High Cuisine in Binz

Oktopus-Amuse von Oliver Pfahler

Jetzt mit Stern

 

Kaum etwas hat zur sprunghaften Entwicklung von Binz zur Gourmethautstadt Rügens so viel beigetragen, wie die Entscheidung der Hotelkette Private Palace, den Sternekoch Oliver Pfahler für das schick renovierte Gourmetlokal „Rugard‘s Gourmet“ im First Class Rugard Strandhotel zu verpflichten. Pfahler, seit April 2014 neuer Maitre de Cuisine, konnte bereits in seiner letzten Station, dem Seehotel Töpferhaus am Bistensee einen Michelin-Stern erkochen. Außer dem Hamburger "Atlantic" und dem Schloss Lütgenhof in Dassow waren so gut wie alle beruflichen Stationen dieses Ausnahmekoches besternt: Kleines landhaus Timmendorfer Strand (*), Schlosshotel Friedrichsruhe (**), Le Canard Hamburg (* teilweise unter Josef Viehhauser) und das Haerlin im Hamburger Vier Jahreszeiten (damals *, heute **). Im November 2015 schon folgte die Belohnung: der Michelin-Stern für Oliver Pfahler in Binz!

 

 

 

 

Pfahler ist bekannt für seine klassische französische und zugleich modernen Methoden sehr aufgeschlossenen Küche, die er in Binz durch regionale Zutaten und Gerichte bereichert. Zum Rugard’s geht es mit dem Fahrstuhl hoch in den fünften Stock, den herrlichen Panoramablick auf die Ostsee gibt es gratis.

 

 

Auf's Haus gibt es auch so Einiges, wenn man (natürlich mit Reservierung) eines der erwähnenswert fair gepreisten Menüs genießt – drei Gänge 59 €; fünf 79 € und acht 119 €. Das beginnt schon mit dem noch ofenheißen Brot. Die wunderbar weichen Teiglinge sind mit Hilfe von Rote Bete und Karotte interessant coloriert:

 

 

Gleich bein allerersten Küchengruß wird sofort klar, dass Pfahler auch in Binz wieder voll auf Sternenkurs ist. Aufgeschnittene Eierschalen haben wir schon oft als Gefäß für Süßes oder Herzhaftes bekommen, bei Pfahler aber ist sie glanzschwarz lackiert...

 

 

...und mit einer unglaublich schmackigen mehrschichtigen Komposition aus Kabeljau, Kaviar und Blumenkohl gefüllt. Davon hätten wir sofort einen Zehnerkarton verputzen können. Auch die flüssige Begleitung ist absolut stimmig: Der erwähnenswert kundige und freundliche Restaurantleiter und Sommelier Thomas Arndt reichte uns zum Ei den Sancerre AOC "L'Ancienne Vigne" – ein, wie er betonte, "absoluter Spitzen-Sancerre dank uralter Rebstöcke."

 

Den trinken wir gern auch zum zweiten Amuse. Das Carpaccio vom Oktopus

 

 

 

ist mit Zugabe von Kapern, Chorizo und Pinienkern in verschiedenen Texturen würdig mediterran begleitet.

 

Für die Terrine von der Gänseleber benutzt Pfahler ein rotes Spezialsalz, das ihm der Ex-Dreisterner Dieter Müller besorgt hat. Die foie gras schmilzt nicht nur pflichtgemäß und perfekt am Gaumen

 

 

– sie ist auch geschmacklich ungemein interessant flankiert von der herben Süße des Sorbets vom Grünen Apfel, dem selbst gebackenen Brioche und der dezenten Rauchnote der Rauchaalcreme.

 

 

Der nächste Gang ist dann auch schon nicht nur unser absoluter Pfahler-Favorit, sondern sogar der beste Teller, den wir auf unserer gesamten Binz-Gourmetreise serviert bekommen haben: Die Getauchte Jakobsmuschel

 

 

 

ist nicht in irgendeine Sauce getaucht, sondern bekommt ihren Namen von der Fangmethode. Diese Muscheln werden nicht wie sonst üblich mit Schleppnetzen den Meeresböden entrissen, sondern tatsächlich von Tauchern nach oben gebracht. Die Qualität des Muschelfleisches ist unübertreffbar, doch Pfahler setzt mit seiner Garnitur hier sogar noch kräftig einen Drauf: Olivenerde und Kapern sorgen für mediterran-herzhafte Kraft, Estragonmayonnaise für grüne Cremigkeit, aber das Spannendste ist die Bitternote der gleich in drei Texturen verwendeten Babyartischocke: als klarer Sud unten im Teller, als nur kurz blanchierte Poweradentanchen auf der Muschel und – der Hammer – als transparente Gelifikations-Folie, die diese Komposition überspannt. Da haben wir bei manchem Zweisterner schon weitaus uninspiriertere Kreationen bekommen.

 

Der Gang gefiel uns denn auch so gut, dass wir Oliver Pfahler das Rezept herausleiern mussten – demnächst auf diesem Kochmonster...

 

Noch immer den interessanten Bittergeschmack am Gaumen, erzählen wir den Pfahlerabend rasch zu Ende: Das Kalb aus dem Piemont ist bei 58 °C Sous Vide zum Zartheitsweltmeister gegart

 

 

und mit Buchenpilzen, einer hellen Jus und Texturen von der Topinambur mild begleitet. Klingt fast ein bisschen langweilig, weswegen Pfahler seinen Klasse-Service am Tisch auch noch Schnee von der gefrorenen Entenleber über die Teller reiben lässt, was dem Gericht einen ungeahnten Pfiff verleiht.

 

Das Dessert ist schlicht mit Schokoriegel betitelt

 

 

 

und auch die weiteren Komponenten Schokoladensand, Himbeersorbet und Schoko- Ingwer-Sauce sind allesamt zwar sehr schmackhaft, zeigen aber auch, dass eine personelle Verstärkung des Küchenteams mit einem gelernten Patissier dem Restaurant die für einen Sternerang vielleicht noch letzte offene Frage beantworten würde. Dann nämlich wären auch die Petit four

 

 

 

nicht nur auf nordische Art präsentiert, sondern auch inspirierter komponiert.

 

Was am Ende des Dinners natürlich nur noch mehr Vorfreude auf den nächsten Besuch schürt, denn Oliver Pfahler kocht schon jetzt, mit nur einem Beikoch und in einer technisch deutlich aubaufähigen Kochzelle ("Küche" wäre ein viel zu großes Wort) wie einer der ganz, ganz Großen des Landes.

 

 

 

Freistil im Freustil

 

Im November 2009 bekam das Ostseebad mit Ralf Haug seinen ersten Sternekoch. Dieser kochte zunächst in der „Nixe“, inzwischen im eigenen RestaurantFreustil“ im Hotel Vier Jahreszeiten, das 2013 mit einem Michelin- Stern ausgezeichnet wurde. Im Freustil steht Haug für eine naturnahe Avantgarde, die sich der regionalen Produkte ohne dogmatische Einschränkungen bedient. Der Küchenchef

 

 

nennt seine innovative Küche „nordic nature cuisine“ und räumt allen Dingen auf dem Teller die gleiche Wertigkeit ein. Da liegt die Jakobsmuschel neben Roter Beete und Meerrettich, das Bioland Rind wird mit Schwarzwurzeln und Chips serviert.

 

Überhaupt hat sich Haug nach seinem Wechsel ins Freustil freigekocht von allen möglichen Zwängen. Inzwischen kommt bei ihm auf den Tisch, worauf er und sein Team gerade Lust hatten. Das muss nicht zwangsweise "nordisch" sein, und auch die Befriedigung der Michelin-Tester scheint auf keinem Teller, den wir bei Haug Anfang Mai 2015 gegessen haben, im Mittelpunkt des Kücheninteresses zu stehen. Ebenfalls angenehm unprätentiös ist die (kaum vorhandene) Tischdekoration, hier trifft oft Holz auf Holz ohne störende Leinendecke dazwischen. Das beginnt schon mit dem selbst gebackenen, durch reichlich Rosinen ungewöhnlich süßlichen Starter-Brot:

 

 

Auch die Amuse Geules trägt der Service nicht nach und nach auf, sondern stellt einfach mal alles auf den Tisch: Gurken mit Röstzwiebelmalz, ein Onsen-Ei, dazu Blutwurstravioli mit einer Blumenkohlvariation auf dem großen Feldstein:

 

 

Echte Haute Cuisie, wenngleich stark elsässisch beeinflusst, sind die auf Heu geräucherten Jakobsmuscheln mit einer hautartigen Smörebröd-Dekonstruktion auf rahmigem Kümmel-Spitzkohl mit wunderbar fetten Schweinebauchscheiben:

 

 

Völlig überraschend auch der Fischgang – eine Dashibrühe mit allerlei Asia-Gemüse-Einlage und einer Tranche Rügener Boddenzander in der Mitte:

 

 

Eher aus dem Küchen-Varieté scheint der Fleischgang zu stammen – eine witzige Persiflage auf das typische Steakhausgedeck Salat-Fleisch-Kräuterbutterbaguette: Haug serviert zum butterzarten Steak ein mit aberwitzig vielen und teilweise kaum bekannten Kräutern belegtes Röst-Schwarzbrot und einem gemischten Salat, dem wir gern zehn Prozent der Würzung der ebenfalls gereichten Rinderjus gewünscht hätten.

 

 

Ähnlich diffus ein an dieser Stelle doch ziemlich erklärungsbedürftiger Spargelteller mit teilweise kaum kauberer Rohkost:

 

 

Beim Pre-Dessert findet die Küche aber schnell wieder zu großer Form: Sauerrahm-Mousse mit extrem ausdrucksstarken Kräutern und einem raffinierten weißen Petersilieschnee war

 

 

weitaus überzeugender als der als "Dessert" servierte Teller: Die fast rohe Möhre mit kaum wahrnehmbarer Sanddornfüllung und ein paar Variationen dieser beiden Zutaten wirkt eher wie ein weiteres, experimentelles Pre-Dessert.

 

 

Das ist natürlich alles Mäkeln auf höchstem Niveau – Ralf Haugs ausgeprägt naturnaher Kochstil würde auch noch viel mehr Freistil vertragen, schließlich ist hier ein echter Küchen-Kreativer am Werk.