Tim Raue

My Favorite Things

kochbuch

My Favorite Things
Tim Raue:
"My Favorite Things"
Erscheinungsjahr: 2013
560 Seiten
166 Rezepte
75 EURO
ISBN: 978-3899105476

Bewertung

Rezeptgenauigkeit
Originalität
Nachkochbarkeit
Gesamtbewertung
My Favorite Things Bewertung: 5 Sterne von 6 möglichen.

Kochmonster-Kritik

Von Zweisterne-Rabauke Tim Raue erwartet man immer etwas Besonderes: kecke Sprüche, verbale und kulinarische Provokationen, eine bewegte Vita mit Lebensstationen ganz unten und letztendlich natürlich eine kreative Küche, die zumindest im Berliner Umfeld einzigartig ist und sich deutlich von den weitgehenden Kochstandards der konkurrierenden Sterne-Gastronomie abhebt. Auch sein neues Buch, das sich im kleinen Format deutlich von den üppigen Prachtbänden seiner Kollegen unterscheidet, bedient diese Erwartungen trefflich.

 

Raue ist eben anders, keineswegs bescheiden, ganz im Gegenteil. Stolze 75 Euro muss der geneigte Leser hinlegen, will er die „Favorite Things“ von Tim Raue erfahren und gegebenenfalls sogar nachkochen. Doch zunächst kann er auf ganzseitigen Fotos, quasi als Fenster in die Seele und Gedankenwelt des Meisterkochs, seine Lieblingsgegenstände bewundern, bevor es weiter hinten an die Rezepte geht.

 

Eine Fundgrube für psychologisch Begabte und Zeichendeuter, die zwischen Kitsch und geschicktem Productplacement (Krug, Deutsche See, KaDeWe etc.) auch Dinge entdecken, die Raues Anspruch unterstreichen sollen, so etwas wie der Robespierre der deutschen Kochszene zu sein. Die Auflösungen der Bilderrätsel sind einige Seiten weiter zu lesen, teils amüsant geschrieben und durchaus seriös gemeint.

 

Aber Tim Raue verzeiht man vieles, auch den noch so plakativen Versuch, anders zu sein als die anderen. Erst in seinen kompakten Gerichten und einfallsreichen Rezepten erkennt man endgültig die fast unbändige Kreativität von Raue, der scheinbar spielerisch Arrangements auf den Teller bringt, die er zwischen Berlin und Hongkong ansiedelt.

 

Das Layout, das zwischen klassischer Tellerfotografie und kleinen kreisrunden Bildchen mit Details wechselt, ist auf den ersten und zweiten Blick gewöhnungsbedürftig, gibt dem Buch aber einen besonderen Touch und eine individuelle Raue-Ästhetik. Dazwischen wechselt die Schrift ihre klassische Anordnung, schafft auf den Seiten Unruhe und Raum gleichzeitig und unterstreicht Raues Anspruch, einen anderen Blick auf die gemeine Kochkunst an sich, und seine im besonderen zu haben. „Diese Buch bin ICH“, Tim Raue hat zumindest verbal das Zeug zum Koch-Messias.

 

Dass sich die meisten Rezepte für den Hausgebrauch nicht eignen, versteht sich bei genauem Hinsehen von selbst. Zum einen stellt die Beschaffung der Zutaten selbst ausgebuffte Internetbesteller und Weltreisende in Sachen exotische Produkte vor schwierige Aufgaben, auch wenn Raue allzu oft den wohlgemeinte Hinweis gibt, dass es rosa Sushiingwer und Gojibeeren im Asiamarkt zu kaufen gibt. So weit so gut. Aber wo bitte kauft Mutti Schwimmblasen von großen Barschen, Zungen von Wagyu-Rindern oder Seeigelzungen? Japanische getrocknete stachelige Seegurken, essbares Blattgold und weiße Alba-Trüffel sind da noch das geringste Problem, allerdings kann Raues Zutatenliste schon mal die Haushaltskasse sprengen, ein paar hundert Euro pro Gericht kommen schnell zusammen.

 

Fazit: Bewertet man diese Kochbuch ausschließlich nach der Kreativität der Gerichte und dem Können von Tim Raue, aromatische Kunstwerke zu kreieren und einzigartige geschmackliche Bilder zu malen, dann bekommt Raue die Höchstnote. Wer das Buch als reines Kochbuch oder Nachschlagewerk nutzen möchte, um selbst verwöhnte Gäste zu verwöhnen, für den wird die Luft dünn. Inspirativ und erfrischend wirkt es auf jeden Fall und vermittelt einen guten Einblick in die Seele und Gedankenwelt des Ausnahmekochs.

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Rezensent

Thierry Becker

Thierry Becker

Thierry Becker stammt aus dem Mutterland der Gourmets, dem Elsass, lebt aber seit vielen Jahren in Stuttgart. Als Planer und Berater für Spezial-Lösungen im Bereich Maschinenbau ist er viel unterwegs – und wann immer es sich ergibt, versucht er bei seinen Dienstreisen in den besten Häusern der jeweiligen Orte zu essen. Zum Kochen kommt er nur an höchstens zwei Wochenenden im Monat, dann aber richtig: "Ich arbeite mich am Liebsten an vertrackten Rezepten von Sterneköchen ab".

thierry_becker@kochmonster.de