Rehschulter mit Muskatkürbis und Portweinquitten

Hauptgericht für 4 Personen von Peter Wagner

Rehschulter mit Muskatkürbis und Portweinquitten

Das modernste Fleisch unserer Zeit kommt aus dem Wald: saisonal, regional, kaum Fett, saugesund – und die Tiere sterben ohne Schlachtstress. Dass dennoch so wenig Wild gegessen wird, liegt an alten Vorurteilen. Die hauen wir weg – mit dieser Rehschulter.

 

 

Wildbret gilt als besonders zartes Fleisch, es ist magerer als Kalb (maximal drei Prozent Fett), und die Muskeln werden durch das Leben in der freien Natur viel stärker bewegt. Es enthält vergleichsweise wenig flachsiges Bindegewebe, und seine Kollagene zersetzen sich viel schneller und bei niedrigeren Gartemperaturen als beim Rind. Außerdem ist der Anteil der oxidativen „roten“ Muskelfasern höher als bei Schlachttieren, was zu niedrigeren Scherenkräften innerhalb der Faserbündel und dadurch zu generell weicherem Fleisch führt.

 

Allerdings werden die dafür geeigneten Wild-Teile wie Rücken oder Filet beim Kurzbraten in der Pfanne, Pochieren, Dämpfen oder Sanftgaren im Backofen (Sous Vide ist bei Wild nicht zu empfehlen) trotz der besseren Wasserhaltefähigkeit zwar zart, subjektiv aber nicht saftiger. Denn dafür fehlt das intramuskuläre Fett. Festfasrige, bindegewebsreiche – und damit automatisch auch saftigere – Stücke wie Haxe, Brust oder Hals brauchen längere Garzeiten und höhere Ofentemperaturen und sollten möglichst in aromatischen Flüssigkeiten mit einem etwa gleich hohen Anteil an Säuren und Zuckerstoffen gegart werden – ideal ist eine Mischung aus Portwein, sehr trockenem Rotwein und Wildfond.

 

Im Sommer kann Wildfleisch auch auf den Grill kommen, beliebt sind Steaks vom Hirsch und Koteletts vom Wildschwein. Leider werden die mageren Fleischteile beim Grillen schneller trocken als es die Fleischhygiene erlaubt: Der „aid-Infodienst“ des Ernährungsministeriums empfiehlt mindestens zwei Minuten bei 70°C Kerntemperatur, das Bundesinstitut für Risikobewertung sogar 10 Minuten bei 80°C. Eine geschmorte Rehkeule kann bei 75°C noch herrlich saftig sein, Steaks sind dann aber ein Fall für den Schuster.

 

Andererseits servieren Sterneköche gerne innen fast noch kaltes, blutig kurzgebratenes Wildfilet oder rohes Carpaccio vom Rehrücken – bei absoluter Frische und korrektem Jagd-Handling kein Problem für alle, die auch rohes Schlachttierfleisch wie zum Beispiel Rindertatar essen dürfen. Andererseits finden sich im Fleisch von Wildtieren unter drei Jahren Alter deutlich mehr Purine als in dunklem Fleisch von Rind und Schwein, was den Harnsäurespiegel im Blut ansteigen lässt und zu Gicht führen kann.

 

Wildfleisch wird heute nicht mehr „in der Decke“ abgehängt, sondern ohne Fell in gut belüfteten Kühlschränken bis zu 16 Tage trocken gereift, was vor allem bei Tieren über zwei Jahren zu deutlich zarteren Küchenergebnissen führt. Jüngere Exemplare brauchen nur drei bis vier Tage Reifungszeit. Portioniert gekauftes Wildfleisch sollte leicht metallisch schimmern, es ist dunkelrot, an der Oberfläche nicht schmierig, hat eine kernige Konsistenz und riecht würzig bis leicht säuerlich.

 

Hirschhirn für die Jägerkinder

 

Bei Hirsch, Reh und Gams kommen die Innereien wie Hirn, Zunge, Leber, Herz und Nieren so gut wie nie in den Handel, sie werden fast nur in den Jägerfamilien zubereitet. Weitaus beliebter ist der Rücken als Braten im Ganzen oder in Kurzbrat-Medaillons geteilt, sowie die innen liegenden besonders zarten Filets. Der Hals/Nacken („Träger“) kann zwar im Ganzen geschmort werden, landet aber meist im Gulasch. Klassische Schmorstücke sind die Schulterblätter (ausgelöst auch als Rollbraten), die für Hackfleisch und Sülzen, den Grill, oder entbeint und gerollt zum Schmoren benutzten Rippchen, sowie die Keule.

 

Auf jeden Fall braucht wirklich frisches Wildfleisch heutzutage kein Beizen oder Einlegen in Essig oder Buttermilch mehr, außer es dient dazu, die traditionellen Wild-Aromaten wie Lorbeer, Wacholder, Piment oder Nelken tiefer im Fleisch zu verankern. Ebenfalls ist das früher übliche Spicken und Bardieren mit Speck aus der Mode gekommen, weil die Fleischzellen dieses Fett nicht aufnehmen und damit saftiger werden. Im Gegenteil: Das Fleisch verliert durch die Spicklöcher noch mehr Flüssigkeit. Auch das Umwickeln mit dünnem Speck entzieht dem Fleisch eher Feuchtigkeit (Ausnahme: Wildgeflügel mit Haut), weil sich bei direktem Braten in der Pfanne die äußerste Schicht nicht schließen kann und unter der Speckhülle Saft austritt.

 

 

Der in diesem Rezept verwendete komplette Vorderlauf ist im Vergleich zu Rücken und Keule ein in deutschen Schmortöpfen sehr selten gesehenes Körperteil. Völlig zu Unrecht, denn die Schulter („Blatt“) zusammen mit der kompletten Haxe gart ja an der maximal möglichen Knochenlänge – und am Knochen schmeckt das Fleisch bekanntlich am besten. Wir reichen saisonal passend ein Püree aus Butternutkürbis und tagelang in Portwein marinierte Quitten anstelle der im Vergleich eher langweiligen Rotweinbirnen dazu. Waidmannsheil!

 

© 2016 Peter Wagner/kochtext
Vorbereitungszeit: 1 Stunde
Wartezeit: 62 Stunden
Zubereitungszeit: 3 Stunden
Level: chef de partie
Zubereitungsart: sequentiell

Zutaten

Rehschulter
2 Rehblätter mit Haxen
1 TL Pfeffer, bunt, frisch gemahlen
1 TL Pimentpulver
3 Lorbeerblätter
6 Wacholderbeeren
3 Gewürznelken, ganz
500 ml Rotwein, trocken
50 ml Rotweinessig
1 Zwiebel
1 Karotte
1 Stange Lauch
2 Stangen Sellerie, Stange
50 g Fenchelknolle
3 EL Traubenkernöl
400 ml Wildfond
1 Prise Salz
1 Spritzer Sherry, trocken
Portweinquitten
2 Quitte, frisch
0,25 Zimtstange
1 EL Zimtblüten
6 Gewürznelken, ganz
4 Kardamomkapsel
1 Stange Pipalpfeffer
400 ml Portwein, rot
2 EL Rohrzucker, braun, roh, unraffiniert, mittelgrob
Kürbispüree
1 Butternutkürbis
50 ml Orangensaft
1 TL Meersalz, fein
2 EL Kürbiskernöl
1 Prise Muskatnuss, frisch gerieben

Wein-Tipp

Wageck/Pfaffmann 21014 Goldberg

Spätburgunder ist und bleibt die ideale Traube zum Wild, leider sind die Flaschenpreise für gute Weine aus dieser Sorte in den letzten Jahren ziemlich durch die Decke gegangen. Hilft nichts, denn kein Billig-Pinot könnte unser Reh so würdig begleiten wie die beiden sehr unterschiedlichen Gesellen, die wir dazu tranken: Die Lage „Goldberg“  wirft nur alle paar Jahre – zuletzt 2014 – in niedrigen Erträgen den ausgesucht edlen und hochkonzentrierten Spätburgunder ab, den Thomas Pfaffmann vom Randpfälzer Weingut Wageck/Pfaffmann in französischen Barriques zu einem international gesuchten Spitzenwein ausbaut.

 

Cantina Terlan „Monticol“ Pinot Nero DOC Riserva 2014

Nicht minder in der ganz oberen Spielklasse ist der Cantina Terlan „Monticol“ Pinot Nero DOC Riserva 2014 (früher als „Montigl“ im Handel)  zu Hause – die Südtiroler bauen den Pinot Nero, wie der Spätburgunder hier heißt, auf 500 Meter Höhe an und vinifizieren ihn nur teilweise im kleinen Fass zu einem eleganten Kirschfrucht-Spaß mit leichten Röstnoten und einer feingliedrigen Tanninstruktur. Wer statt 28 bzw. 23 Euro nur einen Zehner ausgeben möchte, kann auf den „kleinen Barolo“ Rorero aus der typischen Nebbiolo-Traube zurückgreifen – gut geeignet wäre der würzige Enrico Serafino Roero Rosso DOCG 2013

Musik-Tipp

Während der drei Stunden Schmorzeit der Rehschulter gönnen wir uns mal was so richtig Edles auch für die Ohren: Kurz vor seinem tragischen Tauchunfalltod 2008 äußerte der Ausnahme-Jazzpianist Esbjörn Svensson im Proberaum die Idee, die Musik seines Trios irgendwann einmal zusammen mit einem klassischen Orchester zu spielen – dieser Traum ist mit der CD „E.S.T. Symphony“ (ACT) nun in Erfüllung gegangen: Die verbleibenden Triomitglieder Dan Berglund und Magnus Öström haben zusammen mit ein paar Jazzkollegen wie Iiro Rantala, Johan Lindström und Marius Neset, vor allem aber mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchester unter der (auch als Gesamt-Arrangeur) Leitung von Hans Ek die teilweise noch von Svensson mitkomponierten Stücke zu einer elegisch-ekstatischen Sinfonie zu Ende entwickelt. Weltweit eines der wichtigsten Jazz-Projekte dieses Jahrzehntes.

Zubereitung

 

Rehschulter

Drei Tage vorher die Rehblätter gut abwaschen, trocken tupfen und das äußere sichtbare Bindegewebe entfernen.

 

 

Ringsherum mit Pfeffer und Piment einreiben und 1 Stunde ziehen lassen. Restliche Zutaten miteinander kurz aufkochen, vom Herd nehmen und 1 Stunde ziehen lassen, durch Feinsieb abschütten. Reh mit dieser Marinade entweder straff vakuumieren oder in großer Tüte ohne Luft verknoten. 3 Tage im Kühlschrank marinieren.

 

 

Aus der Marinade nehmen, abseihen, Marinade bereit halten. Fleisch in einen großen Bräter (oder tiefes Backblech) geben und bei 80°C Ofentemperatur (keine Umluft) langsam erwärmen. In der Zwischenzeit Karotte, Lauch, Zwiebel, Sellerie und Fenchel putzen bzw. häuten, klein schneiden und mit dem heißen Öl in großer Pfanne scharf anbraten. Mit der Marinade und dem Wildfond (Tipp: Wildhändler nach Knochen fragen und Fond selber herstellen) löschen, kurz aufkochen und zum Reh geben.

 

 

Ofentemperatur auf 110°C erhöhen und langsam zart garen (2-3 Stunden). 15 Min. vor Gar-Ende Fleisch entnehmen und auf Backblech in den Ofen zurück legen. Bräterinhalt im Mixer oder mit Zauberstab glatt pürieren und durch Feinsieb passieren. Diese Sauce mit Sherry und Salz abschmecken und warm halten.

 
Portweinquitten

Drei Tage vorher Pipalpfeffer und Zimtstange im Mörser grob mörsern, zusammen mit den restlichen Gewürzen in unbeschichteter Sauteuse erhitzen, bis leichter Rauch aufsteigt. Mit dem Portwein ablöschen, aufkochen und vom Herd ziehen. Quitten schälen, quer vierteln und mit scharfem Messer die Kernhäuser entfernen (Achtung: Verletzungsgefahr - das Fruchtfleisch ist extrem hart). Quitten in den Gewürzwein geben, abkühlen

 

 

und entweder straff vakuumieren oder ohne Luft in Gefrierbeutel verknoten. Im Kühlschrank 3 Tage marinieren.

 

1 Stunde vor dem Servieren Quitten und Marinade in schmalen Topf geben. aufkochen und die Quitten bei niedriger Temperatur langsam bissfest kochen (ca. 20-30 Min.) Noch heiß servieren.

 

Kürbispüree

Butternutkürbis schälen, entkernen und in Längsachtel schneiden, danach in kleine Stücke (ca. 2 cm.) Mit den restlichen Zutaten (nicht an der Muskatnuss sparen) vermengen und im Kombidämpfer weich dämpfen (alternativ: auf Dämpfsiebeinsatz im Wassertopf). Direkt vor dem Servieren durch eine Kartoffelpresse pressen.

 

Anrichten

Rehschulter entweder in der Küche tranchieren und die Teller damit und mit den anderen Komponenten anrichten & servieren. Oder  (zünftiger) am Tisch mit Filetiermesser tranchieren, Fleisch verteilen. Sauce (in Sauciere), Portweinquitten und Kürbis zum Selbernehmen anbieten.

 

Dazu passt auch unser „Perfekter Rotkohl“ 

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
www.kochtext.de

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