Québec

Bück Dich! Blaubeerernte in Québec; Foto: Christian Geisler

My Wild Blueberry Valentine

 

In Québec an Kanadas Atlantikküste spricht man ein drolliges Französisch und lebt vier Monate im Jahr mit fünf Meter Schnee. Kein Wunder also, dass die Québeçois beim Essen auf Genuss und Gesundheit gleichermaßen bedacht sind. Beides vereint die wilde Blaubeere, die hier bis zum Horizont wächst. Kochmonster-Redakteurin Gabriele Gugetzer machte endlich mal so richtig blau.

 

Die Landschaft in Québec an Kanadas Atlantikküste ist im Hochsommer von einer einzigen Farbe geprägt: Blau. Einem tiefen, satten Quietscheblau. Blau ist der riesige Himmel, blau ist der gigantische Sankt-Lorenz-Strom, blau sind die Seen und breitärschigen Wasserläufe, und blau sind die Blaubeeren. Als Urahnin unserer Kulturheidelbeere wachsen sie hier wild und, wie es sich für kanadische Größenverhältnisse gehört, über Zehntausende von Hektar.

 

Weil sie geschmacklich mit unserer kultivierten Langweiler-Blauwatte so viel zu tun haben wie eine Walderdbeere mit der ollen Elsanta, ist Deutschland ist neben den USA Hauptabnehmer.

 

Ernte und Weiterverarbeitung, größtenteils rund um den Lac-Saint-Jean, sind ein kurioser Mix aus Heimarbeit und Hochleistungstechnologie. In unzugänglicheren Gebieten oder auf kleinen Feldern wird per Hand mit selbst zurechtgebogenen Rechen geerntet, auf großen Feldern mit modernen Erntemaschinen. Was nicht als Frischware verkauft, getrocknet oder zu Marmelade weiterverarbeitet werden kann, wird binnen 24 Stunden in großen Anlagen tiefgefroren, jede Beere einzeln. Auf diese Weise, so Dr. Wilhelmina Kalt, Forscherin für Agrarprodukte im Auftrag der kanadischen Regierung, "blieben neben dem Aroma auch die gesunden Inhaltsstoffe weitestgehend bewahrt". Vorrangig sind das die Antioxidantien, die, so sagt sie nach zehn Jahren Blaubeerforschung, was man ja auch erst mal durchhalten muss, für die Zellenreparatur besonders wichtig sind.

 

Traceability ist neben der Schnelligkeit der Frostung der zweite wichtige Faktor bei der Verarbeitung. So präzise kann die Charge dem individuellen Blaubeerbauern zugeordnet werden, dass er die nicht verarbeiteten Reste aus seiner Lieferung für die Kompostierung postwendend zurückerhält.

 

 

Von dieser Mischung aus rustikal und technologisiert sind auch die kleinen und größeren Betriebe geprägt, die sich am Kratersee niedergelassen haben. Träumte ich in Oaxaca (Mexico) noch vom Dasein eines Location Scout für Martin Scorcese, würde ich diese Location Claude Chabrol offerieren. Schon auf Grund ihres kulligen Französisch besitzen Québeçois eine leicht durchgeknallte Freundlichkeit, hinter der Chabrols Röntgenblick vielleicht viel freilegen könnte. Immerhin liegt hier mindestens vier Monate fünf Meter Schnee.

 

Wahrscheinlich kommt man dann auf ungewöhnliche Ideen und entwickelt beispielsweise ein Blaubeerpulver, das eine zielstrebige Jungunternehmerin in niedlichen Päckchen als „L’effet bleu“ vermarktet (in Deutschland bislang nur von der Nahrungsmittelindustrie verwendet und in Haushaltsmengen nicht lieferbar). Zum Verfeinern sogar von pikanten Saucen oder als Farbtupfer über Desserts sehr gut geeignet, und dass sich die Antioxidantien bei der behutsamen Herstellung nicht in Luft auflösen, sondern Zellschutz betreiben, versteht sich ja von selbst.

 

Tatsächlich lässt sich mit Blaubeeren sehr viel mehr anfangen, als sie in Joghurt oder Milch zu ertränken. Zu Käse und da besonders zu Ziegenkäse und Blauschimmel passen sie, zu Schwein und dunklem Geflügel schmecken sie auch und selbst mit einer Rotweinsauce harmoniert ihr leicht adstringierender Unterton gut. Da sie wild sind, schmeckt keine wie die andere, weshalb die bevorzugte Art des Verzehrs hier immer noch ist, sie sich einfach Handvoll nach Handvoll in den Mund zu schieben.

 

Christine Lamarche und Normand Laprise, Chefs des Toque! in Montreal

 

Normand Laprise, Inhaber des einzigen Relais&Châteaux in Montréal, dem Toque!, hat exklusiv für das Kochmonster ein elegantes und gleichzeitig fingerabschleckgutes Dessert mit Blaubeeren zubereitet.

 

 

Es funktioniert natürlich auch mit Kulturheidelbeeren. Aber die wilden sind’s halt. Hier erhältlich in der TK-Truhe. Und die Québeçois, die sind letztendlich unheimlich nett.

GABRIELE GUGETZER

 

Normand Laprises Kochkünste waren auch ganz in unserer Nähe zu genießen: Im November 2009 kochte er schon zum zweiten Mal als Gast im Salzburger Ikarus/Hangar 7.