeit vorstellt, die in diesem Buch steckt. Da versucht tatsächlich jemand die gesamte Weinwelt „nachschlagbar“ zu machen. Dazu noch solide recherchiert. Ein echter Anachronismus in Zeiten von „Gary Vaynerchuk“ und „Wikipedia“. Chapeau!

 

Der „Der Große Weinatlas“  wird nie oberflächlich, Die Informationen sind wohl dosiert und gut geschrieben. Dennoch drängt sich mir zum Schluss die Frage auf: wer liest so einen Weinatlas eigentlich? Auch ich, der  ­– ich gebe es zu – sogar diverse Auflagen des „Kleinen Johnson“ von vorne bis hinten durchgelesen habe, komme jedenfalls irgendwann an den Punkt, an dem ich kapitulieren muss. Noch ein Berg und noch ein Boden­­­ – es ist ein bisschen wie eine Städtereise mit zu vielen Kirchenbesichtigungen.

 

Nein, ein Lese-Buch ist der Atlas gewiss nicht. Dafür aber ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk. Verlässlich, annähernd perfekt. Vielleicht ist es gerade diese Perfektion, die das Buch ein wenig blutleer erscheinen lässt. Doch braucht  man einen 70 Euro-Weinatlas überhaupt? Schwer zu sagen, ob man einen Atlas der Weinregionen der Welt wirklich braucht – auf jeden Fall ist er ein Schatz an Weininformationen, und man muss das Buch ja nicht ganz durchlesen. Darüber hinaus macht es sich auch hervorragend auf dem Coffee-Table.

 

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Rezensent

Frank Papenbroock

Frank Papenbroock

Werbe- und Dokumentarfilmer, Vater vierer Töchter, Wochenendkoch und Freizeitmaler. Er liebt Wein, seitdem er eine 1959er Maximin Grünhäuser Herrenberg Auslese getrunken hat - und das ist schon mehr als 20 Jahre her.


frankpapenbroock.com