Caprese 11.0

Vorspeise für 4 Personen von Peter Wagner

Caprese 11.0

Bei dieser Variation auf das Caprese-Thema wollen wir neben der als Mozzarella-Alternative benutzten Fettbombe Burrata vor allem über die Möglichkeiten nachdenken, den Geschmack der Tomaten zu vertiefen. Dieses beliebteste Gemüse der Deutschen steht ja wegen hartnäckiger Aromablässe oft in der Kritik. Manchmal völlig zurecht, aber es gibt ja diverse Möglichkeiten der Bearbeitung, mit denen sie zu wahren Geschmacksbomben werden können.

 

Jeder, der schon mal ein paar Minuten auf einem sonnengetrockneten Tomatenfilet herumgekaut hat, wird diese interessante Mischung aus zarter Restsäure und fast schon karamellisiert wirkender Fruchtsüße in Verbindung mit einer auch nach dem Schlucken lang anhaltenden Mundfülle erinnern können. Diese Produkte werden üblicherweise einfach auf Netzen in die Sonne gelegt oder in industriellen Dörranlagen mit Hilfe von trockener Luftzirkulation dehydriert. Diesen Ansatz kann man aufgreifen, aber mit ein paar Tricks entscheidend modifizieren.

 

Einer davon ist das stundenlange Marinieren der Tomatenviertel vor der Trocknung. Wir erhöhen den Zuckergehalt im Fruchtfleisch durch Zugabe von Süßwein und Muscovadozucker, holen mit der Säure des Balsamicoessig aber zugleich einige der bei dieser Frucht bekannterweise zuhauf in gebundener Form vorhandenen Glutaminsäuren in den Zustand, den wir auf der Zunge dann auch als spürbar geschmacksverstärkend wahrnehmen. Zusätzlich nehmen wir ein schon vom Produktnamen hochpassendes Hilfsmittel dazu: Das „Tomatenserum Umami“.

 

 

 

Ähnlich der seit etwa zwei Jahren von vielen Sterneköchen als Aromaverstärkungsgeheimwaffe eingesetzten „Tomami“-Produkte hebt dieses Serum auf natürliche und salzarme Art den Geschmack. Wichtiger als diese Tricks aber ist die Hydrierungstechnik.

 

In China ist das ein sehr, sehr alter Hut, denn dort weiß man seit Jahrtausenden um die aromaschaffende Wirkung von Trocknung und Rückbefeuchtung insbesondere bei Sojabohnen. Bis heute werden manche Saucen und Pasten über Monate hinweg immer wieder getrocknet, angeweicht, teilweise fermentiert, dann wieder pulverisiert, bis am Ende eine unfassbar intensive Geschmacksexplosion entsteht.

 

Dahinter steckt – auch bei unseren Capresetomaten – der Effekt, dass beim langsamen, behutsamen und vor allem nicht zu heißen Dörren das Wasser aus den Zellen weicht und verdunstet, die geschmackstragenden Stoffe aber erhalten bleiben. Ein ähnlicher Prozess begann bereits beim ersten Marinieren unserer ohnehin schon recht aromatischen Mini-San-Marzano-Tomaten in süß-saurer Marinade, bei der die Zellwandstrukturen der Früchte leicht denaturiert und somit durchlässiger wurden.

 

Diese Marinade dient nach dem Dörren bei der Rehydrierung dazu, die darin konzentrierten und wässrig gelösten Aromastoffe mit Hilfe osmotischer Vorgänge in die Tomatenzellen zurückzutransportieren. Am Ende entstehen dadurch gewissermaßen tomatisierte Tomatenviertel. Texturell wirken sie zwischen frisch und getrocknet und erinnern an die auf langen Fäden aufgereihten und monatelang unter dem Dachstuhl leicht angetrockneten „Tomatiga de Ramallet“ – eine altmallorquinische Spezialität, die in den letzten Jahren auch von „Slow Food“ wiederentdeckt wurde.

 

Geschmacklich dagegen lassen unsere Tomaten, die wir in der Caprese-Variation klein gehackt unter die Burrata legen, die Malle-Oldies weit hinter sich – hier werden endlich die dunklen, malzigen Aroma-Anteile schmeckbar, wie auch die durch den langen Prozess freigesetzten Glutamine mit ihrer fast schon animalisch-fleischigen Mundanmutung.

 

Wer die zeitraubende Präparation nicht scheut, sollte aus diesem Produkt auch mal eine einfache Bolognesesauce kochen und im Freundeskreis eine Blindverkostung vornehmen. Kaum einer wird auf die Idee kommen, dass da kein Fleisch drin ist. Wetten, dass...

 

© 2016 Peter Wagner/kochtext
Vorbereitungszeit: .45 Stunden, Minuten
Wartezeit: 48 Stunden
Zubereitungszeit: 15 Minuten
Level: commis de cuisine
Zubereitungsart: sequentiell

Zutaten

Tomaten
750 g Mini-San-Marzano-Tomaten
75 ml Balsamicoessig, 12 Jahre gereift
75 ml Marsala-Wein
3 EL Muscovado Zucker (Brauner Rohrzucker aus Mauritius)
1 EL Tomatenserum „Push“
1 TL Meersalz, fein
1 Prise Pfeffer aus der Mühle
Käse & Garnitur
2 Burrata
50 g Rucola
50 g Basilikumblätter
200 g Cocktailtomaten, orange
12 TL Pesto

Wein-Tipp

Campanaro Irpinia Bianco DOC 2014

Angesichts des doch sehr überschaubaren Wareneinsatzes unserer Capreseversion gönnen wir uns einen der besten Weißweine Süditaliens dazu: Der Campanaro Irpinia Bianco DOC 2014 vom kampanischen Edelweingut Feudi di San Gregorio, ein Cuveé aus den uralten Rebsorten Greco und der schon von den Römern kultivierten Fiano, kann mit seiner Fruchtstärke und vor allem seiner geschmeidig-balsamischen Gaumenwirkung dem Aromahammer der Supertomaten problemlos das Wasser reichen. Wer nach preiswerteren Alternativen sucht, wird im Bereich der Barrique-Chardonnays fündig.

Musik-Tipp

Während des endlos langen De- und Rehydrierens unserer Tomaten bleibt genug Zeit, die 6 CDs der aktuellen Box „The Atlantic Years In Mono“ (Rhino) durchzuhören und die bei aller außergewöhnlichen Improvisationstechnik doch stets im Schaffenszentrum des Jazz-Sax-Heroen John Coltrane stehenden tiefen Spiritualität seiner „Sheets of Sound“ zu bewundern. Aufgenommen für Atlantic Records 1959 und 1960 in Mono und jetzt genial remastered von John Webber in den Londoner Air Studios, klingt diese Musik allerdings noch besser, wenn man sie nicht von CD, sondern in der Vinlylversion mit sechs 180-Gramm-LPs mit einer exklusiven 7inch Bonus-Single hört.

Zubereitung

Tomaten

Balsamico zusammen mit dem Masala auf ca. 25 ml einkochen. Tomaten waschen, längs vierteln, mit der Reduktion und den restlichen Zutaten 2 Stunden marinieren, ab und zu umrühren. Abseihen, Flüssigkeit auffangen, Tomaten auf Krepp leicht antrocknen.

 

 

Tomaten über Nacht im Dörrautomat oder auf einem mit Krepp ausgelegten Rost im Backofen bei 65°C Umluft (Tür einen kleinen Schlitz geöffnet) trocknen.

 

 

Einlegeflüssigkeit auf die Hälfte einkochen, getrocknete Tomaten damit übergießen und vakuumieren

 

 

 Über Nacht im Kühlschrank rehydrieren. Vor dem Essen abseihen, Flüssigkeit auffangen und sirupartig einreduzieren. Tomaten fein hacken.

 

 

 

Käse & Garnitur

Rucola und Basilikum waschen, trocken schleudern und in dünne Streifen schneiden.

 

 

Beerentomaten waschen.

Anrichten

Mit großen Dessertringen die Tomaten auf den Tellern anrichten.

 

 

Basikilum-Rucola-Mischung verteilen, ein paar Pesto-Häufchen anrichten, Burratina mittig teilen und mit den Anschnittflächen nach unten auf die Tomaten setzen. Mit einer Basilikumspitze garnieren, mit ein paar Spritzern der Marinadenreduktion beträufeln und servieren – dazu passt noch warmes, frisch (auf-)gebackenes Ciabatta. 

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
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