osmose

Steak, Salat: wann was salzen?

Rein und Raus

 

Gemüse zerkocht im ungesalzenen Wasser zu fadem Brei, Salat klatscht im salzigen Dressing aber zusammen. Fleisch wird mit Salz mal zäh, mal lecker. Hinter allem steckt eines der ältesten Prinzipien des Lebens – die Osmose.

 

Alles im Leben strebt ein Gleichgewicht an. Das klingt religiös, bestimmt aber unseren Kochalltag in seinen tiefsten Wurzeln. Pflanzen und Tiere müssen Grenzen ziehen zur Umwelt. Als Grenzwächter dienen die äußersten Zellen, sie bestimmen, wer rein darf, und wer draußen bleiben muss. Das gilt auch im ganz Kleinen: unter dem Mikroskop ist plastisch zu beobachten, wie unterschiedlich Zellen mit Flüssigkeit (Salz-) Molekülen umgehen. Ist die Salzkonzentration außen höher, lassen die Zellwände selektiv diese Moleküle herein (diese Durchdringung nennt man Diffusion), bis das chemische Potenzial auf beiden Seiten dieser Membran ausgeglichen ist. Wenn sie dagegen in salzarmen Wasser dümpeln, rücken die Zellen ihre Moleküle heraus.

 

Wenn sie es denn können. Denn das Phänomen der Osmose, vom niederländischen Chemie-Nobelpreisträger Jacobus Henricus van’t Hoff 1901 erstmals gemessen und vier Jahre später von Albert Einstein in dessen „molekularkinetischen Theorie“ als Naturgesetz formuliert, kann einem auch gehörig die Suppe versalzen. Knackige, vollreife Süßkirschen zum Beispiel, saugen sich bei Regen wegen der Osmose mit Wasser voll, bis sie platzen. Beim Kandieren begrüßt man andererseits den umgekehrten Osmose-Effekt: hier werden die Früchte so lange in hochkonzentrierte Zuckerlösung gelegt, bis das Wasser entzogen und der Süßkram drinnen ist und die Frucht ewig haltbar wird.

 

 

Wann kommt das Salz ins Wasser?

 

Spielentscheidend ist der richtige Umgang mit der Osmose beim Kochen von Fleisch und Brühen. Geht es darum, ein möglichst saftiges Stück Siedfleisch (z.B. Tafelspitz) zu bekommen, muss es in einer salzig-gewürzten Umgebung köcheln. Wenn die Kochflüssigkeit möglichst genau den Salzgehalt des Fleisches hat, tritt kaum Saft und Aroma aus. Genau anders herum ist es bei der Herstellung von Suppen und Brühen: um möglichst viel Leben aus dem toten Tier zu ziehen darf das Kochwasser überhaupt nicht gesalzen werden. Ob man Fleisch und Knochen mit kaltem oder heißem Wasser ansetzt, ist hierfür völlig egal – der Kaltansatz bringt nur den Vorteil, dass man zum Abschäumen der geronnenen Eiweisspartikel mehr Zeit hat und die Suppe dadurch klarer wird.

 

Ähnlich kniffelig verhält sich die Osmose bei Grünzeug und Nudeln. Pasta im ungesalzenen Kochwasser gibt das im Nudelteig enthaltene Natriumchlorid (Kochsalz) ins Wasser ab und kommt deshalb al kukidente auf den Teller. Blattsalat in der Tunke klatscht in kurzer Zeit zusammen, weil die Zellen Flüssigkeit in die salzige Sauce abgeben. Leicht vergammelte Kräuter erholen sich deshalb im kalten Bad mit demineralisiertem (Volksmund: destilliertem) Wasser – sie saufen sich voll und werden wieder prall. Und Gemüse gelingt am besten, wenn es im Dampf gegart (kein Salz/Wasseraustausch, alles bleibt drin) oder in wenig, gut gewürztem Wasser gedünstet wird, das eine etwas höhere Osmolarität („Salzigkeit“) als das Gemüse selbst aufweist. Dann pfeift es sich zusammen mit den Salzen auch ordentlich von den Gewürzaromas rein.

 

 

Durch den Raum schwirrt das Osmazom

 

Das alles ist natürlich ganz altes Küchenwissen, viel älter als der wissenschaftliche Nachweis. So geisterte die Osmose schon Jahrhunderte vor ihrer Entdeckung als der ominöse Osmazom durch die Lehr- und Kochbücher. Erstmals erwähnt von Louis Jacques Thenard, dem Entdecker des Wasserstoffperoxids, griff auch Frankreichs wichtigster Gastrosoph, Anthelme Brillat Savarin, dieses Wort immer wieder gerne auf: „Durch Osmazom gelingen gute Suppen; Osmazom gibt, indem es karamellisiert, dem Fleisch seine braune Kruste; dem Osmazom verdankt das Wildbret sein Aroma. Beim Kochen im siedenden Wasser folgt dem Osmazom das, was man gemeinhin unter Extraktivstoff versteht: Im Verein mit dem Osmazom bildet dieses Produkt den Fleischsaft.“

 

Das stimmt bis heute, nur eine Sache wissen wir besser: Die verheerendste Wirkung hat Osmose beim Kurzbraten von Fleisch. Wird ein Steak zu lange vor dem Brutzeln mit feinkörnigem Salz gewürzt, zieht dies aus den Fleischzellen Flüssigkeit. Der Effekt ermöglicht das Pökeln (Fleisch saugt die Salze auf und wird haltbarer), das Steak jedoch wird furztrocken. Abhilfe: erst Sekunden vor dem Braten mit grobem Meersalz würzen – dann kann das Salz als Geschmacksverstärker wirken, ohne sich des Fleischsaftraubes schuldig zu machen. Noch heikler trifft die Osmose das Hackfleisch, bei dem die durchs Hacken/Wolfen hundertfach vergrößerte Oberfläche zugleich auch Austrittsfläche für die Fleischflüssigkeit darstellt. Wenn dazu noch beherzte Salzung kommt, ist alles zu spät.

 

Und in diesen Kochmonster-Rezepten spielt Osmose die Hauptrolle:

 

Die Ur-Suppe

Das perfekte Steak

Blattsalate

Die perfekten Frikadellen

Köttbullar de Luxe

 

Die Originaltexte von Peter Wagner erschienen in der Männerkochzeitschrift Beef!, die eigentlich jeder ernsthaft kochende Mann abonniert haben sollte.