Ludger Fischer

Kleines Lexikon der Küchenirrtümer

kochbuch

Kleines Lexikon der Küchenirrtümer
Ludger Fischer:
"Kleines Lexikon der Küchenirrtümer"
Erscheinungsjahr: 2009
240 Seiten
keine Rezepte
14,95 EURO
ISBN: 978-3821857008

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
Kleines Lexikon der Küchenirrtümer Bewertung: 2 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Cola zersetzt Fleisch, Knoblauch leidet beim Pressen, Muscheln isst man nur in „R“-Monaten – die Liste der Küchen(Un)Weisheiten ist länger als die Garzeit eines ganzen Ochsen am Spieß. Jetzt gibt es sogar ein „Lexikon der Küchenirrtümer“. Doch selbst das irrt sich dauernd.

 

Angesichts des ständig breiter quellenden Quarks an Viertelwahrheiten, der aus den Ritzen der TV-Geräte während der immer mehr Sendeplätze besetzenden Kochshows in die Heim&Herd-Hirne spritzt, ist es im Grunde gar keine so schlechte Idee, mal in einem großen Rundumschlag mit all dem Quatsch aufzuräumen. Doch auch das aktuelle „Kleines Lexikon der Küchenirrtümer“ bringt wenig Klarheit in die finsteren Abgründe zwischen Spüle und Kühlschrank.

 

Das ist schade, denn das Buch tritt mit eben diesem Anspruch an, lexikalisch von A wie „Aufgetautes Fleisch darf man nicht wieder einfrieren“ bis Z („Zusatzstoffe müssen nicht sein“) über die kleinen und großen Irrtümer in der Alltagsküche aufzuklären. Ein Anspruch, für den der Autor Ludger Fischer trotz der Simulation von Wissenschaftlichkeit mittels eines mehrseitigen Fußnotenanhanges ein bisschen besser hätte recherchieren müssen. Denn dass Eischnee auch fest geschlagen werden kann, wenn ein bisschen Eigelb ins Weiss getropft ist, das Soufflé nicht zusammenfällt, wenn die Backofentür kurz geöffnet wird, Reis auch ohne Kochbeutel nicht anbrennt und das Fleisch von „Salzwiesenlämmern“ zwar kräftig schmeckt, aber gewiss nicht „vorgesalzen“ ist – dafür braucht heute niemand mehr ein Aufklärungslexikon.

 

Fischer, ein studierter Politikwissenschaftler und Kunsthistoriker mit gelegentlichem Hang zum Selberkochen, zitiert ständig aus dubiosen Internet-Foren, und schmeißt pseudo-empirische Selbstversuche, zufällige Fundstücke seines weitmaschigen Recherche-Schleppnetzes, Beobachtungen aus dem Bekanntenkreis und viel zu selten tatsächlich wissenschaftlich verifizierte Studien in seinen großen Vorurteilseintopf. Den rührt er solange um, bis auch der aufmerksamste und in Kochfragen gut vorgebildete Leser nicht mehr weiss, ob er diesem Kompendium trauen kann oder nicht.

 

„Fleisch muss quer zur Faser geschnitten werden“ ­– eine Regel, die Fischer mit einem angeblichen Selbstversuch an acht unterschiedlich zugeschnittenen Schnitzeln falsifizieren will. Er stellt nach dem Braten „Flüssigkeitsverluste“ zwischen 16 und 18 Prozent fest, also sei der Zuschnitt irrelevant. Zu gern hätten wir erfahren, mit welchem Messverfahren in der  Schulze-Hobbyküche gearbeitet wurde, wenn er solch vermeintlich exakte Ergebnisse vorgibt.

 

Dass Fleisch entgegen des alten "Biskin"-Werbespruches natürlich keine „Poren“ hat, weiss längst jeder regelmäßig Kochende – spätestens seit unserem "perfekten Steak"  samt Video . Wenn es Poren hätte, würde das Tier in der Pfanne noch leben, und das wäre nicht gut für Tier, Mensch und Renommee des Koches. Vielleicht hatte Fischer ja einfach nur mieses deutsches "Jungbullen"-Fleisch in seiner Pfanne.  Schließlich hetzt er anderenorts in dem Buch gegen Bio-Produkte – und selbst die von den Bauernverbänden als großen Zuchterfolg beworbene Tatsache, dass heute Schweine mit zwei Rippen (und damit vier Koteletts) mehr als früher gezüchtet werden, negiert er schlichtweg.

 

Kein Wunder also, dass Fischer, wie im Kapitel „schrumpfende Koteletts“, keine Zuschnitt-Unterschiede erkennen mag, wenn er doch meist nur auf billigem PSE-Supermarktfleisch herumbrät. PSE, das immerhin erfährt man in dem Buch, steht für blass („pale“), weich („soft“) und wässrig („exudative“ – was aber treffender mit „ausschwitzend“ übersetzt wäre).

 

Und so häuft der Autor beim Versuch, überkommende Fehlweisheiten aufzuklären, immer mehr eigene Irrtümer auf. Er bestreitet Geschmacksunterschiede bei verschiedenen Salzsorten, wäscht seine Pilze im stehenden Wasser, bis sie wie feuchter Pappdeckel schmecken, presst seinen Knoblauch, auch wenn der seinen Geschmack behalten soll  (Zerquetschen ist kein Problem, wenn das Aroma in die umgebenden Zutaten inkorporiert werden soll – aber diesen Unterschied kennt Fischer nicht).

 

Der Mann scheint nicht nur kein Interesse am bewussten Besseressen zu haben, er hat offenbar auch an Industriefutter einen Narren gefressen. Je länger man sich durch Fischers borniertes Büchlein quält, um so häufiger fällt auf, wie fanatisch er gegen selbstgemachte Marmelade wettert, Konservierungsstoffe und Bestrahlung dagegen super findet.

 

Dahinter steckt eine Küchenweisheit, die noch nicht entkräftet wurde: Wes Brot ich ess, des Buch ich schreib. Ludger Fischer arbeitet im Hauptberuf als „Politikberater in Brüssel“. Er ist einer der umtriebigsten Lobbyisten der mittelständischen europäischen Lebensmittelhersteller. Sein Co-Autor, der Schweizer Koch Sandro Bedin, arbeitet bei der Supermarktkette Migros  in Züricher als „Leiter Foodentwicklung“.

 

Gute Gelegenheit also, das Buch an einen Vertreter seiner Kernzielgruppe (also an einen Reisanbrennlasser)  zu verschenken, und an dieser Stelle auf ein schönes Kochmonster-Thunfischrezept zu verweisen. Da scheint es keine Irrtümer zu geben, finden sich im Fischer-Machwerkregister doch über 40 Einträge zu „Fleisch“ und nur einer zu „Fisch“: „Fischstäbchen“.

 

Dieses Buch bei Amazon kaufen

Rezensent

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
www.kochtext.de