Slow Genuss in der Emilia-Romagna

Fellini, Tellicherry & ein fescher Metzger

Von Gabriele Gugetzer



Zwischen der Touristenhochburg Rimini und der Universitätsstadt Bologna liegt ein eher unbekannter Flecken Erde. Das ist ungewöhnlich, denn eigentlich ist in dieser Region zwischen Emilia-Romagna und Marken jeder Quadratmeter von Foodfans oder Strandsüchtigen schon durchkämmt. Bei einer Entdeckungsreise trifft man einen Metzger, der mit südindischem Tellicherry-Pfeffer arbeitet, man stößt allenthalben auf Fellinis Spuren und, ganz in seinem Sinne, auf einen Käse, der aus „Mythen und Historie“ besteht. Ja, es gibt sie noch, die schönen Dinge...

 

Etwa 90 Kilometer von Bologna entfernt, der kulinarischen und sonstigen Hauptstadt der Emilia-Romagna, perfekt durch ihren Beinamen la grassa (Die Fette) definiert, liegt in Richtung Rimini ein kleiner Flecken Erde. Der Massentourismus wird hier wohl nie Einzug halten, obwohl nicht nur die lieblich-hügelige Landschaft oder die vielen kleinen Theater, meist aus der Barockzeit stammend, eine Entdeckungsreise lohnen. Schon mittendrin im Appenin, mit Blick auf San Marino, bei gutem Wetter auch der Adria, liegt dieser kleiner Landstrich. Hier übt man für den Giro d’Italia, ist Bauer mit kleiner Nutzfläche und ein paar Kühen. Der Rest Italiens kennt diese Landschaft als Wohnort von Tonino Guerra, der für Frederico Fellini und Michelangelo Antonioni einige der wohl bahnbrechendsten Filme des letzten Jahrhunderts schrieb – „Blow Up“, L’Avventura“, „Amarcord“ beispielsweise.

 

 

 

Nach vielen Jahren in Rom und der Cinecittà zog es Tonino Guerra heimwärts. Über ein Vierteljahrhundert lebte er, der von hier stammt, in Pennabilli, einem bergigen Dreitausendseelen-Städtchen, oft besucht von Fellini und seiner Ehefrau Guilietta Masina. Auf den ersten Blick sieht Pennabilli aus wie jedes andere nette italienische Städtchen, aber ein Blick hinter die Kulissen zwischen Kirche (die Autorin glaubt römisch-katholisch, das ist also nicht nur negativ gemeint), Marktplatz und Bar Birreria lohnt sich unbedingt. Guerra gestaltete selbst einen dekorativ an einen Felsen geschmiegten „Garten der vergessenen Obstbäume“. Denn auch viele Italiener haben ihre alten Sorten längst nicht mehr auf dem Schirm. Jeden Juni findet ein internationales Straßenkünstler-Festival statt und nicht nur dann balancieren Seiltänzer zwischen Aussichtsplattform (vom Dalai Lama mit Gebetsmühlen bestückt) und Kloster (noch drei Nonnen leben und arbeiten da) mehrere Hundert Meter lang über einem ebenso tiefen Abgrund. Im örtlichen Supermarkt gibt es ein Gemüseangebot, das deutschen Supermärkten gut zu Gesicht stehen würde. Und gleich vor den Stadttoren liegt mit dem „Il Piastrino“ das einzige Michelin-Restaurant in dieser Miniregion.

 

 

Seit sechs Jahren kocht Riccardo Agostini, der 1971 in Pennabilli geboren wurde, in einem Steinhaus mit mittelalterlichen Grundfesten und einem schon fast peinlich schönen Blick ins Tal.

 

 

Er verarbeitet nur regionale Produkte, aber nicht wie die sprichwörtliche Oma aus der cucina della nonna, die mit ihren ewigen Pasta- und Schmorgerichten selbst den eingefleischtesten Italien-Fans irgendwann auf die Nerven geht.

 

 

Riccardos Frühlingsartischocken sind mit Sojasauce abgeschmeckt. Seine Leberpastete hat einen Hauch Kakao. Die Rote Beete kommt als Luftwolke auf den Tisch. Und selbst Pasta kann er etwas Neues abgewinnen und probiert’s mit Größe. Seine sind befüllte Fingerhüte für eine Liliput-Tafel.

 

 

 

Mit zwei traditionellen Grundprodukten, Fleisch vom Rind, das erst im Alter von vier Jahren zum Ochsen gemacht wurde (bue) und dem Höhlenkäse (fossa) belebt Riccardo seine Speisekarte zusätzlich. Er bezieht nur von kleinen Landwirtschaften oder Metzgereien. Wie der von Domenico Celli.

 

 

Domenico (57) und sein Prachtsohn Mario (Stimme: Adriano Celentano, Aussehen: Kim Rossi Stuart) betreiben in einem anderen kleinen Ort, Novafeltria, in dritter Generation eine Metzgerei, die von außen aussieht wie eine saubere, ordentliche, hygienische Metzgerei, die so auch in Niederbayern stehen könnte. Betritt man den Laden, sieht man jedoch nur noch einen Schinkenhimmel.

 

 

So um 200 Schinken, nur mit Meersalz und südindischem und sauteurem Tellicherry-Pfeffer haltbar gemacht und im Schnitt je nach Größe bis zu 14 Monaten getrocknet, baumeln von der Decke. Sie verströmen einen Duft, der noch betörender wird, wenn Mario die Unterarme entblößt, Schmetterlinge und Sterne auf selbigen freilegt, und ihn aufschneidet.

 

 

Mit Macho haben Vater und Sohn aber relativ wenig zu tun. Eher was mit Bienen und reiner Handarbeit. Die berühmteste ihrer Salame wird handgetaucht in Bienenwachs (cera d’api), was sie länger haltbar und noch aromatischer macht. Da kommt die Tradition durch: Domenico stammt eigentlich aus einer Imkerfamilie, und erst sein Vater widmete sich in der Nachkriegszeit dann auch dem Fleisch.

 

 

Mario hat Salami erfunden, die nicht mit dem Cutter, sondern nur von Hand zerkleinert wird, welche mit viel Speck (dem berühmten lardo) und welche ohne oder mit Schokolade und eine Gemischte mit Schwein und Rind. Sein Vater macht die beste Schweinskopfsülze, mit einem Hauch Zimt und Zitronenschale, die ich je probiert habe.

 

 

Aber die Tatsache, dass vor Ort an die Stammkunden, im Internet aber international verkauft wird, zeigt die Ausrichtung gen Schinkenparadies. Fünf Schinkenarten und über 15 Varietäten liegen qualitativ weit über dem italienischen Durchschnitt. Auch der Coppa reift im Bienenwachsmantel. Den Lardo gibt’s als Colonnato vom Rücken des Schweins und zwar mit Fleisch dran. Es gibt Cuore, es gibt Noce, es gibt Lombo, ummantelt mit getrockneten Sangiovese-Trauben. Und eine hauseigene, patentierte Schinkenfindung. Dieser Mandolino wird aus der Schulter geschnitten, reift mindestens sieben Monate, erinnert danach optisch tatsächlich an eine Mandoline erinnert und sei beim Aufschneiden ein spettacolo, sagt Marco, der seine Landsleute und deren kindliche Freude an Events jeglicher Art kennt.

 

 

Drei Schweine verarbeiten die Cellis pro Woche und vom Rind nehmen sie nur das Prachttier der Region, den oft mannshohen, cremefarbenen Platschari der Rasse Marchigiana.

 

 

Diese Rasse ist für ihre hervorragende Fleischqualität bekannt und in der Region Marken schon lange als Arbeitstiere ansässig, bevor sie für die Fleischproduktion gekreuzt wurden.

 

 

 

Ebenfalls lange Tradition, jedoch ein reines Zufallsprodukt oder eben Mythen in Tüten, ist der regionale Käse Fossa. Tonino Guerra erinnerte seine Farbe an Bernstein, deshalb heißt er, der traditionell in Tuffsteinhöhlen rund um Talamello entsteht, auch ambra di Talamello. Die Historie: Um ihn vor brandschatzenden Söldnern (in dieser Region schlug man sich einmal sechzig Jahre am Stück) zu schützen, vergruben Bauern ihren popeligen Kuh-Schafmilch-Käse im 15. Jahrhundert, so richtig ordentlich mit Brettern drauf, luftdicht in Tuffsteinhöhlen. Als sie nach mehreren Monaten wieder nachschauten, weil die Söldner sich mittlerweile anderweitig verpflegt hatten, war der Käse noch da, hatte jetzt allerdings eine ganz andere Qualität. Un miracolo! Bestenfalls deckt dieser Fossa genannte Käse die ganze Bandbreite zwischen fein aromatisch und pikant ab, und ist ein ähnlicher Geheimtipp wie englischer Cheddar von kleinen Käsereien. Er wird als Käseplatte zu Feigenmarmelade gegessen, lässt sich wunderbar in Aufläufen verbacken, schmeckt sehr gut als Aromat in Fleischgerichten und natürlich in der Pastasauce. In Talamello, noch einem kleinen Städtchen mit mittelalterlichen Wurzeln und überdies wunderbaren Fresken aus dem 15. Jahrhundert, wird er heute noch in den 21 Höhlen gelagert und, so auch auf Italienisch, nach etwa drei Monaten „geerntet“.

 

 

Die Wirtschaftskrise, die Italien leider noch fest im Griff hat, hat in dieser Region auch eine gute Seite, sagt Galya Trento. Sie ist gebürtige Moskowiterin, aber der Liebe zu einem Handtaschenproduzenten wegen schon bei der ersten Gelegenheit aus Russland ausgebüxt. Zusammen mit ihrem Mann erschloss sie im Laufe der letzten 15 Jahre ein wunderbares kleines Areal von vier zusammenhängenden mittelalterlichen Häusern.

 

 

Das Dorf drumherum war zu dieser Zeit verlassen. Aber als die Trentos mit viel Geschmack, lokalem handwerklichem Geschick und einer internationalen Künstlerschar (sie waren bis zu seinem Tod eng mit Tonino Guerra befreundet und ließen das Refugium von Künstlern gestalten) ihr „Petrella Guidi“ fertig stellten, zogen auch wieder Leute ins Dorf. „Jetzt kommen die ganzen jungen Leute zurück, die in der Stadt keine Arbeit gefunden haben. Sie lernen wieder Landwirtschaft und versetzen ihre Eltern und Großeltern, die eigentlich wollten, dass ihr Leben einfacher wird und sie als promovierte Juristen vielleicht mal das große Geld machen, in Erstaunen.“

 

 

Und solche jungen Leute mit Großstadterfahrung sind es nun auch, die die kulinarischen Traditionen weiter tragen. Lobenswert und für Besucher lohnenswert.

Adressen:

Unterbringung

„Petrella Guidi“. Für acht Personen konzipiert und nur im Ganzen zu vermieten. Beileibe kein Schnäppchen (ab 1.200 Euro pro Tag), dafür aber eine unvergleichliche Atmosphäre.

 

 

Der Preis schließt alles ein vom Hamam, Bouleplatz und Tennisplatz, zwei Minischwimmbädern, einem halben Quadratkilometer Garten

 

 

und Liegefläche, bis zu Rosengärten, einem großen Filmraum (Sofa für 8 Personen wurde von Philippe Starck als Unikat entworfen). Die vier winzigen Häuser und Wohnungen sind mit Fundstücken aus der ganzen Welt eingerichtet. Außerdem: Bibliothek, Küche zum Selbstkochen

 

 

oder sich bekochen lassen, absolute Ruhe und Privatsphäre.

Mehr unter: www.petrella-guidi.it

Essen

„Il Piastrino“, 7-Gänge-Menü etwa 45 Euro. Michelin-Stern.

Mehr unter: www.piastrino.it

„La Locanda dell’Ambra“, Spezialitäten mit Fossa-Käse. Tolle Location, in den Felsen hineingebaut. 3-Gänge-Menü etwa 25 Euro. Handfeste Küche.

Mehr unter: www.lalocandadellambra.com

Spezialitäten

„Celli Norcineria Macelleria“, hervorragende Schinken und Salame, außerdem bekannt für sehr gutes Fleisch. www.bottegadellacarne.com