Shepherd’s Pie de Luxe

Hauptgericht für 4 Personen von Peter Wagner

Shepherd’s Pie de Luxe

Du bist, was Du isst. Mit Superfoods von Schlandkickerkoch Holger Stromberg ultraoptimierte Deutsche? Erst nach striktem Pommesverbot aus dem Kreisligarhythmus aufgewachte Belgier? Oder von eimerweise Skyr und mit giftiger Harnsäure angereichertem „Kaest Skata“(Gammelrochen) unbesiegbar hochgepitchte Wikinger? Da liegt der Gedanke nah, dass das EU/EM-Ende der Briten vielleicht doch ein wenig mit ihren Ernährungsgewohnheiten zu tun haben könnte.

 

Während Britannias Oberschicht noch immer glaubt, ihr adelsprivilegierter Speiseplan von Filet Wellington bis Taube mit Rettich sei, wenn schon nicht haute cuisine, so doch more healthy als das typische Highendessen auf dem Kontinent, rumpelt am anderen Ende der Gesellschaft, also mitten im Herzen des leave, die Plumpsküchenverdauung. In jener Schicht, aus der sich naturgemäß die besten Fußballtalente rekrutieren lassen, beginnt das fettschwere Elend ja schon vor dem Zähneputzen. Mit einem „Full English Breakfast“: Red Beans, Bacon, Weißbrot, Spiegeleier, mit Käse überbackenen Tomaten, Würstchen, Black Pudding (Blutwurst).

 

Und so geht das munter weiter in den Grafschaften mit hoher Brexitquote: die kaum erträgliche dicke Rindersuppe „Brown Windsor Soup“ aus Berkshire, strunzsauer in Cornwall mit Baked Mackerel with Gooseberry Sauce (Gebackene Makrele mit Stachelbeersauce), Yorkshire Pudding

mit Würstchen und dunkler Rahmsauce. Oder die berüchtigten Faggots aus Wiltshire – zerhackte Schweineinnereien mit Zwiebeln und Weißbrot vermischt im Schweinenetz zu runden tennisballgroßen Kugeln geformt.

 

Noch Appetit? Gerne: Gekochte Lammohren mit Sauerampfer (Lamb’s Ears) in Sussex, süß-klebrig das Dorset Jugged Steak (Schmortopf aus Rindfleisch und Fleischklößchen mit rotem Johannisbeergelee), in Lancashire Kutteln (Tripes), Chitterlings (Schweinskaldaunen), gepresstes Kuheuter (Elder), Lammhoden (Lamb’s Fry) und Kuhfüße. Oder Laverbread, die walisische Spezialität mit Speck, Toast, Tomaten und dunklen Algen.

 

Als vorletzten Gang vor dem Anpfiff oder der Öffnung des Wahllokales dann schnell noch in Kent ein Lamb’s Tail Pie (Schwänze von kupierten Lämmern mit Erbsen und gekochten Eiern), und zum Nachtisch Spotted Dick – gebackener Trockenfrüchtebrotpudding. Oder die britische Antwort auf „Arme Ritter“, die mit Himbeermarmelade bestrichenen „Poor Knights of Windsor“. Und selbst im Falle der Loslösung der Schotten aus dem Britannia-Verbund wird deren tödlichste Kalorienbombe von der kulinarischen EU-Raketenabwehr abgeschossen: Geröstetes Haggis mit Neeps (Schafsmagen mit Steckrüben), Kartoffelpüree und Whisky.

 

Schäferstündchen mit der Oberschicht

 

Wir sagen zum Abschied deshalb auch nicht leise „Servus“, sondern kochen eines der beliebtesten Nationalgerichte Britanniens. Nein, nicht Lamm in Pfefferminzsauce, sondern Shepherd’s Pie. Allerdings in der DeLuxe-Version mit hochwertigen Zutaten jenseits der üblichen britischen Fettpressen. Das Prinzip des „Schäferkuchen“ behalten wir natürlich bei, immerhin spiegelt es ja die beiden Teile der britischen Gesellschaft wieder, die mehrheitlich für die Loslösung gestimmt hatten – Unterschicht und Oberschicht. Unten in die Auflaufschüssel kommen Fleisch und Gemüse, oben drauf eine dicke Schicht Käse-Kartoffelbrei.

 

Im Original schert man sich nicht besonders drum, was für ein Fleisch als Basis dieser Pastete dienen soll. Meist wird irgendwelches Hack verwendet, gerne auch Gekochtes vom Vortag oder Reste vom Braten („Sunday Roast“). In diesen Fällen wird meist von „Cottage Pie“ gesprochen. Um nah am namensgebenden Berufsbild zu bleiben, kochen wir unser Brexit-Rezept mit Lamm – und gönnen uns anstelle des oft benutzten fetten Bauches eine entbeinte saftige Lammkeule.

 

Und die drehen wir auch nicht durch den Wolf, sondern schärfen unser großes Fleischmesser und schneiden die vorher sauber von Fett, Sehnen und Bindegewebe befreite Keule erst in dünne Scheiben, dann in schmale Streifen und schließlich in sehr, sehr kleine Würfelchen. Die nämlich behalten bis zum Servieren trotz langer Schmorzeiten Saft und Biss zugleich.

 

Die Abschnitte landen selbstredend nicht im Müll, sondern werden mit Lammbrühe aufgekocht, die später als Flüssigkeitsgeber im Schmortopf eingesetzt wird. Nein, Mister, in der EU kommt nichts weg. Wird auch so schon teuer genug, die Scheidung von Euch.

 

© 2016 Peter Wagner/kochtext
Vorbereitungszeit: 30 Minuten
Zubereitungszeit: 1 Stunde
Level: commis de cuisine
Zubereitungsart: mise en place

Zutaten

Fleisch & Gemüse
1 kg Lammkeule, ganze (ohne Knochen)
3 EL Olivenöl
250 g Zwiebeln
4 Knoblauchzehen
150 ml Portwein
750 g Karotten
250 g Pastinake
100 g Sellerie, Stange
3 EL Thymian-Blättchen, frisch
1 Tomatenmark, Tube
2 EL Worcestershire-Sauce
500 ml Lammfond
1 Prise Salz und Pfeffer aus der Mühle
Kartoffeln
800 g Kartoffel, mehlige Sorte
2 EL Meersalz, grob
1 EL Kümmel, ungemahlen
75 g Butter
250 g Kochsahne
1 Prise Pfeffer, weiss aus der Mühle
1 Prise Salz
1 Prise Muskatnuss, frisch gerieben
100 g Cheddar-Käse

Wein-Tipp

Howzit

Zum Brexit einen Howzit: Das sagen Südafrikaner zur lockeren Begrüßung – „Hallo, wie geht’s?“ Gut, danke, schließlich passt zu unserem UK-Farewell-Auflauf die deutsch-afrikanische Kollaboration perfekt. Diesen ausgeprägt maskulinen Shiraz keltern die Vorzeige-Rheingauwinzerbrüder Barth aus den Trauben des Weinberges, den sie sich vor ein paar Jahren in den Wineyards von Stellenbosch gekauft hatten. Zusammen mit lokalen Kollegen entstand dieses fleischig-vollfruchtige Kraftpaket von einem Rotwein.

Musik-Tipp

Die 1977er Originalversion von Sex Pistols’ „God Save The Queen“ ist nach 3:18 Min. durch – prima Gelegenheit, Musik von Menschen zu hören, die die Brexitler am liebsten eher gestern als heute aus ihrem Land treiben möchten: Die in den USA als Tochter nigerianischer Eltern aufgewachsene Iyeoka Ivie Okoawo dreht in ihrem nunmehr vierten, wieder von wundervollen Afrobeats getriebenen Album „Gold“ (edel) den Rassisten mit expliziten Texten über das Leben als schwarze Frau im 21. Jahrhundert die Daumenschrauben ein paar Umdrehungen fester.

Zubereitung

Fleisch

Lammkeule abwaschen und trocken tupfen. Parieren (Sehnen und Bindegewebe entfernen). Parüren 20 Min in dem leise simmernden Lammfond plus 100 ml Wasser auskochen, abseihen, Flüssigkeit auffangen. Fleisch in dünne Scheiben, dann in feine Streifen und schließlich in kleine Würfelchen von max. 4 mm schneiden.

 

 

Zwiebeln und Knoblauch häuten und fein würfeln.

 

 

Möhren, Pastinaken und Sellerie schälen und in kleine Stücke schneiden.

 

 

 

Öl in großem Bräter sehr heiß werden lassen, Fleisch unter stetigem Rühren darin 3 Min. anbraten. Zwiebeln und Knoblauch zugeben, weitere 5 Min. bei voller Hitze dünsten.

 

 

Backofen auf 240 °C Umluft vorheizen. Portwein zugeben und einreduzieren.

 

 

Alle Gemüse, Thymian, Tomatenmark, Worcestershiresauce und den Fond zugeben, kurz aufkochen.

 

 

Bräter mit Deckel verschließen und für 45 Min. in den Backofen geben. Alle 10 Min. umrühren. Am Ende beherzt mit Salz, Pfeffer und Worcestershiresauce abschmecken.

 

 

Kartoffeln

Kartoffeln in reichlich Salz-Kümmel-Wasser gar kochen, noch heiß schälen und durch Kartoffelpresse pressen. Cheddar auf scharfer Feinreibe zu Schnee reiben. Butter mit Sahne und den Gewürzen aufkochen und zusammen mit dem Käse mit Löffel gleichmäßig unter die Kartoffelmasse rühren, mit Salz abschmecken.

 

 

Wenn das Püree zu fest wird, mit etwas Kochsahne verdünnen Etwas abkühlen lassen und in großen Spritzbeutel füllen.

 

 

 

Anrichten

Fleisch-Gemüse-Mischung in eine große, ofenfeste Auflaufform geben. Kartoffelpüree gleichmäßig und vollflächig deckend aufspritzen.

 

 

Form für 10 Min. in den Backofen geben, am Ende nach Belieben Grill zuschalten und Oberfläche gratinieren. Pie zum Selbernehmen am Tisch servieren. Dazu passt ein knackiger Kopfsalat mit einfacher Dill-Vinaigrette.

Chef de Cuisine

Peter Wagner

Peter Wagner

Peter Wagner

Kocht länger als er für Geld schreibt – seit 1976. Der Musikjournalist lebt in Hamburg und liebt alles, was mit Verstand und Hingabe aus frischen Zutaten zubereitet wird. Seit 2007 schreibt er die Samstags-Kolumne „Tageskarte“ auf Spiegel online. Weitere Infos bei seiner Agentur kochtext...

monsterkoch@kochmonster.de
www.kochtext.de